Gegen den Klassismus: Ein Mann seiner Klasse
Ein Verlag mit reicher Geschichte kehrt zurück. 1934 gründeten Eugen Claassen und Henry Goverts in Hamburg den Claassen Verlag, um Literatur nach ihren politischen Vorstellungen zu veröffentlichen. Dieses Jahr nimmt Ullstein den zwischenzeitlich stillgelegten Verlag wieder in sein Programm auf. Zum Glück, denn solange Bücher mit Titeln wie „Schantall, tu ma die Omma winken!“ die Bestsellerlisten anführen können, braucht es Bücher wie dieses.
Der Journalist Christian Baron schreibt mit „Ein Mann seiner Klasse“ seinen Kampf gegen Klassismus fort. In seiner polemischen Streitschrift „Proleten, Pöbel, Parasiten“ rechnete er mit Unterschichten-Bashing in linken Kreisen ab. Nun verarbeitet er die soziale Frage literarisch. Baron ist eine grandiose Mischung aus literarischer Schönheit und politischer Analyse gelungen.
Der Autor erzählt von seiner Kindheit im Kaiserslautern der 90er Jahre mit seinem gewalttätigen, alkoholkranken Vater und seiner depressiven Mutter. Seine Familie ist arm in einem reichen Land, vom bürgerlichen Umfeld als „Sozialadel“ und „Assis“ stigmatisiert. Der feinfühlige Ton tut der wutschürenden Handlung gut, weil dem Leser neben aller Theorie die konkreten Auswirkungen einer sozialen Schieflage vor Augen geführt werden. Am herzzerreißensten im Fall der Mutter, einer einst lebensfrohen, der Poesie zugeneigten Frau, die mit 32 Jahren an Krebs verstarb.
Nebenbei räumt er mit zwei neoliberalen Mythen auf. Erstens, dass Gesundheit nur eine Frage des individuellen Lebensstils ist und nicht der sozialen Umstände. Zweitens, dass jeder es schaffen kann, wenn er nur hart genug arbeitet. Zufall und die Unterstützung von gut meinenden Menschen ermöglichten es, dass Baron entgegen aller Prognosen studierte und heute Redakteur bei der Wochenzeitung „Der Freitag“ ist. Doch die Prägungen einer von kruden Männlichkeitsbildern geprägten Erziehung hallten lange nach.
Baron brachte es nicht über sich, seinem im Sterben liegenden Vater zu verzeihen, sein Bruder Benny schon. „Wofür ich komplizierte Bücher lesen musste, das spürte er von selbst: Unser Vater war ein Mann seiner Klasse. Ein Mann, der kaum eine Wahl hatte, weil er wegen seines gewalttätigen Vaters und einer ihn nicht auffangenden Gesellschaft zu dem werden musste, der er nun einmal war.“ Und: „Das entschuldigt nichts, aber es erklärt alles.“
Im November 2018 schrieb Baron einen Artikel über seine Herkunft und lancierte dazu den Hashtag #unten bei Twitter – unter dem Menschen ihre sozialen Ausgrenzungserfahrungen schildern. Nach #Me-too und #Metwo ist das Triptychon linker Politik – race, class & gender – seitdem vollständig. Wenngleich #unten weniger Aufmerksamkeit erhielt als seine Geschwister. Bleibt zu hoffen, dass „Ein Mann seiner Klasse“ die Debatte wieder ankurbelt. / Ulrich Thiele