Halb drei Uhr morgens in der Minibar Moralia, die Tanzfläche ist noch gut gefüllt. Inmitten der Menge: Lea-Sophie Paepcke. Eben noch stand sie zusammen mit Leni Rohbeck hinter dem DJ-Pult, jetzt macht sie einen Spagat auf dem Dancefloor. Leni spielt „All I Want for Christmas Is You“ von Mariah Carey, um die Party in dieser Spätsommernacht langsam ausklingen zu lassen – und erzielt damit genau das Gegenteil. Die Gäste feiern es. Am Ende gibt es Standing Ovations für das inklusive DJ-Duo BumBumDisko.
Ganz schön aufregend
Der Auftritt bei den Minibar Moralia Festspielen war nicht der erste für Lea und Leni. Als BumBumDisko haben sie unter anderem schon beim No Limits Festival in Berlin und beim Mittenmang Theaterfestival in Bremen aufgelegt, beides Veranstaltungen für Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderung. Ein zweites Mal besuchten sie Berlin für die Verleihung des Tabori Preises 2023, der bundesweit höchsten Auszeichnung für die Freien Darstellenden Künste. Das Event im HAU – Hebbel am Ufer wurde im Livestream übertragen – so auch das 15-minütige Set von BumBumDisko am Ende. Ganz schön aufregend, zumindest für Leni. „Lea fasste mir backstage an die Schultern und meinte: ,Leni, bleib cool!’“, erzählt sie. Die 34-Jährige freut es besonders, dass BumBumDisko vermehrt nicht bloß für rein inklusive Veranstaltungen angefragt wird: „Wir wollen nicht nur in der inklusiven Bubble stattfinden, sondern als normales DJ-Team gesehen und gebucht werden.“ Auch ein Auftritt beim Reeperbahn Festival 2023 bei einem Empfang von Future of Festivals in der Goldmarie hat für mehr Sichtbarkeit gesorgt. Für dieses Jahr liegen schon Anfragen für den Schlagermove und den Christopher Street Day (CSD) vor. Dank einer großzügigen Spende konnten die beiden sogar in einen eigenen DJ-Controller investieren und müssen diesen nun nicht mehr ausleihen.
BumBumDisco: Von der ersten Stunde an erfolgreich
Dabei fing alles im kleinen, privaten Rahmen an. Im Sommer 2022 sollte Leni auf der Hochzeit eines Kollegen auflegen. Sie fragte Lea, ob sie gemeinsam auftreten wollen. Die beiden sind Kolleginnen in der inklusiven Siebdruckwerkstatt „die sieben“, einer Dependance der barner 16 in Ottensen. Die Kulturschmiede unter dem Dach des Beschäftigungsträgers alsterarbeit im Verbund der Evangelischen Stiftung Alsterdorf hat schon viele Kunst- und Kulturproduktionen von Menschen mit und ohne Behinderung hervorgebracht, unter anderem die erfolgreiche Band Station 17. Weil sich die beiden seit mehreren Jahren kennen und gemeinsam den inklusiven Pop-up-Store „kleines b“ organisieren, wusste Leni, dass sie mit Lea auch außerhalb des Siebdruckateliers gut würde zusammenarbeiten können. Die Hochzeitsfeier wurde ein voller Erfolg und in der „inklusiven Bubble“ sprach sich das DJ-Duo schnell rum, sodass ein Name her musste. Im Schrank der „sieben“ fand die Textilingenieurin noch alte Shirts mit der Aufschrift „Bum Bum“, daraus wurde dann BumBumDisko. Dazu tragen Lea und Leni ihre DJ-Outfits mit bedruckten Jacken und Strasssteinen.
Ungezwungen cool ist es, was BumBumDisco ausmacht
Das musikalische Konzept von BumBumDisko? „Wir spielen Musik von starken Frauen, weil wir beide starke Frauen sind“, sagt Lea. Dabei genügt es, wenn eine Band ein weibliches Mitglied hat, um in ihrer Playlist zu landen, doch bei mehr als 90 Prozent der Songs in der Liste übernehmen Künstlerinnen den Gesangspart. Auf Genre-Grenzen pfeifen sie dabei und spielen das, was gute Laune macht. Songs, die dabei nicht fehlen dürfen: „Wrecking Ball“ von Miley Cyrus – ein Lied, das Lea fast auswendig kann –, „Shake It Off“ von Taylor Swift und schließlich Beyoncés „Run the World (Girls)“, das so etwas wie die inoffizielle Hymne von BumBumDisko geworden ist. Oft fällt es den Partygästen gar nicht auf, dass nur Künstlerinnen gespielt werden, bis sie sich ein Lied von männlichen Interpreten wie den Foo Fighters oder Queens of the Stone Age wünschen. Die Reaktion auf den Hinweis, dass nur Female Artists gespielt werden, sei dann oft: „Ach echt? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Leni hat früher häufig auf Partys im Molotow aufgelegt, als die Indieszene noch deutlich stärker von Männern dominiert wurde, vom Publikum über die Mitarbeitenden bis zu den Artists. Das sei nicht immer einfach für sie gewesen, sagt sie. Sie habe sich oft Gedanken darüber gemacht, ob ein Song cool genug sei, um ihn zu spielen. Die Atmosphäre jetzt sei eine ganz andere. „Für mich ist BumBumDisko so toll, weil Lea durch ihre Persönlichkeit so viel Spaß in die Sache bringt, völlig frei von jeder Wertung. Dann spielt man halt als ersten Song Britney Spears und dann kommen die No Angels oder Sarah Connor. Es muss nicht cool sein, aber dadurch ist es gerade besonders cool.“
Wir spielen Musik von starken Frauen, weil wir beide starke Frauen sind
Lea-Sophie Paepcke
Mit BumBumDisco aus dem Alltag ausbrechen
Was Lea am Auflegen am meisten mag? „Es tut mir richtig gut, dass ich was anderes machen kann“, sagt die 26-Jährige, die mit dem Down-Syndrom (Trisomie 21) lebt. BumBumDisko bietet ihr die Möglichkeit, aus ihrem Alltag rauszukommen, neue Leute und Orte kennenzulernen. Für sie ist das Auflegen Arbeitszeit, sodass sie am nächsten Tag frei hat und länger schlafen kann. Auch das gefällt ihr. Zusammen mit Leni legt sie „back to back“ auf. Das heißt, dass beide abwechselnd Songs aus ihrer BumBumDisko-Playlist über ein iPad auswählen und abspielen. Musikwünsche nimmt in der Regel Leni an. Sie würde gerne ein System entwickeln, mit dem auch Lea besser auf Songvorschläge eingehen kann, zum Beispiel über Bilder oder Albumcover, die ihre DJ-Partnerin gut erkennt. Doch abgesehen davon übernehmen beide dieselben Aufgaben beim Auflegen. Bei Veranstaltungen in Hamburg wartet Leni, bis Lea nach dem Event sicher mit dem Taxi zu Hause angekommen ist, auswärts teilen sie sich ein Bett und führen intensive Gespräche im Hotelzimmer. Leni sei „wie eine Freundin“ für Lea. Wenn sich die zwei länger nicht sehen, zum Beispiel weil Leni an einem Artist-in-Residence-Programm in Island teilnimmt, schicken sie sich Sprachnachrichten hin und her. Dabei geht es nicht nur, aber auch um BumBumDisko.
Pläne für die Zukunft
Für 2024 steht bereits ein Termin fest: Die beiden legen wie im vergangenen Jahr im Sommer wieder beim Festival „Alles für alle“ der barner 16 auf dem Alsterdorfer Markt auf. Doch dieses Mal wird BumBumDisko Unterstützung von Gast-DJs bekommen. Im Rahmen des Berufsbildungsbereichs (BBB) können junge Menschen ein Modul in der barner 16 besuchen. Dabei lernen sie, wie sie eine Radioshow produzieren und auflegen. Dieses Wissen können die Kursteilnehmenden dann am 4. Juli 2024 bei dem Festival in Alsterdorf anwenden. Im letzten Jahr war dort auch Leas Vater im Publikum und hat zur BumBumDisko getanzt. „Meine Eltern wissen jetzt auch, wo ich stehe und finden das richtig gut, dass ich anders und erwachsen geworden bin“, sagt sie.
Wir wollen nicht nur in der inklusiven Bubble stattfinden, sondern als normales DJ-Team gesehen und gebucht werden
Leni Rohbeck
Alle Infos über anstehende Veranstaltungen von BumBumDisco gibt es auf der Seite von Barner 16.
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 05/2024 erschienen.