„Die Scham muss die Seiten wechseln“ – das war womöglich der Satz des vergangenen Jahres. Wer es tatsächlich nicht mitbekommen haben sollte: Gesagt hat ihn die Französin Gisèle Pelicot, die Opfer systematischer Vergewaltigungen unbeschreiblichen Ausmaßes geworden war. Ihr eigener Ehemann Dominique Pelicot hatte sie über Jahre hinweg regelmäßig unter Drogen gesetzt und ihren Körper dann mehr als siebzig anderen Männern gegen Geld für sexuelle Handlungen zur Verfügung gestellt. Unfassbar! Als es bei der Aufklärung darum ging, ob der Prozess öffentlich geführt werden sollte, wobei auch das belastende Videomaterial gezeigt werden sollte, stimmte Pelicot dem ausdrücklich zu und griff als Begründung diesen Satz aus der #MeToo-Bewegung auf: „Die Scham muss die Seiten wechseln.“
Doch Gisèle Pelicot ist nicht das einzige Opfer in diesem Fall. Auch Caroline Darian, die gemeinsame Tochter von Gisèle und Dominique, wurde betäubt und vergewaltigt. Nun erzählt diese in ihrem Buch tagebuchartig von den Auswirkungen dieses unvorstellbaren Verbrechens auf sämtliche Lebensbereiche ihrer Familie – und es schnürt einem die Kehle zu, davon zu lesen, was da fast zehn Jahre lang Unvorstellbares vor sich gegangen ist. Dennoch und gerade deswegen: ungemein mutig und wahnsinnig wichtig.
Caroline Darian: Und ich werde dich nie wieder Papa nennen, KiWi, 224 Seiten, 22 Euro
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Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2025 erschienen.