SZENE HAMBURG: Christiane, du standst das erste Mal 1991 für „Deutschfieber“ vor der Kamera, das ist jetzt 34 Jahre her. Was geht in dir vor, wenn du das hörst?
Christiane Paul: Das ist eine ganz schön lange Zeit. Im Alltag ist mir das nicht so bewusst, aber wenn man da so draufguckt, ist das schon verrückt – vor allem, weil viele Neue hinzugekommen und einige auch nicht mehr dabei sind. Insofern ist es schon schön, dass ich so lange durchgehalten habe. (lacht)
Wie ist das, wenn du mit neuen Kolleginnen und Kollegen spielst: Hat sich die Art und Weise verändert, wie die sich Stoffen und Figuren nähern?
Das ist individuell sehr unterschiedlich. Aber es ist natürlich toll, mit jungen Kollegen zu arbeiten. Mit Leonie Benesch habe ich nun schon zum zweiten Mal gedreht, was sehr schön ist. Interessant ist, dass sich die Branche an sich in den letzten Jahren durch die Streamer total verändert hat, und das hat auch Auswirkungen auf die Menschen, die Filme machen. Auch hinsichtlich Publicity hat sich durch Social Media wahnsinnig viel getan – also hinsichtlich der Möglichkeiten, wo du sichtbar werden kannst. Wenn du das denn willst.
In welchen Bereichen merkst du diese Veränderungen am meisten?
Zum einen ist der Markt, eben insbesondere durch die Streamer, sehr viel internationaler geworden. Ich habe zum Beispiel in den letzten Jahren viel international drehen können und wenig in Deutschland. Die Welt wächst durch die Streamer zusammen, Stoffe werden viel übergreifender erzählt und es gibt mehr Aufgeschlossenheit gegenüber Schauspielern aus anderen Ländern. Zum anderen höre ich aber insbesondere von jungen Kollegen, dass es mittlerweile auch Besetzungen nach Follower-Zahlen gibt, und das ist irgendwie vielleicht keine so gute Veränderung.
Wo es also weniger um schauspielerische Qualität, sondern um Reichweite geht?
Sicherlich nicht ausschließlich, aber Reichweite ist dann eben auch ein Kriterium. Früher gab es durch die Ermittlung von Zuschauerzahlen zwar auch schon Vergleichbares. Social Media spielt natürlich auch als Werbefläche heute eine wichtige Rolle, vor allem weil die alten Medien leider in dieser Hinsicht an Relevanz und Sichtbarkeit verloren haben.
Wie nutzt du Social Media?
Ich kann Social Media leider nicht wirklich und möchte das auch nicht so richtig. Es ist doch ein großer Aufwand und hat auch wenig damit zu tun, was wir als Schauspieler eigentlich machen. Ich habe da zudem eine total naive Sorge, dass mir das was wegnimmt – so ein bisschen wie Native Americans, die sich früher nicht fotografieren lassen wollten aus Angst, das würde ihnen einen Teil ihrer Seele rauben. Ich habe eine ähnliche Sorge: dass das etwas von mir preisgibt, was ich für meine Arbeit brauche.
Also verweigerst du dich Social Media komplett?
Nein, ich habe Instagram, aber ich nutze das eher wie eine Website: Ich poste ab und zu Dinge, die mit meiner Arbeit zu tun haben. Aber eigentlich erwarten viele Social-Media-Nutzer, glaube ich, private Einblicke, und das ist nicht so meins. Die Jungen können damit auch viel besser umgehen, weil sie da reinwachsen. So Mittelalte wie mich stellt das schon vor Herausforderungen. (lacht)
Wie bist du zu „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ gekommen?
Wolfgang und ich hatten uns im November 2023 in der Filmakademie gesehen und uns dann im Januar 2024 wieder getroffen. Mitte 2024 rief er mich dann an und meinte, er würde mir gerne mal das Buch schicken. Ich saß gerade im Zug von Köln nach Berlin, habe das noch auf der Fahrt gelesen und fand es total toll.
Daniel Brühl, Jürgen Vogel, Leonie Benesch, Thorsten Merten, Peter Kurth, Charly Hübner, du – der Cast des Films liest sich ein bisschen wie das Who’s who des deutschen Films. So als hätte man Wolfgang Becker dadurch noch mal eine letzte Ehre erweisen wollen. Kann man das im Rückblick so sehen?
Das war sicher nicht die Motivation. Wolfgang ist so ein respektierter, geachteter und besonderer Regisseur, dass er das gar nicht nötig gehabt hat.
Aber gerade deshalb wollten die Leute wahrscheinlich alle mitmachen.
Ja, wegen Wolfgang als Regisseur – nicht, weil es nun sein letzter Film ist. Und weil das Buch und die Geschichte so wahnsinnig gut sind. Ich kann natürlich nicht für Daniel sprechen, aber er ist Wolfgang sicherlich auch sehr verbunden wegen der Filme, die die beiden zusammen gemacht haben: „Ich und Kaminski“ und „Good Bye, Lenin!“
Christiane Paul über Wolfgang Becker
Du hast in einem anderen Interview mal gesagt, diesen letzten Film mit Wolfgang machen zu können, hätte dich zutiefst glücklich gemacht. Wann hast du von der Krebserkrankung Wolfgangs erfahren?
Ich wusste das schon länger, aber als wir uns im Januar 2024 getroffen haben, haben wir noch mal länger darüber gesprochen. Er hatte auch Phasen, in denen es ihm wirklich schlecht ging, aber kurz vor Drehbeginn hatte die Therapie ganz gut angeschlagen, sodass er überhaupt die Kraft hatte, diesen Film zu machen. Wir haben auch extra mit einem kleinen Team gearbeitet, um beweglich und flexibel sein zu können. Dieses Team bestand aus Weggefährten, die diesen Film nicht nur mit, sondern auch für Wolfgang gemacht haben. Das hat am Set eine ganz besondere Stimmung erzeugt. Es war wirklich schön, ein Teil davon zu ein.
Wolfgang hat in seinen Filmen zudem meist nicht nur ein Thema verhandelt, sondern mehrere parallel. Welches ist für dich der wichtigste, treibende Erzählstrang von „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“?
Vergangenheit. Auch DDR-Vergangenheit. Identifikation. Wer sind wir? Woher kommen wir? Was macht uns aus? Was sind unsere Geschichten? Und inwieweit hat die Vergangenheit einen Einfluss darauf, wie wir jetzt leben?
Die ganze Welt könnte sich mal wieder versöhnen
Christiane Paul

Gefühlt wirst du in jedem Interview auf dein Aufwachsen in der DDR angesprochen. Zwischenzeitlich ist dir das auch ein bisschen auf die Nerven gegangen. Nun ist die DDR ein zentraler Teil des Films, sodass du nun wieder viel drüber sprechen musst.
Dass ich diesen Überdruss zu dem Thema empfunden habe, ist schon lange her. Wir erleben ja gerade immense politische Veränderungen, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern, und wir müssen unsere Geschichten erzählt bekommen. Dafür brauchen wir Bilder, Geschichten, Filme, Bücher – weil das Identifikation schafft. Diese Narrative müssen Teil unserer gesamtdeutschen Geschichte sein.
Meinst du, dass das helfen kann, um der Spaltung innerhalb der Gesellschaft entgegenzuwirken?
Diese beunruhigenden Veränderungen und Unzufriedenheiten rühren zumindest auch daher, dass das ostdeutsche Narrativ in den letzten dreißig Jahren ein bisschen zu kurz gekommen ist. Insofern empfinde ich „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ als eine sehr rührende und unterhaltsame Geschichte, ohne dass Fronten aufgemacht werden, ohne dass irgendwas pädagogisch ist, ohne dass irgendjemand schuld ist. Als ich das Drehbuch gelesen habe, habe ich sofort gedacht: Das ist der Film, den wir jetzt alle brauchen. Der hat etwas Versöhnliches. Und das können wir nicht nur als Nation gebrauchen – die ganze Welt könnte sich mal wieder versöhnen. Aber dafür braucht es eben auch eine Erinnerung daran, was uns eigentlich verbindet. Und das leistet dieser Film.
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 12/25 erschienen

