Club-Kataster: Musikspielstätten kartieren statt verlieren

Foto: Carolin Lorenz

Die Musikspielstätten der Stadt können dank des Clubkombinats Hamburg in Zukunft schwerer übersehen werden: Kürzlich ist mit dem Club-Kataster eine Art Stadtentwicklungs-Google-Maps zur Verortung der lokalen Clubszene online gegangen

Text: Levke Marie Nielsen

Über 10.00 Supporter der Petition zur Kampagne Future Music City forderten 2018 den Einsatz der Stadt Hamburg gegen drohendes Clubsterben, für den Erhalt von Kultur(frei)räumen und die Anerkennung des gesellschaftlichen Wertes von Musikclubs als soziale und kulturelle Orte.

Teile des Appells fanden bereits Gehör. Örtliche Politik wie Behörden investierten finanziell-strukturell und mit größerer Aufmerksamkeit in die Interessen der Clubmacher, Künstler, Musikliebhaber und eben auch manch ruhebedürftiger Anwohner. Hilfen für Lärmschutzmaßnahmen wurden bereitgestellt, einige Auflagen zumindest überdacht und Förderungen für Veranstaltungen aufgestockt. Doch viele Probleme bleiben – vor allem, wenn es um bisher vornehmlich Investoren orientierte Entscheidungen über Bauvorhaben im näheren Radius von Clubs geht und bei der Entwicklung von Nutzungskonzepten für Freiflächen Kultur nicht mitgedacht wird.

Ein Seismograf für die bedrohte Clublandschaft

Das Clubkombinat, Hüter Hamburger Musikspielstätten und deren Interessenvertretung, ruhte sich jedoch nicht auf dem ersten Erfolg der Kampagne aus, sondern schmiedete den nächsten Masterplan: ein Club-Kataster. „In Zeiten zunehmend verdichteter Städte und Flächenverwertungsdruck geraten Clubs immer mehr in Bedrängnis. Eine Stadt ist gut beraten, wenn sie sich einen Überblick über die Lage und die Entwicklung der Musikspielstätten verschafft“, so Thore Debor, Geschäftsführer des Clubkombinats.

Beim diesjährigen Reeperbahn Festival wurde nun auf zwei Veranstaltungen das Tool von Experten diskutiert und vorgestellt, welches der Club-Lobby ein frühzeitiges Ein- und Mitmischen in Stadtentwicklung und -management erlauben soll – und zwar schon bevor die Abrissbirne bedrohlich vor der Nase der Clubbetreiber schwingt. Dafür wird eine digitale Stadtkarte mit Geodaten der Clubs gefüttert und in Zusammenarbeit mit der Behörde für Stadtentwicklung fließen aktuelle Bebauungs- und Flächennutzungspläne ein. „Das Clubkombinat sammelt und pflegt die Daten und überträgt diese per Schnittstelle an den Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung, der die Daten dann einspeist“, erklärt Debor. Bevor Musikspielstätten eingetragen werden können, müssen sie die Informationen über sich freigeben. Sie erscheinen dann als kleine grüne Lautsprechersymbole.

Das Club-Kataster wird von der Kulturbehörde gefördert. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Die Musikclubs tragen das ganze Jahr zur Lebensqualität und kulturellen Vielfalt der Stadt bei. Mit dem Club-Kataster ist jetzt transparent, wo es überall Clubs in der Stadt gibt, um künftig schon im Planungsstadium mögliche Zielkonflikte zwischen Bauvorhaben und kultureller Nutzung zu lösen.“

Miteinander reden 2.0

Wie dies in der Praxis funktioniert erklärt Thore Debor so: „Aktuell erstellen wir einen automatischen Alarm, der eine Nachricht erzeugt, sobald bestehende Musikspielstätten von neuen Bebauungsplänen bedroht sind. So können wir die betroffenen Clubs informieren und deren Belange einholen.“ Das Kataster kann den Clubs als Empowerment-Werkzeug für eine datenbasierte Argumentation dienen und zwischen Immobilienplayern, Verwaltung und Kulturschaffenden vermitteln. Nur so könne angesichts der Nachverdichtung in Städten, Lärmbeschwerden und Verdrängung von Clubs an den Stadtrand – auch wegen steigender Mieten – vorgebeugt werden.

Beim Reeperbahn Festival stieß das Projekt auf breite Zustimmung. Im Rahmen der Konferenz kamen Experten zum Thema „Integrierte Stadtentwicklung – Kultur goes Stadtplanung“ zusammen. Das Hamburger Club-Kataster habe bundesweit Vorbildcharakter. Till Kniola vom Kulturamt Köln bestätigte die Wichtigkeit aus Verwaltungssicht. Ein Äquivalent sei in der Domstadt ebenfalls in Planung. Für die Clubstadt Berlin existiert bereits eine Beta-Version. In Leipzig wird über ein umfassenderes Kultur-Kataster diskutiert, das Kultur in all seinen Bedeutungen und mit entsprechenden Veranstaltungsorten abbildet.

Doch egal, wo man hinschaut, die Mission lautet nicht nur Bewahrung des aktuellen Bestands, sondern idealerweise auch „potenzielle Eroberungs- und Erprobungsräume für die kreativen Szenen zu identifizieren und verfügbare Flächen in neuen Stadtquartieren zu etablieren“, so Thore Debor vom Clubkombinat. Architektin und Stadtgestalterin Julia Erdmann plädiert dafür, frühzeitig interdisziplinäre Perspektiven in den Planungsprozess miteinzubeziehen. Schon im Zuge der Ideenentwicklung für ein neues Quartier sollten alle Interessen im Stadtteil, auch die kulturellen, berücksichtigt werden. Beteiligung, so simpel es klingen mag, sei kein Selbstverständnis.

Übrigens: Musikspielstätten vergangener Tage werden im Hamburger Club- Kataster ebenfalls abgebildet. Denn auch die Analyse des Niedergangs könnte bei der Erhaltung aktueller und künftiger Clubstandorte helfen – und vielleicht lässt sich aus diesen Fällen für die Future Music City lernen.

clubkombinat.de/projekte/ club-kataster


szene-hamburg-november-2019Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG, November 2019. Titelthema: Sexualität. Das Magazin ist seit dem 27. Oktober 2019 im Handel und zeitlos im Online Shop oder als ePaper erhältlich! 


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