In Zeiten von Corona steht auch das Nachtleben komplett still. Wer trotzdem Clubluft schnuppern möchte, kann dies bei virtuellen 3D-Touren tun. Der Kulturwissenschaftler Alwin Brehde archiviert Musikclubs mit einzigartiger Technik
Text: Mirko Schneider
Wenn Alwin Brehde (29) Lust auf einen Besuch des Fundbureaus hat, muss er dafür nicht zur Sternbrücke fahren. Er schaltet einfach seinen Computer ein. Brehde greift aber nicht auf Bilder aus dem Internet zurück, sondern auf seine eigene virtuelle 3D-Tour. Er ist Unternehmer, „Rundblick 3D“ heißt sein 2016 gegründetes Startup. Werbeslogan: „Interaktive Besichtigung von realen Räumen in der virtuellen Welt.“
Durch eine einst in den USA für 5.000 Euro erstandene Spezialkamera mit eingebautem Motor wird 360-GradFotografie mit 3D-Scans kombiniert. Auf diese Weise schafft Brehde ein begehbares, fotorealistisches Modell eines Raumes. Die Kamera dreht sich von ihrem Standpunkt aus im Kreis und nimmt 36 Einzelaufnahmen auf. Das Ergebnis sind im 3D-Raum verortete Bilder von sehr hoher Qualität, die dem Betrachter das Gefühl vermitteln, er stünde selbst im Raum. Brehde ist Pionier, sein Startup war das erste mit dieser Technologie.
Plötzlich taucht beim virtuellen Rundgang durch das Fundbureau ein Hund auf – und ist ebenso schnell wieder weg. „Das ist der Geisterhund“, sagt Brehde und schmunzelt. „Beim Scannen werden in jedem Raum verschiedene Standpunkte eingenommen. Und in diesem Fall war der Hund bei einer der Aufnahmen für kurze Zeit im Bild und hat sich dann wieder woanders hingelegt.
„Musikclubs spielen für die Stadtkultur eine wichtige Rolle“
Alwin Brehde
Doch natürlich geht es dem studierten Kulturwissenschaftler nicht hauptsächlich um diese nette tierische Episode. Seine Brötchen verdient er durch verschiedene Aufträge. Er scannte bereits die Millerntor Gallery oder den Bunker unter dem Bismarck-Denkmal. Auch virtuelle 3D-Touren von Ferienhäusern bietet er an. Ein Musikclub wie das Fundbureau zieht ihn aber nicht aus monetären Gründen an. „Ehrlich gesagt, mache ich das in diesem Fall aus Idealismus“, sagt Brehde. „Als Kulturwissenschaftler interessiere ich mich sehr dafür, wie sich die Stadt Hamburg und besonders die Stadtkultur entwickelt. Für mich spielen Musikclubs dabei eine wichtige Rolle, das es sich um gewachsene Strukturen handelt, Orte die ihre eigenen Geschichten erzählen. Virtuelle Rundgänge können ein digitales Archiv für Erinnerungen sein, Räume der Vergangenheit bewahrt, durch die man buchstäblich hindurchgehen kann. Meiner Meinung nach sind auch Musikclubs kulturell schützenswert. Indem ich diese gefährdeten Orte virtuell archiviere, möchte ich auch die Arbeit des Clubkombinats und des Denkmalvereins unterstützen. Die Clubs Fundbureau, Astra Stube und Waagenbau sind ja gleichermaßen vom Abriss bedroht.“
Die Deutsche Bahn will die 1926 erbaute, altehrwürdige Sternbrücke abreißen und neu aufbauen, da eine Sanierung nicht möglich sei. Aktuell besitzen die drei Kultclubs einen Mietvertrag bis Ende 2022. Eigentlich sollte schon Ende dieses Jahres endgültig Schluss sein, Ausweichstätten fanden sich bisher nicht. Wie es mit dem Bauvorhaben weitergeht, ist derzeit unklar.
Brehde betrachtet die Auseinandersetzung zudem aus historischer und philosophischer Perspektive. „Einerseits“, so Brehde, „ist das natürlich stets eine subjektive Haltung. Die damaligen Hafenarbeiter fanden zum Beispiel den Bau der Speicherstadt absolut nicht notwendig, heute gilt sie als Wahrzeichen Hamburgs. Dennoch liegt der Fall hier für mich anders. Und ich finde die Diskussion sehr interessant, warum Musikclubs immer noch als Vergnügungsstätten gelistet und damit beispielsweise mit Stripteaseclubs und Glücksspielhallen gleichgestellt werden? Das ist bei all der Musikgeschichte, die sich hier abgespielt hat, eine durchaus berechtigte Frage.“
Entdeckt das Fundbureau in 3D
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Bewusst bietet Brehde die virtuellen Rundgänge von Fundbureau, Astra Stube und Waagenbau kostenlos auf seiner Webseite an. Besonders schön: Er hat nicht nur das authentische Club-Flair mit Tags, Bühnen, KreideSpeisekarten oder „FCK AFD“-Aufklebern eingefangen (Brehde: „Es freut mich doch immer wieder, so etwas zu sehen!“), sondern auch Lernmaterial in den 3D-Räumen versteckt. So sind unter anderem Originalbilder des Baus der Sternbrücke aus dem Jahr 1926 zu sehen, um die historische Dimension des Ortes zu zeigen. „Mir geht es darum, die kulturelle Vielfalt sichtbar zu machen. Und ich würde mich sehr freuen, wenn dadurch eine Diskussion in Gang kommt, bei der sich auch Leute beteiligen, die nicht unbedingt in die Clubs gehen. Das Thema braucht eine größere Öffentlichkeit.“
Mit diesem Ansinnen rennt Brehde beim Clubkombinat, dem Verband der Hamburger Clubbetreiber, offene Türen ein. „Für uns ist das eine sehr begrüßenswerte Aktion“, sagt Geschäftsführer Thore Debor (43). „Es ist eine neue Form, auf gefährdete Orte aufmerksam zu machen, indem man sie virtuell historisiert.“ Zum Rückkehrrecht der Clubs nach einem eventuellen Neubau der Sternbrücke kann Debor noch keine Auskunft geben: „Da ist noch nichts endgültig entschieden.“
„Der besondere Charakter der Sternbrücke sollte unbedingt erhalten bleiben“
Kristina Sassenscheidt
Genau wie das Clubkombinat freut sich auch der Denkmalverein Hamburg über Brehdes Arbeit: „Ich finde es total eindrucksvoll, wie sich mit dieser Technik ganz neue Erzählformen entwickeln“, so Geschäftsführerin Kristina Sassenscheidt (42). „Man bekommt überraschende Einblicke, die weit über die Möglichkeiten einer textlichen Beschreibung hinausgehen.“
Auf der Webseite des Vereins finden sich unter dem Stichpunkt „Gefährdet“ eine Reihe bedrohter Orte, darunter auch die Sternbrücke. Sassenscheidt: „Ich wohne gar nicht weit entfernt. Es ist einer der urbansten und vitalsten Stadträume in Hamburg mit seiner speziellen Mischung aus Altbauten, unterschiedlichen Verkehrsformen und dem pulsierenden Nachtleben. Der besondere Charakter dieses Ortes sollte unbedingt erhalten bleiben.“
Deshalb wurde Anfang März die „Initiative Sternbrücke“ gegründet, der auch der Denkmalverein angehört. Auch Brehde freut sich über die Initiative. Der Denkmalverein hat ihm bereits Tipps zu weiteren gefährdeten Orten zukommen lassen, deren Einzigartigkeit er in virtuellen 3D-Rundgängen der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen könnte. „Beim Gründungstreffen der Initiative waren über 50 Leute. Was sofort deutlich wurde, ist der große Wunsch nach Partizipation“, sagt Sassenscheidt. „Sowohl die Brücke als auch ihre gewachsene Umgebung halten wir alle für sehr wichtig.“
Mehr Infos und 3D-Rundgänge unter rundblick3.de
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, April 2020. Das Magazin ist seit dem 28. März 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!