Corona trifft die, die schon vorher weniger hatten

Das Armutsrisiko in Hamburg steigt: Trotz staatlicher Unterstützung fallen viele Menschen während der Pandemie durchs Raster
Corona trifft die, die schon vorher wenig hatten (Foto: unsplash/Markus Winkler)
Corona trifft die, die schon vorher wenig hatten (Foto: unsplash/Markus Winkler)

Flaschensammler bessern rund um Millerntor und Barclays Arena ihr Einkommen auf. Straßenmusiker erspielen sich auf dem Kiez ein paar Euro. Trinkgeld landet im Pott – und wird nach der Schicht unter allen, die an der Bar ackern, aufgeteilt. Das sind Bilder, die uns bis März 2020 vertraut waren. Sie sind seltener geworden.

Stadien sind leer, der Kiez ist weit weg vom Trubel früherer Jahre. Bars sind geschlossen. Corona hat gerade die, die schon vor der Pandemie nicht viel hatten und kreativ sein mussten, um im teuren Hamburg klarzukommen, noch ärmer gemacht. Eine Zahl belegt das. Sie prägt den vor wenigen Wochen präsentierten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, in dem das erste Corona-Jahr beleuchtet wird. Demnach lag Hamburgs Armutsrisiko-Quote bei 17,8 Prozent und somit über dem bundesweiten Niveau von 16,1 Prozent. Das Risiko, in die Armut abzugleiten, stieg in Hamburg deutlich an – von 15 Prozent im Jahr zuvor.

Pandemiebedingte Mehrkosten

„Angesichts des wirtschaftlichen Einbruchs überrascht uns der Anstieg der Armutsquoten nicht“, so Kristin Alheit, die die Geschäfte beim Paritäten führt. Dass die Zahlen nicht dramatischer gestiegen seien, liege offensichtlich an den rasch von Bund und Hamburger Senat ergriffenen Maßnahmen wie dem Kurzarbeiter- und dem Überbrückungsgeld. Viele Menschen hätten zwar schmerzhafte Einbußen hinnehmen müssen, seien dank stattlicher Maßnahmen jedoch noch nicht in die Armut abgerutscht.

Wichtig sei allerdings, dass die Hilfen auch 2022 nicht gekappt würden. Denen, die schon vor Corona wenig hatten, helfen Förderungen jedoch eh kaum. „Ihre Not ist gewachsen, etwa durch das Verschwinden von Pfandflaschen aus dem öffentlichen Raum und das stark eingeschränkte Angebot der Tafeln insbesondere zu Beginn der Pandemie“, so Alheit. Hinzu kämen pandemiebedingte Mehrkosten, etwa für Desinfektionsmittel und Masken.

Besonders betroffen seien Frauen

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Kristin Alheit: Geschäftsführende Vorständin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Hamburg (Foto: Paritätischer Wohlfahrtsverband)

Die Belastung am untersten Rand dieser Gesellschaft war und ist auch in Hamburg besonders groß. Milliarden Euro schwere Konjunkturprogramme kommen bei vielen Menschen gar nicht erst an. So wurde der ausgezahlte Kinderbonus von 300 Euro pro Kind nicht mit Hartz-IVLeistungen verrechnet. Es dauerte bis zum Mai 2021, bis alle Beziehenden von Hartz IV und Altersgrundsicherung einen einmaligen Betrag von gerade einmal 150 Euro ausgezahlt bekamen. Besonders hoch ist das Armutsrisiko laut Statistik bei Familien mit drei und mehr Kindern (30,9 Prozent) sowie bei Alleinerziehenden (40,5 Prozent). Erwerbslose und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sowie Migrationshintergrund sind ebenfalls stark überproportional betroffen.

„Die allgemeinen Folgen der Pandemie trafen Arme ungleich härter“, sagt auch der Präsident des Paritäten, Ulrich Schneider. Zudem seien insbesondere selbstständige Erwerbstätige die Einkommensverlierer der Corona-Krise. Das schlage sich auch in den Armutsquoten nieder. Dazu passt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft, der zufolge die Pandemie für viele Selbstständige zu einem Einkommensschock führte. Der Anteil derer, die ihr Geschäft aufgeben und danach keinen sozialversicherungspflichtigen Job finden, sei von neun auf 15 Prozent gestiegen. Besonders betroffen seien Frauen. Dies erkläre sich wahrscheinlich dadurch, dass sie in den ersten Monaten der Pandemie branchenbedingt häufiger Einkommensverluste erlitten als selbstständige Männer.

Stadt der Kreativen

Damit entwickele sich die COVID-19-Pandemie mehr und mehr zu einer Krise für selbstständige Frauen. Dies wirke sich letztlich nicht nur auf die betroffenen Selbstständigen selbst aus, sondern ebenso auf deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie auf diejenigen Wirtschaftszweige, etwa das Gastgewerbe, den Handel oder auch das Beherbergungsgewerbe. Während Manager großer Onlinehändler ihr Geld zählen und Supermarktketten zu den Gewinnern der Krise gehören, wenn Menschen nicht mehr ins Restaurant gehen, trifft die Krise kleinere Unternehmer mit voller Wucht. Etwa in Hamburgs Gastro: Die Daniela Bar ist nur eines von vielen Beispielen.

„Zum Heulen ist uns jetzt ganz besonders, da wir nach 21 Monaten Pandemie, Lockdowns und etlichen Verordnungen mit unserer Kraft und Leidenschaft am Ende sind“, lauteten bei Instagram die Abschiedsworte der beiden Wirtinnen, Florence Mends-Cole und Patricia Neumann, bevor sie die Tür der 1992 eröffneten Institution vor einigen Tagen zum letzten Mal schlossen. Auch im altehrwürdigen Landhaus Walter am Stadtpark etwa drohen gerade die Lichter auszugehen. Hinter den Läden stehen nicht nur Betreiber, sondern auch Menschen, die oft für kleines Gehalt servieren, abräumen und freundlich sind. Trinkgelder machen oft einen erheblichen Teil der Einkünfte aus. Diese Einbußen tauchen in keiner Statistik auf. Hamburg ist eine Stadt der Kreativen, der Künstler, Musiker und Schauspieler. Viele von ihnen sitzen ohne Aufträge da, wechseln die Branche, um ihr Leben zu bestreiten und ein Auskommen zu haben. Somit droht auch kulturelle Verarmung.

Folgen noch nicht absehbar

Keine Frage, dass ein Hamburg ohne Konzerte, mit harten Einschnitten bei Ausstellungen und dem Theater an Lebensqualität einbüßt. Mal ganz abgesehen von den Menschen, die nahe am Kulturbetrieb leben, von Bühnenbauern, Beleuchtern und Ausstattern. Und den Clubs, Bars und Hallen, die oft gerade denen Jobs bieten, die es auf dem Arbeitsmarkt nicht so leicht haben. Immerhin gibt es Licht am Ende des Tunnels. So hat sich die Arbeitslosenquote in Hamburg von 8,8 Prozent im ersten Lockdown mittlerweile bei rund 6,5 Prozent stabilisiert.

Die Frage, wie weit Corona sich in puncto Armut auswirkt, kann allerdings noch längst nicht abschließend beantwortet werden. Etwa weil Kündigungen und Räumungsverfahren während der Pandemie ausgesetzt sind. Sie werden nachgeholt werden, sobald die gesundheitspolitische Lage sich entspannt. Viele, die durch Corona in akute Not geraten sind, werden auch dann noch kämpfen. Experten befürchten, dass dann viele Menschen ihre Wohnungen verlieren werden. Gerade in Hamburg, wo die durchschnittliche Miete sich trotz Pandemie in den vergangenen zwei Jahren um 7,3 Prozent erhöht hat.

Paritätischer Wohlfahrtsverband Hamburg


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