Sechs hohe Spiegel erweisen sich im Bühnenstück „Dantons Tod Reloaded“ am Thalia Gaußstraße als wahre Verwandlungskünstler. Sie fungieren als Kulissen oder Displays und lassen sich von den Darstellern verschieben oder zur Selbstbespiegelung einsetzen. Die Klarheit der Bühne (Mitra Nadjmabadi) findet aber in der Inszenierung keine Entsprechung. Der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani und seine Co-Autorin Mahin Sadri überfrachten Georg Büchners Revolutionsdrama mit Themen wie Protest, Streikkultur, Solidarität, sexuelle Belästigung und Zensur.
So verschwimmt durch die Fülle der Bezüge die Kernaussage: Zu jeder Zeit ist die Freiheit mit allen Mitteln zu verteidigen. Dass dabei aktuelle Ereignisse im Iran mitgedacht werden sollen, legte schon das Datum der Uraufführung nah. Genau ein Jahr zuvor, am 16. September 2022, starb die wegen „unislamischer Kleidung“ in Teheran verhaftete Kurdin Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei. Ihr Tod stieß die Protestbewegung „Woman Life Freedom“ an, auf die das Regime mit menschenverachtenden Maßnahmen reagiert.
Iran als Thema
Die Inszenierung greift die Zustände im Iran in der Nebenhandlung auf: Eine Frau verschwindet, nachdem sie sich in den sozialen Medien ohne Hidschab gezeigt hat. Eine letzte Botschaft geht an ihre Schwester in Paris, die zu einer Schauspieltruppe gehört. Wegen eines Streiks können die fünf Akteure dort nicht auftreten, spielen „Dantons Tod“ dann aber doch, wobei sie zwischen Bühnenrealität und Drama hin und her switchen. Kompliziert wird das Stück im Stück durch die Beziehung zwischen dem übergriffigen Danton-Mimen (überdreht: Stefan Stern) und der Camille-Darstellerin (Pauline Rénevier), deren Vater (sehr stark: Oliver Mallison) den Robespierre gibt. Die Guillotine frisst am Ende die Kinder der Revolution, zugleich erzählt die vermisste Iranerin (Mahin Sadri) per Video ihre Geschichte.
„Dantons Tod Reloaded“, Thalia Gaußstraße, 10. und 29. Oktober 2023 sowie weitere Termine
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 10/2023 erschienen.