Gespräche über unsere Vergänglichkeit werden oft um jeden Preis vermieden. Ganz anders im „Death Café“. Dort holen Ute Arndt und Ina Hattebier den Tod regelmäßig an den Tisch, bei Kaffee und Kuchen.
Text und Fotos: Sophia Herzog
Donnerstagabend, kurz vor 19 Uhr, ein Café in Eppendorf: Eine Frau sitzt an einem Tisch am Fenster und blickt nervös auf ihre Uhr. „Ist hier noch frei?“, fragt eine zaghafte Stimme. Die Dame am Tisch blickt auf, nickt, lächelt. „Sind Sie auch das erste Mal dabei?“. Erneutes Nicken. Die Stühle um den Tisch füllen sich. Man ist schnell beim Du. Und dann auch gleich bei der Frage: „Warum beschäftigt ihr euch denn mit dem Tod?“
Dieser Einstieg ist kein ungewöhnlicher im „Death Café“. Denn hier treffen sich zwei Stunden lang fremde Menschen und tauschen sich, ganz zwanglos, über den Tod oder ihre Trauererfahrungen aus: Sterbebegleiter, Pflegekräfte, Hospiz-Praktikanten und Privatpersonen, die sich einfach nur für das Thema interessieren.
Nicht alle, aber einige haben selbst eine nahestehende Person verloren. „Wir sind keine Trauer-Selbsthilfegruppe“, betont Ina Hattebier. „Wer noch in tiefer, akuter Trauer steckt, der ist bei uns eigentlich nicht richtig.“ 2015 gründete Ina gemeinsam mit Uta Arndt und drei weiteren Mitstreitern das „Netzwerk Trauerkultur“ und veranstaltet seitdem immer wieder Ausstellungen und Workshops zu Themen rund um Tod und Trauer, unter anderem zu Bestattungskulturen anderer Länder.
Seit 2016 gehören auch die Death Cafés zum Programm. Die Teilnehmerzahl ist seit den Anfängen stetig gestiegen und knackte vor Kurzem die Dreißigermarke. „Das Ganze hat eine richtige Eigendynamik entwickelt“, bestätigt Ina. Und obwohl die Gruppe des Netzwerks Trauerkultur inzwischen von fünf auf zwei geschrumpft ist, ist an Aufhören gar nicht zu denken. „Wir könnten gar nicht aufhören, selbst wenn wir wollten“, fügt Ute hinzu. Denn das Death Café ist für viele inzwischen ein beliebter Treffpunkt geworden.
Auch, wenn das Death Café das einzige seiner Art in der Hansestadt ist – neu erfunden haben Ina und Ute das Format nicht. Denn hinter den Hamburger Treffen steht eine internationale Bewegung: Anfang der 2000er Jahre lud der Schweizer Soziologe Bernard Crettaz zum ersten „Café mortel“. Knappe zehn Jahre später entdeckte der Brite Jon Underwood das Format für sich, und machte es schließlich zu dem „Social Franchise“, dass es heute ist. Über 8.000 Treffen in 65 Ländern sollen laut Website des internationalen Death Cafés seit 2011 abgehalten worden sein.
Die Organisatoren sind häufig Menschen, die sich auch beruflich mit dem Tod auseinandersetzen – so auch Ina, die als Künstlerin Urnen gestaltet und Ute, die Trauerrednerin ist. Wer das Format in seine eigene Stadt bringen will, darf das Label „Death Café“ nutzen, solange dabei einige einfache Regeln eingehalten werden. Die Veranstaltungen sollten nicht kommerziell und offen für alle sein. Ein Einstiegsthema ist erlaubt, aber kein Muss.
„Sie brauchen einen Rahmen für das Gefühl“
An diesem Donnerstag geht es um Erb- und Erinnerungsstücke – ein Thema, das an vielen Tischen schnell abgehandelt ist, und wie ein Türöffner für andere Gesprächsstoffe wirkt. Eine Gruppe tauscht sich über wertvolle, letzte Momente mit ihren Angehörigen aus. An einem anderen Tisch sprechen die Gäste darüber, wie sie Trauernde besser unterstützen können. Und gleich daneben geht es um das Leben nach dem Tod. Über was genau sie sprechen wollen, können alle Teilnehmer frei entscheiden, sowohl Lachen als auch Weinen ist erlaubt.
Hier sollen Menschen den Mut haben, offen über alles zu sprechen, was sie mit Tod und Trauer verbinden. „Wir haben nie richtig gelernt, über unsere Sterblichkeit zu sprechen und unsere Gedanken dazu auszudrücken“, findet Ute. Besonders die Nachkriegsgeneration schiebt das Thema gerne von sich, und die steigende Lebenserwartung der Menschen rückt den Tod in die weitere Ferne. „Wir sind einfach auf das Leben gepolt“, fügt Ina hinzu, und betont, dass das natürlich auch gut so sei. „Aber die Beschäftigung mit Sterben und Tod gehört zum intensiven Leben dazu.“ In ihren Berufen begegnen den beiden Organisatorinnen immer wieder Menschen, die ein deutliches Diskussionsbedürfnis haben. „Sie brauchen nur einen Rahmen dafür und das Gefühl, dass sie dürfen.“
Dürfen, das bedeutet im Death Café: Zuzuhören, ohne sprechen zu müssen. Zu sprechen, ohne vom Gegenüber verurteilt zu werden. Wer hier von einem Verlust spricht, stößt weder auf betroffenes Schweigen noch auf mitleidige Gesichtsausdrücke – viel eher auf Verständnis und Interesse. Während es draußen langsam dunkel wird, rücken einige Gruppen näher zusammen, um sich über den Geräuschpegel der vielen Diskussionen besser zu verstehen. Ihre Köpfe sind gesenkt, vertieft ins Gespräch. „Da flirrt die Luft“, beschreibt Ina die Atmosphäre. Dass sich die Teilnehmer auf diese Weise öffnen können, liegt auch daran, dass sich keiner vorher kannte.
„Wir sprechen ständig über Liebe“
Niemand muss sich darum kümmern, dass die anderen sich Sorgen oder Gedanken machen. „Hier weiß jeder, man teilt den Abend und die Erfahrungen, man ist aber auch nicht weiter verantwortlich für das Glück des anderen.“ Damit das so bleibt, wechseln Ute und Ina das Café mit jeder Veranstaltung. So können sich die Teilnehmer nicht an ihren Stammplatz setzen und mit der immer gleichen Gruppe sprechen. „Die Gäste bekommen dann nicht so ein Heimatgefühl und gehen jedes Mal wieder mit neuer Offenheit in den Abend.“
Als Ute um Viertel vor neun das Schlusssignal gibt, tauchen die Teilnehmer nur langsam wieder aus ihren Gesprächen auf. Manche wechseln den Tisch, um noch schnell Bekannte zu begrüßen oder sich kurz mit den Nachbarn auszutauschen. Nach und nach schlüpfen alle in ihre Jacken, aber niemand geht, ohne sich zu bedanken. „Danke für eure Offenheit“ ist die Abschiedsformel des Abends. „Die meisten gehen beseelt und bestärkt“, erzählt Ute. Ganz frei über den Tod zu sprechen, ist für viele eine ungewohnte Erfahrung – aber eine positive. „Wir sprechen ständig über die Liebe“, so Ute, „in jeder Werbung, bei jedem Smalltalk.“ Das Sprechen über den Tod sei hingegen schon fast ein Tabu, obwohl es doch genauso zum Leben dazugehöre.
„Oder wie der Berliner Bestatter Ulrich Gscheidel es einmal sagte“, erinnert sie sich noch, „Trauern ist nichts anderes, als rückwärts zu lieben.“
Death Café Hamburg: Netzwerk Trauerkultur
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Mai 2019. Das Magazin ist seit dem 27. April 2019 im Handel und zeitlos im Online Shop oder als ePaper erhältlich!