Der jüdische Architekt Lázló Tóth (grandios: Adrien Brody) emigriert 1947 in die USA. Nirgendwo ist der Holocaust-Überlebende mit dem starken ungarischen Akzent willkommen: Die Prostituierte findet ihn hässlich, sein Cousin wirft ihn raus. Der erhofft Neuanfang im Land der unbegrenzten Möglichkeiten endet im Männerwohnheim. Dort findet Lázló den ersten und vielleicht einzigen loyalen Freund. Mit Hilfsarbeiten hält er sich über Wasser, versucht durch Drogen, dem Schmerzen und den Erinnerungen zu entfliehen. Sein Leben verändert sich schlagartig, als der prominente Industrielle Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) in einer Zeitschrift die Entwürfe des einst so renommierten Bauhaus-Architekten entdeckt. Er beauftragt ihn mit einem Großprojekt zum Andenken an seine verstorbene Mutter, ein monumentales Kulturzentrum aus Beton und Marmor. Lázló sieht die Möglichkeit, seine kühnsten Träume brutalistischer Architektur mit ihren klaren Linien und minimalistischen Konstruktionen zu verwirklichen. Er ahnt nicht, mit wem er sich einlässt.
Harrison, der nach außen hin charmante, fortschrittliche Geschäftsmann, entwickelt sich in den folgenden Jahren vom Retter zum Peiniger. Als machthungriger Oligarch will er immer dominieren: nicht nur das Kunstwerk besitzen, sondern auch den Künstler – er vergewaltigt ihn. Denn Lázló besitzt, was sein Mäzen nie haben wird: Kreativität und Fantasie. Der Holocaust-Überlebende findet in der wuchtigen Kraft des Brutalismus den künstlerischen Ausdruck seiner zerrissenen Seele. Sein Werk ist so kompromisslos wie er selbst, doch genau diese Kompromisslosigkeit zerstört auch seine Integrität. Es ist, als hätte ihn die gnadenlose Härte des Kapitalismus infiziert. Er wird zum Besessenen der eigenen Visionen ohne Rücksicht auf Familie oder Belegschaft.
„Der Brutalist“: Radikal, erschütternd, visionär und meisterhaft inszeniert
US-Regisseur Brady Corbet („Vox Lux“) kreiert mit der dreieinhalbstündigen fiktiven Biografie des Lázló Tóth ein historisches Monumentalepos von schmerzhafter Intensität – radikal, erschütternd, visionär und meisterhaft inszeniert; voll von ungelösten Rätseln und überragender Ästhetik. Schritt für Schritt hautnah zu verfolgen, wie diese Allegorie aus Beton entsteht, allen Hindernissen und Demütigungen zum Trotz, ist überwältigend; zu begreifen, wie die Traumata von Jahrzehnten sich darin manifestieren, erfüllt uns mit Ohnmacht und Zorn. Erlösung ist unmöglich, wo die Erinnerungen ihre Opfer nicht loslassen. Seine Fantasmorgie widmet Regisseur Brady Corbet den Künstlern jener Zeit, die ihre Visionen nie realisieren konnten.
„Der Brutalist“, Regie: Brady Corbet. Mit Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Joe Alwyn, Raffey Cassidy. 215 Min. Ab dem 30. Januar 2025 im Kino
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Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2025 erschienen.