Schneewittchens Bratapfel

Der Hamburger Autor hat mit „Heute koch ich, morgen brat ich“ eine moderne Fassung von Grimms Märchen mit Rezepten kombiniert. Räubereintopf oder Kesselgulasch?

SZENE HAMBURG: Herr Paul, haben Sie ein Lieblingsmärchen?

Stevan Paul: Ja, die Bremer Stadtmusikanten mag ich wahnsinnig gerne. Weil das eine wunderbare
Parabel auf selbstbestimmtes Leben und würdevolles Altern ist. Ein großartiges Märchen, sehr anarchistisch.

Die Bremer Stadtmusikanten haben Sie auch in Ihr Buch aufgenommen. Was würden Sie dazu kochen?

Bei den Bremer Stadtmusikanten ist es natürlich der berühmte Bremer Knipp: eine Heringsschüssel mit Bratkartoffeln und Remoulade und dazu ein Krabbenrührei, so richtig lecker und norddeutsch.

Fehlt in den Märchen der Brüder Grimm das Kulinarische?

Bei den Brüdern Grimm gibt es ja außer Brei und Brot nicht viel zu essen. Das Essen selbst hat eher eine funktionale Ebene: der vergiftete Apfel, Hänsel und Gretel finden über die Brotkrümel nach Hause, aber wenn richtig gespeist wird, bei den Hochzeiten in den Schlössern, da verstummen die Grimms. Der Genuss beim Essen, das kam ein bisschen später und war sicher auch eher den Adligen und den Königshäusern vorbehalten, nicht unbedingt den Märchenlesern.

Sie haben die Märchen umgeschrieben. Was genau haben Sie da geändert?

Die Originalfassungen sind teils wirklich furztrocken und sehr nüchtern geschrieben. Ich habe gestaunt, weil das die Märchen meiner Kindheit waren und mir das damals gar nicht so auffiel. Ich habe mir erlaubt, eine Prise Humor und ein paar Adjektive einzufügen. Beim Vorlesen merkt man, dass der Text sich flotter liest. Außerdem habe ich die Tafelszenen eingefügt und ausgeschmückt – das, was bei den Brüdern Grimm auffällig fehlt. Ansonsten habe ich die Originaltexte mit großem Respekt behandelt. Aber einige gruselige Stellen habe ich leicht umformuliert.

Stevan Paul Hamburg CoverWaren Ihnen die Märchen als Kind zu grausam?

Überhaupt nicht. Ich glaube Kinder können da echt viel ab. Aber ich habe den Text etwas modernisiert und das hat Spaß gemacht. Zum Beispiel gibt es die Szene bei Aschenputtel, da werden den Schwestern vor der Hochzeitsgesellschaft die Augen ausgestochen. Das war mir zu heftig. Jetzt kriegen die Damen von den Tauben ordentlich auf den Kopf gekackt und wenn man das vorliest, freuen sich die Kinder wie sonst was!

Sie publizieren auf ihrem Blog nutriculinary.com ja auch kulinarische Gedichte. Passen Literatur und Essen gut zusammen?

Ja, total. Am Beispiel des Essens können Sie die ganze Welt erzählen. Ein wunderbarer Spiegel unserer Gesellschaft ist die Art und Weise, wie gegessen und gekocht wird. Damit können Sie so ziemlich alles erzählen. Das spielt auch in meinen Büchern eine Rolle.

Du bist, was du isst?

Ja, das liegt total auf der Hand. Sie können gesellschaftliche Entwicklungen anhand des Essens erzählen. Nehmen wir doch mal unsere Gesellschaft heute. Wir leben in einer superschnellen Leistungsgesellschaft und unser Essen hat sich total verändert. Es geht gar nicht mehr um gr0ßen Genuss. Man beschäftigt sich extrem damit und sieht Essen als eine Art Heilsversprechen.

Heutzutage findet man doch gerade zurück zum Genuss, oder nicht? Es gibt einen Slowfood-Trend, das Essen wird wieder wertgeschätzt.

Absolut, und ich hoffe auch, dass es so bleibt. Es gibt drei große Strömungen: Streetfood, das Interesse an gutem Kaffee und Craftbeer. Das Interesse an Qualität steigt wieder, aber es muss dennoch alles gesund und funktional sein.

Welche Bücher würden Sie denn gerne noch mit Rezepten ergänzen?

Keine Ahnung, die Themen kommen irgendwie immer auf mich zu. Mein nächstes Buch, das im Februar 2016 erscheint, ist ein Festival- und Camping-Kochbuch. Dafür bin ich diesen Sommer mit dem VW-Bus quer durch Europa gefahren und habe Live-Camping-Küche gemacht. Ich habe Festivals in sechs Ländern besucht und den Künstlern und dem Publikum gezeigt, wie es sich im Freien kocht.

Interview: Natalia Sadovnik
Foto: Daniela Haug

Stevan Paul: „Heute koch ich, morgen brat ich“, Hölker Verlag, 208 Seiten, 29,95 Euro

Lesung: 8.12., 20 Uhr
Nochtspeicher
Bernhard-Nocht-Straße 69 (St. Pauli)

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