Date mit Dirk

Tocotronic-Frontmann Dirk von Lowtzow hat ein neues Buch geschrieben: „Ich tauche auf“. Darin erkundet er den Stillstand und die Unrast des ersten Corona-Jahres
„Ich kann ganz gut in mich rein versinken“: Dirk von Lowtzow (©Gloria Endres de Oliveira)
„Ich kann ganz gut in mich rein versinken“: Dirk von Lowtzow (©Gloria Endres de Oliveira)

SZENE HAMBURG: Dirk von Lowtzow, Ihr neues Buch „Ich tauche auf“ spielt im ersten Corona-Jahr. Sie haben dazu gesagt: „Ich möchte von diesem traurigen Jahr erzählen, als wäre es die schönste Zeit meines Lebens gewesen.“ Da drängt sich die Frage auf: Warum?

Dirk von Lowtzow: Weil in der Traurigkeit manchmal eine spezifische Form von Glück liegt. Das Buch hat zwar einen schwermütigen Unterton, trotzdem gab es inmitten der ganzen Stubenhockerei einige ungemein hoffnungsvolle und schöne Momente – was man zynisch gerne mal mit Entschleunigung umschreibt.

Was für Momente waren das?

Expeditionen, die man in der eigenen Wohnung vollführt. Oder Spaziergänge, in denen einem die Naturschönheit mal wieder bewusst wird und eine Nähe zu Menschen entsteht; eine Innigkeit im Gespräch mit viel Tiefe, die in der Bar, wo man sich sonst womöglich getroffen hätte, nicht aufgekommen wäre. In dieser unwirklichen Situation gibt es eine gewisse Schönheit, ohne damit das Traurige und die Opfer der Corona-Pandemie verhöhnen zu wollen. „Ich tauche auf“ ist aber kein explizites Corona-Buch.

Insbesondere unsere ersten Tocotronic-Alben wirken ja ein bisschen wie musikalische Tagebücher

Dirk von Lowtzow

Sondern?

Der Plan war eigentlich, zwischen meinem 49. und 50. Geburtstag Tagebuch zu schreiben, weil der 50. Geburtstag ja durchaus ein Einschnitt ist. Ich habe am 21. März Geburtstag, am 22. März 2020 trat der erste Lockdown in Kraft und hat mir da reingegrätscht. Mir ging es eigentlich um die Dychotomie zwischen den beiden Polen „zu Hause sein“ und „auf Tour sein“; die Exponiertheit auf der Bühne auf der einen, das Rumhängen zu Hause, in Hotelzimmern und Bussen auf der anderen Seite. Ich habe aus der Not dann eine Tugend gemacht und das Schreiben als Exerzitium begriffen, was ja immer etwas Trost spendendes hat.

Ist es nicht sowieso ein Rock ’n’ Roll-Mythos, dass es auf Tour immer aufregend zugeht?

Absolut! In Wahrheit passiert zu Hause oft viel mehr. Das war mein Ansatz, weil ich dachte: In dieser Zeit, in der man ja wirklich zu Hause bleiben musste, passiert in den Ritzen und Fugen und den ganzen Welten dazwischen bestimmt ganz viel.

„Ich habe ein bisschen im Blindflug geschrieben“

Hat die literarische Form des Tagebuchs geholfen, weil man auf diese Weise beim Schreiben relativ frei ist?

Ich muss gestehen, ich habe ein bisschen im Blindflug geschrieben und mir das Geschriebene lange nicht noch mal angesehen. Ich habe oft einfach ins Handy getippt, wenn ich unterwegs war, wo sich die Gedanken beim Schreiben erst versponnen haben. Bei diesen kurzen Einträgen ging das ganz gut. „Krieg und Frieden“ hätte ich eher nicht ins Handy tippen wollen. (lacht)

Haben Sie vorher schon mal Tagebuch geschrieben?

Nein. Ich hatte mir das immer vorgenommen, war dafür aber zu faul. Es gibt dafür aber durchaus eine musikalische Entsprechung, denn insbesondere unsere ersten Tocotronic-Alben wirken ja ein bisschen wie musikalische Tagebücher, weil da so irre viele Stücke drauf sind und sie in Halbjahresabständen veröffentlicht wurden. Das hat sicher eine Ästhetik, die dem eines ausufernden Tagebuchs nicht ganz unähnlich ist.

Sind Sie nun beim Tagebuch schreiben geblieben?

Das nicht, aber ich schreibe mir seither viel mehr ins iPhone, auch Beobachtungen. Früher, ohne Telefon, hätte ich das nie gemacht, das wäre mir zu umständlich und auch ein bisschen zu prätentiös vorgekommen, mit so einem Notizbuch im Café zu sitzen. Aber mit dem Handy finde ich’s super.

„Stillstand auszuhalten fällt mir nicht schwer“

Der Titel des Buches ist auch der eines Songs Ihres aktuellen Tocotronic-Albums „Nie wieder Krieg“. Gibt es da in irgendeiner Weise einen Zusammenhang?

Das ist die Schönheit, die ich darin gesehen habe. Im Lied geht es ja wirklich um ein Auftauchen aus einer Tiefe, aus einem Meer oder einem verdunkelten Geisteszustand. Aber wenn man ein Buch, das ja zu sehr großen Teilen von mir handelt, mit „Ich tauche auf“ betitelt, dann bekommt es ja die Bedeutung von „Ich komme vor“ – und das fand ich sehr schön: Einerseits dieses Auftauchen und das Hoffnung schöpfen aus dieser doch sehr dunklen Zeit und andererseits das Bekenntnis, dass es darin um mich geht.

Was gefällt Ihnen daran?

Ich find’s lustig, weil so ein Tagebuch ja immer unter Narzissmusverdacht steht. Eine etwas peinliche Form ist es ja durchaus. Das ist aber auch das Schöne daran.

Sie setzen sich in Ihrem Buch auch intensiv mit dem Thema Stillstand auseinander. Sind Sie ein Typ, der Stillstand gut aushält?

Ja, weil ich es gewohnt bin. Diese Mischung aus Exzess, einer gewissen Exponiertheit, Überfülle, Transgression bei Touren steht halt immer dieses Warten, Stillstand, diese bleiernde Zeit gegenüber. Und als Musiker:in gibt es ja auch immer Zeiten im Jahr, in denen man einfach im Bett rumliegt – das werden Ihnen alle Kolleg:innen bestätigen. Das ist Teil des Berufsbildes. (lacht)

Sie haben aber auch einen Hang zur Kontemplation, oder?

Ja, ich kann ganz gut in mich rein versinken. Stillstand auszuhalten fällt mir nicht schwer.

„Ich bin permanent von einer Unrast gequält“

„Ich tauche auf “ von Dirk von Lowtzow st bei Kiepenheuer&Witsch erschienen (©Kiepenheuer&Witsch)
„Ich tauche auf “ von Dirk von Lowtzow ist bei Kiepenheuer&Witsch erschienen (©Kiepenheuer&Witsch)

An einer Stelle des Buches schreiben Sie vom Wort „Unrast“, das man ja durchaus als Gegenteil von Stillstand interpretieren kann, und von dem Sie schreiben, dass Sie es sich tätowieren würden, wenn Sie keine Angst vor Nadeln hätten.

Ja, das stimmt. (lacht) Mich interessieren aber generell Widersprüche; Widerstreit in einem selber. Einerseits kann ich durch Übung und Gewöhnung diesen Stillstand aushalten, weil das Teil dessen ist, was ich seit 30 Jahren mache, andererseits bin ich permanent von einer Unrast gequält, dass ich denke: Wie geht es weiter? Das berühmte: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Es darf nie enden. Und dieser Widerstreit ist ja das Leben: zu Hause – auf Tour, Schlaf – wach. Das ist das Interessante, aber das zerrt durchaus auch an einem.

Also suchen Sie immer das Gegenteil vom Ist-Zustand?

Ja, irgendwie schon. Man muss sich selbst in Bewegung setzen. Das Buch ist ja auch eine Erkundung der unmittelbaren Nachbarschaft und des Umlandes. Aber das ist natürlich eine Art bewegter Stillstand, denn wahnsinnig viel passiert da nicht.

Das Kino hat mir in dieser Zeit sehr gefehlt

Dirk von Lowtzow

Im Buch beschreiben Sie das als Spannungsfeld zwischen äußerem Stillstand und innerer Unruhe.

Genau – oder auch innerer Stillstand und äußerer Unruhe. Das gibt es auch. Und so verspinnen sich die Gedanken permanent. Das geht ja die ganze Zeit so im Buch, und so ist es ja auch gedacht: Dass man diesen Reflexionszwang dokumentiert.

Haben Sie beim Schreiben bemerkt, dass Dinge in Ihnen nach außen drängen, die Ihnen vorher bewusst waren?

Ja, aber immer über den Weg des Körpers. Es war nicht so, dass ich groß in der Seele gegraben hätte. Es gab eher körperliche Verwundbarkeiten wie Rückenschmerzen, die auf etwas Inneres aufmerksam gemacht und das Innen nach außen gestülpt haben. Dadurch unterscheidet sich das Buch hoffentlich auch von einer reinen Nabelschau. Vielleicht manifestieren sich die wesentlichen inneren Prozesse außen am Körper.

„Et kütt, wie et kütt“

Das Perfide an dieser Corona-Zeit war ja, dass die Kultur als solches einen Stillstand erfahren hat, weil alles dicht war, aber dass dadurch, dass man nicht raus konnte, Kultur umso wichtiger wurde, um sich die Zeit zu vertreiben. Haben Sie das ebenso empfunden? Wie haben Sie diese Zeit in Bezug auf Kunst und Kultur genutzt?

Ich habe unglaublich viele Filme geguckt. Das tue ich sowieso immer, fast jeden Tag einen. Ich gehe normalerweise auch ein- bis zweimal pro Woche ins Kino, wenn nicht gar dreimal – je nach Programm. Und das Kino hat mir in dieser Zeit sehr gefehlt, auch wenn man das durch die ganzen Streamingdienste ein bisschen kompensieren konnte.

Gibt es eigentlich schon Ideen für ein nächstes Buch?

Jetzt bringen Sie mich in Verlegenheit. Nein, ehrlich gesagt nicht. Aber solche kreativen Prozesse kann ich auch nur schwer planen. Wie sagt man in Köln doch so schön: Et kütt, wie et kütt. (lacht)

Dirk von Lowtzow: Ich tauche auf, Kiepenheuer&Witsch, 240 Seiten, 22 Euro

Dirk von Lowtzow ist am 26. April 2023 um 20 Uhr mit einer musikalischen Lesung im Schauspielhaus zu Gast .

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 04/2023 erschienen.

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