Hamburgerin des Monats: Andrea de Luna von „Deintopf“

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Foto: Markus Gölzer

Im März 2020 wurde der erste Lockdown ausgerufen. Suppenküchen schlossen – und Andrea de Luna eröffnete die soziale Essens- und Lebensmittelausgabe „Deintopf“ im Karoviertel

Interview: Markus Gölzer

SZENE HAMBURG: Andrea, Glückwunsch zum Einjährigen. Was steht heute auf dem Speiseplan?

Andrea de Luna: Es gibt Fischfrikadelle mit Kartoffelsalat, Gulaschsuppe mit Kartoffeln oder Spätzlepfanne Veggie mit Gemüse und Rahmsoße. Wir haben immer drei bis vier Gerichte zur Auswahl, damit für jeden Geschmack, aber auch für jede Verträglichkeit was dabei ist. Und immer auch was Vegetarisches.

Wie viele Gäste habt ihr pro Tag?

Das ist verschieden. Am Monatsende sind es mehr Gäste als am Monatsanfang. Das ist auch immer bisschen wetterabhängig, aber wir sprechen hier von einer Zahl von 100–200 Gästen pro Ausgabe.

Hat sich die Gästestruktur seit Beginn der Pandemie verändert?

30 Prozent unserer Gäste sind Menschen ohne festen Wohnsitz. Ich kenne viele von meinem Ehrenamt bei Hanseatic Help, Kältebus, Café mit Herz und Alimaus. Es kommen immer mehr alte Menschen und Alleinerziehende. Die brauchen das wirklich. Die einen für ihre Familien und die Älteren, damit sie überhaupt noch etwas zu essen haben.

Kümmert ihr euch auch um Gäste, die nicht mobil sind?

Ja, das bieten wir an. Wir liefern mit Lastenfahrrädern. Anfangs waren das mehr Gäste. Inzwischen ist es nur noch ein Herr, den wir auch von Anfang an versorgen. Unser Angebot besteht aber weiterhin: Wenn jemand nicht mobil ist, soll er sich bitte melden. Wir bringen das Essen vorbei. Allerdings begrenzt auf das Karoviertel.

Sind Freundschaften mit Gästen entstanden?

Man muss schon so professionell sein, dass man sich ein bisschen abgrenzt. Punkt A: Wir wollen niemanden bevorzugen. Die Gäste achten stark drauf, dass sich keiner vordrängelt oder einer mehr kriegt als der andere. Und B: Es sind es halt Menschen, und hinter jedem Menschen steht ein Schicksal. Diese Schicksale sind manchmal sehr traurig.

Man muss auf sich achten, dass man nicht zu viel davon mit nach Hause nimmt. Aber natürlich haben viele Gäste zu uns ein freundschaftliches Verhältnis. Die Helfer sind ja immer die gleichen. Die bauen Beziehung auf, die freuen sich darüber. Wenn jemand zwei Wochen nicht da ist, fragen sie auch, wo ist denn der? Es sind immer drei Helfer draußen. Die Gäste lieben das, sich einfach mit ihnen zu unterhalten, auch mal Spaß zu machen.

„Mich motiviert es, rauszugehen, was zu tun“

Du bist im Hauptberuf Erzieherin. Wie kriegst du das alles hin?

Das Wichtige ist ja, diese Projekte anzustoßen, aufzubauen. Wenn sie gut laufen, dann laufen sie halt auch. Und ich habe großes Vertrauen in meine Helfer. Wir treffen uns einmal die Woche im digitalen Meeting, besprechen alles. Jeder soll sich einbringen – ich bin Freund von Schwarmintelligenz.

Die Helfer können sich so mit dem Projekt identifizieren und machen das ein Stück weit zu ihrem eigenen Projekt. Innerhalb des Teams haben sich Freundschaften gebildet, wir haben ja ein sehr harmonisches und liebevolles Miteinander. Das ist uns wichtig. Gut miteinander umzugehen. Das ist Ehrenamt, und wenn man im Ehrenamt genauso gestresst ist wie im Job, dann möchte man es irgendwann nicht mehr machen.

Was ist deine Motivation?

Meine Motivation ist, Menschen zu helfen. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn man nicht genug zu essen hat oder es einem schlecht geht. Und ich kann das schwer aushalten, wenn ich sehe, dass es Menschen schlecht geht. Ich werde dann aktiv. Es nützt ja niemandem was, wenn ich zu Hause sitze und grüble. Mich motiviert es, rauszugehen, was zu tun. Ich überleg mir dann Dinge, die ich machen kann, um diesen Zustand zu verbessern.

Aus wie vielen Leuten besteht Deintopf?

Wir sind ein Team aus etwas über 50 Menschen. Wir arbeiten mit einem festen Dienstplan, in den sich jeder selber eintragen kann. Die Schichten sind genau aufgeteilt. Man kann nicht einfach herkommen und sagen, ich helfe jetzt mal mit, weil ich Lust zu habe. Außer man bleibt dann die ganze Zeit draußen, weil wir natürlich auch Auflagen haben und darauf achten müssen, dass es in den Räumen nicht zu voll wird. Zum Eigenschutz und zum Schutz unserer Gäste.

Wie ist der Anteil von Frauen und Männern?

Wir haben inzwischen auch schon sehr viele motivierte Männer dabei. Tatsächlich ist es aber so, dass der Großteil Frauen sind. Ich bin ja noch bei anderen Sachen aktiv. Das sehe ich überall im Ehrenamt.

Wie erklärst du das?

Ich will das nicht pauschalisieren, aber ich glaube, Frauen sind doch oft empathischer als Männer. Sie können mehr nachvollziehen, haben eher das Gefühl, dass sie helfen möchten. Es wurde uns irgendwie schon in die Wiege gelegt, dass wir uns immer gut um alle und alles kümmern.

Wer kocht für euch?

Zu Beginn hat der Foodeventclub sehr viel für uns gekocht. Auch die Flora Volksküche ist von Anfang an dabei. Außerdem das Buddels Restaurant, die Passage Gastronomie und die Juwelier Espressobar. Es wechselt auch immer mal. Wir können uns nicht beklagen.

Es möchten noch viel mehr Leute für uns kochen, aber wir haben gar nicht die Kapazitäten, das alles zu verteilen.

Welche Rolle spielt der Gesundheits­aspekt?

Es gibt immer ein vegetarisches oder veganes Gericht. Wir bieten kein Schweinefleisch an. Jeder Gast sucht sich selbst aus, was er mitnimmt. Auch an Lebensmitteln. Wir packen hier keine Taschen. Jeder Mensch kann nach Geschmack und Verträglichkeit selbst auswählen.

„Alles wäre erst gut, wenn es das Ehrenamt nicht mehr bräuchte“

Hast du da Unterstützung durch Behörden bekommen?

Also, ich habe zumindest vom Bezirksamt Mitte alle Genehmigung bekommen. Das ist ja schon mal gut. Ich bekomme auch Dankesschreiben (lacht). Ansonsten ist es natürlich so, dass Behördenmühlen langsam mahlen. Die sind auf alle Fälle bemüht.

Ich denke, dass die Stadt Hamburg mehr machen könnte. Eigentlich wäre es ja alles erst gut, wenn es das Ehrenamt nicht mehr bräuchte. Wobei wir das alles gerne tun. Manchmal ist es schwierig mit den Behörden. Wenn ich erst mal 20 Anträge und Passierschein 53 B beantragen muss um 100 Euro zu kriegen, dann lass ich das lieber, weil ich eigentlich auf anderen Wegen auf größere Summen komme.

Deintopf finanziert sich ausschließlich durch Spenden?

Ja, hier ist alles durch Spenden finanziert. Wir haben ja auch keine Verwaltungskosten, weil wir Gott sei Dank immer noch mietfrei hier sind. Wenn wir endlich Räume gefunden haben, sind Miete und Betriebskosten schon gesichert, weil die Reimund C. Reich Stiftung uns angeboten hat, diese zu übernehmen. Das ist eine große Stiftung in Hamburg, die sich im Bereich Armutsbekämpfung stark macht und viele Projekte unterstützt. Das Problem ist, das wir keine Räume finden.

Arbeitet ihr mit anderen Projekten zusammen?

Wir haben alle zwei Wochen ein großes digitales Meeting. Da sind ich und eine Helferin zusammen mit anderen Initiativen drin. Wir sprechen über wichtige Themen, was sind die Bedarfe, wie können wir noch helfen? Wir arbeiten gemeinsam an Konzepten. Oder jemand schreibt, ich habe 1.000 FFP2-Masken gekriegt. Lass uns die teilen!

Im Sommer, als die Wasserversorgung auf der Straße so schlecht war, haben wir gemeinsam Wasser bestellt. Hanseatic Help hat das alles für uns eingelagert. Wir konnten das dann jederzeit abrufen.

Wie waren die Reaktionen, als du mitten im ersten Lockdown Deintopf gegründet hast?

Von Seiten der Gäste her natürlich positiv. Viele haben wirklich geweint und gesagt, Gott sei Dank, das war meine erste warme Mahlzeit seit zwei Wochen. Diesen Menschen sind ja auch sämtliche sozialen Netzwerke weggebrochen. Meine Familie war zwiegespalten: Oh Gott, es ist Pandemie und du bist da immer mit Menschen! Aus Helferkreisen kam vereinzelt: Alle machen zu und du machst auf? Denkst du, du kannst das besser als die anderen? Ich weiß, dass man gerade zu Pandemiezeiten aufpassen muss. Das ist für uns alle neu.

Ich wusste aber auch, dass ich das gewisse Know-how habe, weil ich seit fünf Jahren ehrenamtlich arbeite und mich auf den Bereich Mobile Aufgaben spezialisiert habe. Jetzt kann ich ein bisschen stolz sagen: Ja, da haben wir das meiste richtig gemacht.

facebook.com/Deintopf


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