Was als notwendiger Kampf für die Rechte der Frau beginnt, entwickelt sich in den 1980er Jahren zur haarigen Frauenbewegung und erlebt im neuen Millennium einen fragwürdigen Zenit. Gedanken zu Simone de Beauvoir und der Frauenbewegung, ausgelöst von Julia Korbiks Buch „Oh, Simone!”
Will man über Feminismus reden, sollte man sich – wie bei allem – seine Entstehung ansehen. Die liegt Ende des 18. Jahrhunderts, noch begrifflos, im Kopf eines Mannes: Charles Fourier bemängelt die soziale Stellung der Frau. Der französische Sozialkritiker sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Befreiung des weiblichen Geschlechts und der gesamtgesellschaftlichen Emanzipation. Und genau darum geht es dann dem Feminismus die nächsten Dekaden: Um die Freiheit des Einzelnen zum Zwecke des gesamtgesellschaftlichen Fortkommens.
Aus weiblicher Sicht protestiert Olympe de Gouges 1791 gegen die Benachteiligung der Frau und fordert freies Rederecht für beide Geschlechter. Ihr Todesurteil. Der Kampf für Gleichberechtigung hat spätestens da sein argumentatives Fundament: die Guillotine für politische Meinungsäußerung? Aller sozialen Reformbewegung, aller Aufklärung zum Trotz? Eigentlich sollten Vernunft, Gleichheit und Objektivität im Denken angekommen sein. Zumindest im Denken der Philosophie. Doch wie Marx schon ähnlich sagte, kommt es nicht nur darauf an, die Welt philosophisch zu interpretieren, sondern auch, sie zu verändern. So setzt sich der Kampf für Frauenrecht fort und erhält 1882 endlich einen Namen: die französische Sozialistin Hubertine Auclert bezeichnet sich erstmals selbst als Feministin.
Und wir bleiben in Frankreich. Es sieht aus, als hätten uns die Nachbarn damals einiges voraus: Simone de Beauvoir, die heute vielleicht bekannteste feministische Literatin, setzt auf die befreiende Kraft der Bildung und bewegt sich damit auf einem undogmatischen Gemeinplatz, denn Wissen ist seit jeher für alle befreiend. Nur: Sie wird den Frauen damals nicht selbstverständlich zugestanden. „Schon früh hat Simone begriffen, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen muss – Bildung bot den Weg aus der Armut, Entschlossenheit den Weg zum Erfolg“, schreibt die Bloggerin Julia Korbik über die existenzialistische Philosophin in ihrem Buch „Oh, Simone“.
Dass de Beauvoir auch Idol von selbsternannten Rachegöttinnen ist, die ihre Zeitschrift Emma nennen, davon wollen wir hier nicht reden: Simone de Beauvoirs Sicht auf die Freiheit der Frauen hat nichts mit einer Absage an die sozial konstruierte Weiblichkeit zu tun. Ihre erste Gehaltsinvestition: rouge et poudre. De Beauvoir kauft sich Make-up! Überhaupt: Zum Geld hat sie eine für heutige feministische Verhältnisse unkonventionelle Einstellung: Mit ihrem Jean-Paul Sartre teilt sie nicht nur das Bett, sondern auch das Konto – gemeinsames Leben, gemeinsames Geld. Schließlich geht es bei der Selbstbefreiung nicht um die Abschottung von anderen, sondern um das Vertrauen in die eigene Stärke. Egal, was die Konvention sagt.
Man muss aber in der Lage sein, Möglichkeiten zu erkennen und Chancen zu ergreifen. Simon de Beauvoir, die weiß, dass sie damals noch eine „Ausnahmefrau“ ist, proklamiert deshalb, „dass es dem Menschen zusteht, und nur ihm allein, seinem Leben einen Sinn zu geben, und dass er dieser Aufgabe gewachsen ist“. Dieser Sinn kann viel sein: Schreiben, Auto fahren, Bier trinken, Kunst, Liebe … Frauen wie de Beauvoir haben verständig, respektvoll und mit Blick auf das Wesentliche dafür gekämpft, dass Hedonismus, Bildung und Autonomie zum sinnstiftenden Selbstverständnis des weiblichen Geschlechts gehören.
Was den heutigen „Radikalfeminismus“ angeht … Es ist ein Trauerspiel. Von der kratzbürstigen Alice zum motzigen Globuli-Girl: Der negierte Gendersprech erfordert vor verschwörungsverliebten Opfern des Patriarchats eine permanente Rechtfertigung und Halleluja! mit dem Wort Blowjob im Mund blicken wir Hedonisten nolens volens auf Medusas Schlangenhaupt. Es scheint fast so, als sei heute nicht der Kampf für die Gleichheit, sondern für die Distinktion des Weiblichen, nicht gegen Sexismus, sondern gegen Sexualität up-to-date – eine „zeitgenössische hegemoniale Sexualfeindlichkeit“ attestiert der Sprachphilosoph Robert Pfaller treffend.
Um der Vernunft und der Lust willen sollten wir endlich zu einem Freiheitsbegriff zurückfinden, der nicht Geschlechter fokussiert, sondern den Menschen in seiner Menschlichkeit fordert. Keine Zeit mit sprachlichen Musthaves verlieren! Der Kampf für Humanität ist zu elementar, um Dogmen zu etablieren, die vom Wesentlichen ablenken: davon, das wir alle gleich verschieden sind.
Text: Jenny V. Wirschky
Julia Korbik: „Oh, Simone“,Rowohlt Verlag, 320 Seiten, 12,99 Euro; Robert Pfaller: „Erwachsenensprache“, Fischer Verlag, 256 Seiten, 14,99 Euro
Dieser Text ist ein Auszug aus SZENE HAMBURG, März 2018. Das Magazin ist seit dem 24. Februar 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!