Nach der Absage im letzten Jahr, kehrt die Momentaufnahme der Beatkultur dieses Jahr an zwei Wochenenden zurück. Gerade wegen stark limitierter Besucher:innenzahl und übersichtlichem Programm, bleibt in Pandemie-Zeiten die wichtigste Erkenntnis eine alte: Der Vibe muss stimmen – das tat er und lässt uns so noch sehnsüchtiger das Ende der Pandemie erwarten
Text: Kevin Goonewardena
Fotos: Andreas Hornoff
Menschen, die nach Glück, Genuss und Lust streben, würden durchaus philosophisch handeln, so der Hamburger Philosoph Bernulf Kanitscheider. Wahrscheinlich den Wenigstens unter den 500 Gästen der diesjährigen, Pandemie-gerechten Ausgabe des Spektrum Festivals am Reiherstieg ein Name, haben sie doch alle unbewusst im Sinne des Autors von „Ein hedonistisches Manifest“ gehandelt.
Möglich gemacht haben das in erster Linie die Macher:innen des Spektrum-Festivals, dass sich in den 2010er Jahren vom Geheimtipp zum veritablen Ein-Tages-Festival der nationalen Szene entwickelt hat. Denn statt die Veranstaltung das zweite Jahr in Folge ausfallen zu lassen, konzipierten die Verantwortlichen ein ihrem altbewährten Konzept folgendes Event – mit Test- und Maskenpflicht in sensiblen Bereichen wie etwa Warteschlangen – zu denen es ob der geringen Anzahl der Gäste, dem Verzicht auf große Bühnen, dem limitierten Zugang zu den Auftrittsorten oder einer überschaubaren Anzahl von Künstler:innen, kaum kam.
Wir-Gefühl
Getreu dem selbst verordneten Anspruch der Orga, sich musikalisch zwischen Tradition und gegenwärtiger Grenzüberschreitungen zu positionieren, von Straßen- über Cloud- bis Boom Bap den verschiedensten Stilen Bühne und Gehör einzuräumen, und Newcomern und Local Acts zu fördern, ließen die Künstler:innen des ersten von zwei Wochenenden der diesjährigen Ausgabe, die Pandemie so gut es eben möglich war bei dem nach Live-Konzerten lechzenden Besucher:innen vergessen.
Die Performance Yung Palos etwa, dem Hamburger Newcomer, der mit seinem Underground-Hit Tokyo Drift gleich auch noch ein zweites Mal die Zugabe Ace Tees gestalten durfte, war dermaßen energiegeladen, dass sich die meisten der Anwesenden nach einem Post-Pandemie-Auftritt, einem Auftritt ohne angezogene Handbremse, noch im gleichen Moment gesehnt haben dürften.
Während der Co-Headliner Ansu absagen musste, holte sich Ace Tee die erwartbare Verstärkung in Form ihres kollegialen Partners Kwam.E und Tom Hengst auf die Bühne, ein paar Tänzerinnen, Licht-Show und gekonnte Publikums-Interaktion standen einem Pre-Corona-Auftritt in nichts nach.
Die vielen loyalen Supporter unter den Anwesenden unterstrichen mit ihrer teils frenetischen Unterstützung das zwischen Künstler:innen und Fans herrschende Wir-Gefühl, wie es in dieser Form nur noch in der HipHop-Kultur existiert.
Denn auch das bildet den Vibe moderner Rap-Konzerte: Ein vor Selbstbewusstsein trotzender Teil des Publikums, der heute vor der Bühne die Künstler:innen supportet und morgen ohne Gedanken an Perfektion oder gar Versagen zu verschwenden, im Home Studio eigene Wege geht, um Übermorgen selbst von der Crowd gepusht zu werden.
Die Kulisse dieses einmaligen Festival-Geländes der dieses Jahr kleiner ausfallenden, dennoch weitläufigen Open Air Galerie des Artville-Festivals am Wilhelmsburger Ufer Park, sorgte ihrerseits für das lang vermisste, wohlige Gefühl, das weit über das eines gelungenen Live-Auftritts hinausgeht: Gelände, Artists und Publikum bilden hier die Symbiose, die auch ohne Pandemie für den besonderen, nachhaltig währenden Besuch sorgt.
Auch, weil hier ein großes Bedarfs-Spektrum eines Festival-Besuchs mitgenommen werden kann: Das Tanzen – wie etwa bei Ludwig Mausberg, dem Resident der Deeper-Partyreihe und Zwegatmann (Funk im Trunk), das Beisammensein, die Biergarten-Atmosphäre eines lauen Sommerabends mit Hintergrundmusik, die Neuentdeckungen, das Treibenlassen.
2. Runde
HipHop-Fans und alle anderen können sich am 22. August 2021 ein weiteres Mal von dem diesjährigen Vibe des Festivals überzeugen. Dann spielen unter anderem Eunique und die Kölner Underground-Rapper Lugatti & 9ine zur zweiten und letzten 2021er Ausgabe des Fast ein Spektrum-Festivals in Wilhelmsburg.
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