Franz Rogowski gilt als einer der talentiertesten deutschen Schauspieler. Im Eröffnungsfilm „Große Freiheit“ spielt er einen Homosexuellen, der aufgrund seiner Neigung immer wieder ins Gefängnis muss. Mit SZENE HAMBURG spricht er über den Reiz der Rolle, die scheinbare Progressivität der Gesellschaft und seine Zeit beim Thalia Theater
Interview: Marco Arellano Gomes
SZENE HAMBURG: Franz Rogowski, ich muss mit einem Geständnis beginnen: Ich empfinde Interviews mit Schauspielern als ziemlich schwierig, denn letztlich wiederholen sich ja doch immer wieder die Fragen in Bezug auf das Schauspiel, oder man spricht gleich über die Themen des Films.
Franz Rogowski: Kann ich gut verstehen. Schauspielen ist kein inhaltlich klar zu greifendes Tätigkeitsfeld. Man fragt man sich schon: „Was hat ein Schauspieler eigentlich Interessantes zu berichten?“ Es sind ja dann doch oft die gleichen, scheinbar spannenden Anekdoten. Ich lese selbst keine Interviews mit Schauspielern.
Lassen Sie uns trotzdem über den Film Hans (Franz Rogowski) in Einzelhaft im Film „Große Freiheit“ sprechen, mit dem das Filmfest Hamburg in diesem Jahr eröffnet.
Sehr gerne.
Der Paragraf 175, im Film zu selten thematisiert
Im Film spielen Sie Hans Hoffmann, einen Homosexuellen in der Nachkriegszeit, der aufgrund seiner sexuellen Neigung immer wieder ins Gefängnis muss. Was hat Sie an der Rolle gereizt?
Ich fand vor allem das Drehbuch stark und in sich stimmig. Außerdem fand ich die Figur reizvoll. Im zweiten Schritt habe ich dann festgestellt, dass es wenig Filme über den Paragrafen 175 gibt.
Wie bereiten Sie sich auf eine solche Rolle vor?
Hans ist ein Mensch, der frei leben will, sich entschieden hat, sich nicht zu verstecken und bereit ist, den Preis zu zahlen, den die Gesellschaft dafür fordert. Auch wenn er zum Teil recht wortkarg ist und vielleicht nicht genau formulieren kann, was ihn gerade umtreibt, hört Hans seine innere Stimme gut. Dieser innere Kompass, der sich einem selbst entzieht, aber doch das Leben lenkt, der hat mich interessiert.
Im Film wird der berüchtigte Paragraf 175 des Strafgesetzbuches genannt, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Woran liegt es, dass es bislang so wenige Filme drüber gibt?
Ich würde sagen, es gibt heute eine größere Auseinandersetzung mit queerer Liebe in unserer Gesellschaft. Das ist gut. Dass sich große Corporations jetzt den Regenbogen-Anstrich geben, ist für mich nicht unbedingt beruhigend. Der Paragraf 175 stand bis in die 90er-Jahre im deutschen Gesetz.
„Schwul“ in den 90er-Jahren
Können Sie sich an diese Zeit noch erinnern?
Ich erinnere mich, dass ich mal mit meiner Mutter beim Juwelier war und einen Ohrring bekommen sollte. Ich habe dann das rechte Ohr hingehalten. Die Frau, die dort arbeitete, war ganz beschämt und meinte „Das andere Ohr“. Meine Mutter und ich haben das nicht verstanden. „Das ist das schwule Ohr“, meinte die Frau im verschwörerischen Tonfall, und wir haben dann das Ohrloch korrekt heterosexuell ins andere Ohr gestochen. Ich hatte das damals gar nicht verstanden. Ich bin aus einer Generation, die im Prinzip mehr oder weniger direkt vermittelt bekommen hat, dass Schwulsein etwas Kriminelles sei. Ich glaube, solange wir unsere Ohren in Klassen einteilen, haben wir echt ein Problem.
Aber tut sich da nicht gerade viel?
Ich würde den derzeitigen Hype nicht überbewerten. Ein Umdenken erfordert ja permanente Arbeit, nicht einfach seine Meinung von A nach B zu verschieben. Jetzt sind in meinem Bekanntenkreis alle queer und alle inklusiv. Das glaube ich keine Sekunde. Es gibt gar nicht genug Worte und Labels, wie es Lebensformen gibt. Es ist schön, dass da immer mehr entsteht, aber der Prozess wirklich inklusiv zu werden, hat, glaube ich, weniger mit Meinung zu tun als mit der Offenheit, denjenigen zuzuhören, die wirklich etwas zu sagen haben.
Im Film wird Hans immer wieder mal nackt in eine dunkle Einzelzelle gesteckt. Sein Zellengenosse Viktor schmuggelt ihm dann Zigaretten und Streichhölzer hinein. Wenn er diese anzündet, wird er kurz vom Feuer erleuchtet. Was drückt diese Szene für Sie aus?
Die Lebensdauer von so einem brennenden Streichholz ist beschränkt im Gegensatz zur Kerkerwand, die für eine Ewigkeit gebaut ist.
„Große Freiheit“ beim Filmfest Hamburg
Filmfest-Leiter Albert Wiederspiel sagte: „Gerade heute, wo die Intoleranz zunimmt, müssen wir aus der Geschichte lernen.“ Welche Lehren kann man aus dem Film ziehen?
Ich finde es schwierig, wenn der Eindruck entsteht, dass Filme eine politische Botschaft haben müssen. Müssen sie nicht, weil sie sie sowieso haben. Es geht in „Große Freiheit“ einfach um einen Menschen, der unterdrückt wird. Dass man das dann auch politisch deuten und interpretieren kann, ist klar, ich selbst tue das auch. Aber ich fände es schade, wenn das beim Filmemachen ein wichtiges Kriterium wäre. Ich wünsche mir, dass die Menschen ins Kino gehen, um einfach nur zu schauen und zu staunen. Dieser Film geht unter die Haut – das ist nicht schwer zu verstehen.
Wenn man sich Ihre bisherige Karriere anschaut, fällt auf, dass Sie oft Außenseiter spielen. Was reizt Sie daran?
Ich nehme die Rollen, die ich spielen darf, als sehr unterschiedlich wahr. Ich denke mal, dass ich ein paar äußere körperliche Merkmale habe, die mich wohl zum typischen Außenseiter-Schauspieler machen. Das sind letztlich auch Klischees, die immer wieder aktiviert werden. Auch durch solche Fragen.
Geht auch Mainstream?
Käme denn eine Mainstream-Rolle für Sie infrage?
Was ich in letzter Zeit tatsächlich nicht so oft gespielt habe, sind normale Lebenssituationen. Das kann ich mir aber auch gut vorstellen.
Sie haben vor dem Schauspielen eine Ausbildung im Ausdruckstanz in Stuttgart gemacht und eine ClownSchule im Tessin besucht. Hat Ihnen das für Ihr Schauspiel etwas gebracht, was in einer Schauspielschule so vielleicht nicht gelehrt wird?
Ich habe diese Schulen immer nur für ein Jahr besucht und bin dann gegangen – oder gegangen worden. Ich habe in den beiden Schulen keine Fähigkeiten gewonnen, die für das Schauspiel von Bedeutung wären.
Vorbilder
Haben Sie Vorbilder, von denen Sie sich beim Schauspielen inspiriert fühlen?
Wenn ich eine Rolle habe, fange ich immer bei null an und bin heilfroh, wenn ich irgendwas finde, dass überhaupt funktioniert – für die Figur, für mich und für den Regisseur. Das ist vielmehr eine Suche nach dem Rettungsring. Ich bin total ausgelastet damit, überhaupt irgendwas auf die Reihe zu kriegen. So souverän zu sein, dass ich quasi von dem Schauspieler das und von diesem jenes nehme und in mein Schauspiel einbaue – davon bin ich weit entfernt.
Klingt erstaunlich: Ihre Karriere befindet sich auf einen Höhenflug – 2018 wurden Sie mit dem Deutschen Schauspielpreis ausgezeichnet. Sie arbeiteten mit Regielegende Terrence Malick („Ein verborgenes Leben“) zusammen. Die „New York Times“ befand, Sie seien ein Schauspieler, dem der internationale Durchbruch gelingen könnte …
Ich darf zurzeit sehr viele Erfahrungen sammeln und lerne dabei viele verschiedene Künstler kennen – sowohl vor als auch hinter der Kamera. Das ist schon sehr spannend für mich. Sicher fühle ich mich dadurch aber überhaupt nicht. Das ist aber auch nicht mein primäres Ziel. Ich suche nach Entwicklung und Verwicklung. Die Komfortzone eignet sich nicht dafür und hat mich deshalb nie sonderlich interessiert.
Wie empfinden Sie den deutschen Filmstandort?
In den letzten zwei bis drei Jahren habe ich in Deutschland gar nicht mehr gedreht. Aber das betrachte ich eher als Zufall. Deutschland hat eigentlich alle Voraussetzungen, um sehr schöne und tolle Filme zu machen. Manchmal fragt man sich zwar, wo die bleiben, aber dann kommen die ja auch immer wieder.
Damals in Hamburg
Sie spielen nebenbei auch viel Theater und waren früher im Hamburger Thalia Theater aktiv. Sind das schöne oder eher unschöne Erinnerungen?
Das war eine sehr einsame Zeit, weil ich als einzelner Tänzer in einer Theaterproduktion aufgetreten bin – und sowohl auf der Bühne als auch in den einzelnen Entwicklungsprozessen eigentlich eine Zeit erlebte, in der ich auf mich allein gestellt war. Meine Entscheidung, Schauspieler zu werden, fiel vielleicht gar nicht so sehr aus Liebe zum Schauspiel als vielmehr in Folge der Ablehnung von dieser Situation, die ich da als Tänzer hatte. Ich wollte auch mal da vorne an der Rampe stehen.
Wo in Hamburg haben Sie damals gewohnt?
Ich hatte einen guten Freund gefunden, der Theatermacher ist. Bei dem habe ich gewohnt. Er hatte eine sehr schöne Wohnung, sehr gemütlich, direkt am Hansaplatz, bei den Nutten.
Das Filmfest Hamburg eröffnet mit dem Film „Große Freiheit“ von Regisseur Sebastian Meise. Hauptrolle Franz Rogowski, Kinostart 18. November 2021 in den Kinos
Hier ist der Trailer zum Film:
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