Filmkritik: „Die Aussprache“

Regisseurin Sarah Polley inszeniert in „Die Aussprache“ eine dramatische Debatte zwischen acht Frauen. Ihre Vision: eine Welt ohne Unterdrückung und Missbrauch durch Männer
Ben Whishaw als August (l.), Rooney Mara in der Rolle der Ona (m.) und Claire Foy als Salome (r.) in Sarah Polley’s „Die Aussprache“ (©Orion Pictures/Michael Gibson)

Auf den Feldern spielen Kinder, die Sonne scheint, eine trügerische Idylle. In der abgeschiedenen kleinen Religionsgemeinschaft wurden über Jahre hinweg Mädchen und Frauen mit Narkosemitteln für Rinder betäubt und brutal vergewaltigt. Die Verletzungen ignorierte man, niemand half den Opfern, die selbst nicht wussten, was mit ihnen geschah. War es ihre Schuld oder die von Dämonen? Ein Täter wird überrascht, die Polizei nimmt den Mann fest, schützt ihn vor den Angriffen weiblicher Rache. Er nennt die Namen der anderen Vergewaltiger. Eine Kaution wird gestellt, 24 Stunden noch, dann kehren die Männer zurück.

„Die Aussprache“ von Regisseurin Sarah Polley, ab dem 9. Februar im Kino (©Orion Pictures)

Macht und Ohnmacht

In einem Heuschober, der an eine Kathedrale erinnert, versammeln sich acht Frauen verschiedensten Alters und Temperaments. Ihre Welt liegt in Trümmern, es gilt, eine Entscheidung über die Zukunft zu treffen. Sollen sie bleiben und nichts tun, kämpfen, oder die Gemeinschaft verlassen? Konträre Sichtweisen prallen aufeinander. Die Diskussion ist leidenschaftlich, zornig, besonnen, manchmal aggressiv und schmerzerfüllend. Salome (Claire Foy) plädiert für Rache und fürchtet nicht den göttlichen Zorn. Was hat Vorrang? Gehorsam den Männern gegenüber oder Selbstverwirklichung und Freiheit? Immerhin bedeutete die Isolation gerade für die Älteren wie Scarface Janze (Frances McDormand) Geborgenheit. Die Zeit drängt …

Der vielleicht radikalste, filmische #MeToo-Beitrag

Der Film „Die Aussprache“ basiert auf Miriam Toews Roman „Women Talking“, nimmt Bezug auf die Vergewaltigungsfälle einer Mennoniten-Gemeinde in Bolivien zwischen 2005 und 2009. Die kanadische Regisseurin und Drehbuchautorin Sarah Polley („Take This Waltz“) kreiert einen fesselnden Mix aus True-Crime-Epos und fiktiver Werte-Debatte, der in seiner Art vielleicht radikalste, filmische #MeToo-Beitrag. Das extreme Breitbildformat unterstreicht das Epochale der Gefühle, Gewalt ist Thema, wird aber nie gezeigt. Grandios sind die schauspielerischen Leistungen. In den Gesichtern der Frauen, die nicht einmal hatten Lesen und Lernen dürfen, spiegelt sich die Entschlossenheit, jedes Opfer zu bringen, für eine sichere Welt, eine Welt ohne Missbrauch. 

„Die Aussprache“, Regie: Sarah Polley. Mit Rooney Mara, Claire Foy, Jessie Buckley. 104 Min. Ab dem 9. Februar im Kino.

Hier gibt’s den Trailer zum Film:

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Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 02/2023 erschienen.

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