Wer das Kino als Tor in eine andere, mysteriöse Welt, in ein Reich zwischen Traum und Wirklichkeit erleben will, ist bei der Französin Lucile Hadžihalilović an der richtigen Adresse. Konfektionierte Leinwandwerke für die Massen sind ihre Sache nicht. Vielmehr liebt sie es entschleunigt, verrätselt, handlungstechnisch abgespeckt. Das, was passiert, ist längst nicht so wichtig wie die Stimmungen, die sich in ihren Arbeiten Bahn brechen und das Publikum in eine Art Trancezustand versetzen sollen. Auch „Herz aus Eis“, uraufgeführt auf der Berlinale 2025 und dort mit einem Silbernen Bären für die herausragende künstlerische Leistung ausgezeichnet, sperrt sich einfachen Zuschreibungen. Im Mittelpunkt steht das Waisenmädchen Jeanne (Clara Pacini), das seine tote Mutter vermisst und eine Faszination für Hans Christian Andersens Märchen „Die Schneekönigin“ entwickelt hat. Als sie aus dem Kinderheim ausbüxt, verschlägt es sie – ein Wink des Schicksals – ausgerechnet an das Set einer Filmadaption besagter Erzählung. In den Bann schlägt die Teenagerin, die sich selbst eine andere Identität verpasst, sofort Hauptdarstellerin Cristina. Eine unterkühlte, bei den Mitwirkenden Angst verbreitende Diva. Zwischen ihr und Jeanne entsteht eine beunruhigende Anziehung.
„Herz aus Eis“: Coming-of-Age-Drama mal anders
Ob man diese auf knapp zwei Stunden auswalzen muss und ob der Kunstanspruch vielleicht etwas zu deutlich ausgestellt wird – das sind berechtigte Fragen. Schon die bedrückende Darbietung Marion Cotillards in der Rolle Cristinas machen „Herz aus Eis“ aber zu einem besonderen Ereignis. Lässt man sich ein auf den Stil der Regisseurin, entfaltet das surreale Coming-of-Age-Drama mit seiner flirrenden Musikuntermalung und seinen sorgsam komponierten, oft betont artifiziellen Bildern eine hypnotische Kraft. Gefährliche Obsessionen, der Schein der Filmwelt, das Loslassen der Vergangenheit, toxische Abhängigkeit und Todessehnsüchte – all das bindet Hadžihalilović in ihrer Geschichte zusammen, obwohl de facto wenig passiert. Wahrlich wundersam!

Trailer zum Film
Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 12/25 erschienen

