Filmkritik: „May December“

Tragikomödie mit pikanter Note
Elizabeth (Natalie Portman) will Gracie (Julianne Moore) in einem Independent-Film verkörpern (©François Duhamel/Netflix)

Ein Film, der „May December“ heißt, spielt im Frühling und im Winter. Was sonst? Weit gefehlt! Denn im Englischen beziehen sich die beiden Wörter auch auf eine Partnerschaft mit großem Altersunterschied. Genau darum geht es in Todd Haynes’ neuer Regiearbeit, die 2023 in Cannes ihre Weltpremiere feierte.

Natalie Portman verkörpert die Schauspielerin Elizabeth, die in den Alltag eines skandalumwitterten Paares eintaucht. Vor 23 Jahren hatte die damalige Mittdreißigerin Gracie (Julianne Moore) eine Affäre mit dem Siebtklässler Joe. Nach ihrem Gefängnisaufenthalt heiratete sie ihren jungen Liebhaber und gründete mit ihm eine Familie. Da Elizabeth Gracie nun in einem Independent-Film verkörpern wird, will sie sich richtig in die Rolle einfühlen und besucht die Eheleute. Ihre Anwesenheit, ihre Gespräche mit Verwandten und Beteiligten lassen allerdings weder Gracie noch Joe (Charles Melton) kalt.

Vielschichtigkeit und ein Widerspruch

„May December“ von Regisseur Todd Haynes läuft ab dem 30. Mai in den deutschen Kinos (©François Duhamel/Netflix)

„May December“ hätte plattes Kolportagekino werden können, entpuppt sich aber als vielschichtige, Spiegelungen geschickt einsetzende Tragikomödie mit spannenden Fragestellungen: Können Missbrauch und Liebe nebeneinander existieren? Was bedeutet Wahrheit? Welche Grenzen hat die Schauspielkunst? Welche Verantwortung tragen Darsteller und Filmemacher, wenn sie reale Geschehnisse nachstellen? Und ist es überhaupt möglich, andere Menschen richtig zu entschlüsseln? Der Film bietet viele Diskussionsansätze, wirkt jedoch nie überladen, hat eher etwas Spielerisches – nicht zuletzt dank seiner zwischen Dramatik und Augenzwinkern changierenden Musik. Portman und Moore überzeugen. Zum Ende hin trumpft allerdings auch Melton auf.

Was den positiven Eindruck etwas trübt: Dass Haynes und Co. ihre Kritik an Hollywoods ausbeuterischem Umgang mit wahren Geschichten selbst untergraben. Vili Fualaau, dessen medial ausgeschlachtete Missbrauchserfahrung als Inspirationsquelle diente, ließ jedenfalls verlauten, er fühle sich benutzt, da keiner der kreativ Verantwortlichen den Kontakt zu ihm gesucht habe. 

„May December“, Regie: Todd Haynes. Mit Julianne Moore, Natalie Portman, Charles Melton. 113 Min. Ab dem 30. Mai 2024 im Kino

Hier gibt’s den Trailer zum Film:

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Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 05/2024 erschienen.

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