Hirayama (überragend: Kōji Yakusho) reinigt öffentliche Toiletten in Tokio. Den Ablauf seines Alltags hat der Mittsechziger mit dem hinreißenden Lächeln methodisch durchstrukturiert: vom morgendlichen Bartstutzen bis zur abendlichen Buchlektüre kurz vor dem Einschlafen. Zurückgezogen lebt er allein in einem kleinen, spartanisch eingerichteten Apartment, aus der Jugendzeit hat Hirayama nur die Musikkassetten und einen altmodischen Rekorder hinübergerettet: Lou Reed, Nina Simone, Patti Smith, The Kinks, Velvet Underground.
Auf der Fahrt zur Arbeit erklingt „House of the Rising Sun“, ruhig und konzentriert geht der Protagonist seiner Tätigkeit nach, antwortet nicht auf das Geplapper des jungen faulen Kollegen. Kein Wort der Kritik, höchstens ein besorgtes Lächeln. Seine wahre Leidenschaft ist das Beobachten der Welt um sich herum, das erste Licht beim Aufwachen, die Stadt mit ihren extremen Gegensätzen, stark befahrene mehrstöckige Autobahnen, beschauliche Wohnsiedlungen, Labyrinthe aus engen Gassen, ein Miteinander von Zukunft und Vergangenheit. Hirayamas Sichtweise wird die des Publikums: das Entdecken der Schönheit im Alltäglichen. Während der Mittagspause im Park holt er seine analoge Pocketkamera heraus: Komorebi, das Lichtspiel der Blätter im Wind, entwickelt sich zum Spiegel seines Daseins.
Zutiefst berührende Momente
Die Toiletten ähneln winzigen Tempeln, jene architektonischen Wunder waren für Wim Wenders („Anselm“) die Inspiration zu „Perfect Days“. Spielfilme können nach Ansicht des Regisseurs am überzeugendsten die Magie einer Metropole reflektieren. Bester Beweis: „Der Himmel über Berlin“ (1986). Durch den vordergründig monotonen Rhythmus erhalten selbst kleinste Abweichungen besondere Bedeutung. Die Natur und das sich verändernde Licht schaffen ständig neue Kompositionen und zutiefst berührende Momente. Kōji Yakusho, in Cannes für seine schauspielerische Leistung ausgezeichnet, verkörpert einen Mann aus wohlhabender Familie, der bewusst die Armut wählt – als Schutz vor Verletzungen. Erst das unerwartete Auftauchen der Nichte erinnert ihn an früher. In sein Lächeln mischen sich erstmals Trauer und Schmerz.
„Perfect Days“, Regie: Wim Wenders. Mit Kōji Yakusho, Tokio Emoto, Arisa Nakano. 123 Min. Ab dem 21. Dezember 2023 in den Kinos
Hier gibt’s den Trailer zum Film:
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Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 12/2023 erschienen.