SZENE HAMBURG: Herr Hollmichel, Förster klingt nach Traumberuf: immer an der frischen Luft, da arbeiten, wo andere Erholung suchen. Sind Sie deshalb Förster geworden?
Gido Hollmichel: Für mich ist es ein Traumberuf. Ich mach das jetzt seit 1990 in Hamburg. Mein leiblicher Vater war kein Förster. Der war Architekt. Meine Eltern haben sich irgendwann scheiden lassen. Ich bin seit meinem zehnten Lebensjahr in einer Försterei bei meinem Stiefvater aufgewachsen und da mit dem Beruf in Kontakt gekommen. Als ich in der Oberstufe war, stand fest: Wenn du dein Abi in der Tasche hast, studierst du Forstwirtschaft. Ich habe nach wie vor viel Freude daran, allerdings wird der Anteil im Büro unterschätzt. Da ist mittlerweile der Schwerpunkt und nicht draußen.
Was wäre eine Alternative gewesen?
Auch der Architekten- oder Designerberuf hätte mich interessiert, weil ich durchaus ein Faible für das Künstlerische habe. Aber das lässt sich wunderbar miteinander verbinden. Was wir in der Natur machen, hat ja auch viele gestalterische und ästhetische Aspekte. Insofern kann man als Förster, ich will nicht sagen, sich verwirklichen, aber viel gestalten. Das ist eine schöne Sache, aber man sieht es erst nach längerer Zeit. Eine Baumgeneration kann bei der Eiche über 200 Jahre dauern, und das sind ja sieben bis zehn Förstergenerationen. Jetzt bin ich ja 33 Jahre dabei, und man sieht schon büschen meine Handschrift.
Kontrolliert und nachhaltig Wirtschaften
Sie begleiten als Forst-Verantwortlicher im Bezirksamt Harburg seit 25 Jahren die Forest Stewardship Council (FSC)-Zertifizierung.
Dazu muss man sagen: Die Idee kam nicht von mir, sondern von unserem damaligen Amtsleiter Dr. Wujciak, der früh erkannt hat, dass in diesem Zertifikat Zukunft steckt, dass das für Hamburg ein ganz klarer Gewinn ist. Die drei Säulen des FSC sind: dass wir kontrolliert nachhaltig wirtschaften, dass wir hohe ökologische Standards erfüllen und nicht zuletzt soziale Aspekte berücksichtigen wie Lohngerechtigkeit. Wir hatten letztes Jahr das Audit in der Revierförsterei Hausbruch, und da hat der Zertifizierer keine Abweichungen von den Kriterien festgestellt. Das heißt, dass wir diese hohen Standards erfüllen.
Die Tiere haben sich so an den Lebensraum angepasst, dass sie selbst klarkommen
Gido Hollmichel
Verändert FSC für Laien sichtbar das Erscheinungsbild des Waldes?
FSC nicht nur, aber auch. Maßgeblich sind unsere waldbaulichen Rahmenrichtlinien. Hamburg hat sich seit den 80er-, 90er-Jahren der naturnahen Waldwirtschaft verschrieben. Ich selbst bin seit Mai ’90 hier und sehe die Veränderungen. Wir haben sehr vielschichtige Wälder, mittlerweile: ein Miteinander großer und kleiner Bäume – und das ist dann wieder FSC – wir haben einen deutlich höheren Laubholzanteil mit standortgerechten Baumarten wie der Buche. Da kann man sehen, wie sich der Wald verändert hat.
Greifen Sie überall ein oder gibt’s auch so etwas wie Urwald im Hamburger Wald?
Auf jeden Fall. Der FSC fordert, dass mindestens fünf Prozent des Waldes als Naturwaldflächen ausgewiesen werden, also nicht bewirtschaftet werden. Hamburg hat sich selbst zehn Prozent auf die Fahnen geschrieben. Wir haben das sogenannte „Naturwaldstrukturprojekt“, das auch im Netz beschrieben ist. Wir haben größere Waldflächen, die aus der Nutzung komplett herausgenommen wurden und einen großen Artenreichtum haben. Das sind alte Laubholzbestände aus Buchen und Eichen, und da gibt es sogenannte Urwaldreliktarten, seltene Käfer und Insektenarten, die dadurch erhalten bleiben.
Anpassung und Gefahr durch Mountainbiker
Wie geht es den Waldtieren im Winter? Müssen sie gefüttert werden?
Nein. Es gibt sogar ein Fütterungsverbot für Wildtiere. Die Tiere haben sich so an den Lebensraum angepasst, dass sie selbst klarkommen. Es gibt sogar Entwicklungen, dass sich Tierarten vermehrt ausbreiten. Wir erleben das bei der Nutria, auch Biberratte genannt. Wir haben in den Harburger Bergen überwiegend Rehe und Wildschweine. Hirsche gibt es hier nicht, die finden Sie im Duvenstedter Brook. Es gibt aber eine Vielzahl kleinerer Tiere, und die sind biologisch sogar spannender: Dachse, Füchse, Marder und auch in der Vogelwelt alles Mögliche. Der Uhu hat sich wieder eingefunden. Gelegentlich schaut mal der Wolf vorbei. Der hält sich hier nicht dauerhaft, dafür dürfte es ihm zu unruhig sein.
Haben Sie ein Lieblingstier?
Ich mag die Dachse. Die kommen auch jeden Abend auf unserem Grundstück vorbei. Als ich hier anfing, hatten wir zwar noch alte Dachsbauten. Die werden riesig ausgebaut von den Dachsen und können bis zu 100 Jahre alt werden. Aber ich hab Anfang der Neunziger nie Dachse gesehen. Mittlerweile haben sie sich gut erholt und tauchen regelmäßig auf. Ich mag die, weil die eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlen. Einfach tolle Tiere (lacht).
Unser Ziel ist, dass die Trails nachhaltig genutzt werden
Gido Hollmichel
Die Harburger Berge sind Norddeutschlands wichtigstes Mountainbikegebiet. Biker und Wildschweine in friedlicher Koexistenz. Wie ist das möglich?
Seit ungefähr 2010 hat sich das exponentiell entwickelt. Aus Flensburg, Kiel, Bremen kamen plötzlich die Leute zum Mountainbiken. Wir haben überall illegale Trails angetroffen. Kaum war einer abgebaut, schon entstand der nächste. Ein richtiges Katz-und-Maus-Spiel. Es gab Überlegungen, mit Unterstützung der Polizei dagegen vorzugehen. Aber letztendlich musste man sagen: Es war nicht in Ordnung, diese Trails anzulegen, aber es ist ganz klar eine veränderte Freizeitnutzung, der Bedarf ist da.
Wir haben uns mit den Mountainbikern zusammengesetzt, auf Augenhöhe Argumente ausgetauscht. Dann sind wir zu der Lösung gekommen. Wir machen eine Bewertung der Trails: Alles, was legal ist, ist grün. Alles, was illegal entstanden ist, aber keine weiteren Rechtsgüter wie geschützte Biotope oder Wildeinstandsflächen beeinträchtigt, ist gelb. Trails durch Naturwaldflächen oder ähnliches sind rot. Wir haben die roten Trails zurückgebaut und gesagt: Wenn ihr euch daran haltet, hier nicht mehr zu fahren, geben wir die gelben Trails frei. Jetzt gibt es nur noch grüne Trails und da wird sich seit vier Jahren dran gehalten. Wir haben einen richtigen Vertrag mit den Mountainbikern geschlossen, die Unterhaltung macht der Verein selbst. Unser Ziel ist, dass die Trails nachhaltig genutzt werden.
Den Wald um Hamburg entdecken
Winterzeit – Zeit der Waldspaziergänge. Was sollte man beachten?
Wir haben kein Betretungsverbot abseits der Wege, aber es ist natürlich immer eine Beunruhigung. Man sollte keinesfalls in eingezäunte Flächen gehen, auch nicht in Dickungskomplexe, also dichte Waldstücke aus jungen Bäumen. Meine Meinung ist: Wir haben einen wunderschönen Wald, den man auch von den Wegen aus genießen kann, ohne die Tierwelt vor Ort zu stören. Gar nicht weit weg kann es sein, dass sich Rehe, Wildschweine und dergleichen aufhalten, und die sind viel aufmerksamer. Das heißt, bevor ich mitbekomme, dass da was ist, sind die schon längst geflüchtet. Aber gerade im Winter bedeutet jede Flucht vor dem Menschen Energieverbrauch und schwächt letztendlich die Tiere.
Tipp für unsere Leserinnen und Leser: Wo ist es am schönsten in ihrem Revier?
Das kann man so nicht sagen. Wir haben allein hier in Harburg tolle und unterschiedliche Lebensräume. Die Haake ist sehr schön mit ihren Buchenwäldern, aber auch die Fischbeker Heide hat viel zu bieten. Da gibt es den Heidschnuckenweg, der geht hier fast unmittelbar an der B73 los bis nach Celle. Das heißt, ich muss nicht nach Santiago de Compostela, um zu pilgern (lacht). Gerade der Hamburger Teil bis Buchholz ist klasse. Das sind ungefähr 20 Kilometer, absolut empfehlenswert. Es ist aber nicht so, dass nur der Harburger Wald schick ist. Jedes Revier bei uns in Hamburg hat seine Besonderheiten. Es gibt so viele schöne Sachen, die man sehen kann. Einfach mal drauflos und entdecken.
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 12/2023 erschienen.