SZENE HAMBURG: Du hattest ein Erweckungserlebnis mit David Bowie. Als du zwölf Jahre alt warst, hat dein damaliger Musiklehrer „Space Oddity“ von David Bowie aufgelegt. Kannst du mal beschreiben, wie die Situation damals für dich war?
Frank Schätzing: Düster. Auf der Volksschule hatte man Wert auf musische Begabung gelegt, auf dem Gymnasium versuchten sie uns jede Fantasie auszutreiben: Eine Leistungsschmiede, wo es einzig ums Pauken ging. Träumen war abgemeldet. Dann spielte uns der Lehrer „Space Oddity“ vor, und ich war hin und weg. Der da singt, dachte ich, ist der König aller Träumer. Wenn der mit so was Erfolg hat, kann aus mir auch was werden.
Wodurch hat Bowie sich den Adelstitel „König aller Träumer“ verdient?
Na, durch seinen ganzen Output. Sein Erscheinungsbild, seine Performance, seine Themen. Bowie dachte und agierte nicht in künstlerischen Grenzen, er erfand sich und den Pop immer wieder neu. Um das zu schaffen, musst du in großem Stil und kühn träumen können.
„Er gab mir den Mut, mich auszuprobieren.“
Im Klappentext zum Buch steht: Ab da war alles anders. Was denn genau und inwiefern?
Das damalige Leistungsdenken erforderte, sich dem Lehrstoff bedingungslos anzupassen, für einen Werdegang zu entscheiden und zeitlebens dabei zu bleiben. Nur hatte ich nicht die mindeste Ahnung, wer ich sein und was ich werden sollte. Ich zeichnete, malte, schrieb Kurzgeschichten – und Bowie sagte: Sei einfach alle! Jeder trägt viele Persönlichkeiten in sich. Lass sie raus. Er gab mir den Mut, mich auszuprobieren.
Bowie hat dich seither dein gesamtes Leben lang begleitet. Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Ein Lebensretter war er, bis ich 16 wurde. Von kaum zu überschätzender Wichtigkeit. Nun bin ich niemand, der Menschen idolisiert. Fortan sah ich ihn als beeindruckende Persönlichkeit und kreatives Genie. Und stellte über die Jahre fest, dass ich seine künstlerische Haltung durchweg teilte. Obwohl ich andere Wege ging und ohne mich mit ihm vergleichen zu wollen, empfand ich ihn doch als Seelenverwandten.
Du hast dich im Zuge der Arbeit an „Space Boy“ vermutlich noch mal intensiv mit David Bowie beschäftigt. Welches waren die spannendsten neuen Erkenntnisse, die du über ihn (und/oder dich) dadurch dazugewonnen hast?
Wie wenig er sich eigentlich verstellt hat. Selbst in seinen wildesten Kostümen während der Siebziger sah man tatsächlich einen authentischen Bowie – insofern, als er sich keine fremde Identität überstülpte, sondern sein Innerstes nach außen kehrte. So richtig verstand ich das erst, als ich mit 16, mit meiner damaligen Band, auftrat. Ich war furchtbar schüchtern, also schminkte ich mich – und fühlte mich erstmals wie ich selbst.
Du hast geschrieben, „David Bowies gesamter Werdegang sei die Chronik seiner Obsessionen“. Inwiefern?
Weil er für alles brannte. Lichterloh. Alles auf die Spitze trieb, über jede Grenze ging. Besonders in den Siebzigern, seiner Drogenzeit – er nahm ja Koks, die Hellwachdroge schlechthin – legte er einen manischen Schaffensdrang an den Tag. Später, als er mit Iman und Tochter Lexi ein zufriedenes und ausgeglichenes Leben führte, hat er dennoch wie ein Wilder gegen seine Endlichkeit angearbeitet. Der Mann war kreativ für zehn!
Wenn du dir das heutige Pop-Geschehen ansiehst mit Künstlerinnen und Künstlern wie Billie Eilish, Taylor Swift, Harry Styles et cetera. Gibt es da welche, von denen du glaubst, dass sie es künstlerisch mit Bowie aufnehmen könnten? Wen findest du von aktuellen Musikerinnen und Musikern am spannendsten und warum?
Seine legitime Erbin ist zweifellos Annie Clark aka St. Vincent, in den USA weit populärer als hier. Eine begnadete Songschreiberin und Gitarristin, Gestaltwandlerin, Grenzgängerin zwischen den Genres, flamboyante und charismatische Erscheinung, ebenso wie Bowie mit großer theatralischer Kraft ausgestattet. Hierzulande sehe ich keine direkte Bowie-Nachfolge, mit Sophia Kennedy allerdings eine faszinierende Songschreiberin und Sängerin, deren Stimme und Musik im deutschen Pop einzigartig sind. Sie finde ich wirklich grandios!
Es gibt ja gesellschaftlich einschneidende Ereignisse, bei denen die meisten Menschen wissen, wo sie an besagtem Tag waren – wie beim 11. September zum Beispiel. Ich weiß auch noch, wo ich war, als ich von Bowies Tod erfahren habe. Du auch?
Ich kam aus der Dusche. Hatte vor, an dem Tag Mike Garson anzurufen, Bowies Pianist, mit dem ich zu der Zeit an meinem Album „Taxi Galaxi“ arbeitete. Zwei Tage zuvor war „Blackstar“ erschienen. Meine Frau nahm mich in die Arme: „David Bowie ist gestorben. Das ist so traurig.“ Ich konnte es nicht glauben. Du bringst doch kein solches Album, so ein Meisterwerk raus und stirbst zwei Tage später. Ich rief Mike an: „Wir können es verschieben. Du musst doch total unter Schock stehen.“ „Nein“, sagte Mike. „Wir ziehen das durch, das hätte David auch getan.“ Also spielte er für mich Klavier. Bowies Pianist. Too big to handle.
Schätzing über Bowies Tod und die eigene Endlichkeit
Was hat sein Tod mit dir gemacht?
Einerseits war es, als ginge ein langjähriger Gefährte. Obgleich wir uns ja gar nicht kannten und ich mein Leben nun wirklich nicht nach Bowie ausgerichtet hatte. Aber da war immer dieses tiefe Einverständnis gewesen. Ich wusste, damit geht auch ein Teil meines Lebens zu Ende. Bowie hatte ja noch jede Menge Pläne, die er nicht mehr umsetzen konnte. Schlagartig wurde mir klar, dass auch ich nicht mehr alles würde tun können, was ich mir vorgenommen hatte. Sein Tod führte mir meine Endlichkeit vor Augen. Aber auch, dass ich bis zum letzten Atemzug etwas Neues beginnen würde.
Welcher Aspekt von Bowies Persona und/oder seinem Werk fasziniert dich am meisten und warum?
Seine immense Vielseitigkeit, die ihn befähigte, fünf Jahrzehnte lang vorne zu sein, die meiste Zeit jedenfalls. Bis zuletzt ein Avantgardist. Vor allem aber bewunderte ich seine Bereitschaft, Risiken einzugehen. Wer sich ständig neu erfindet, setzt jedes Mal seine Fanbase aufs Spiel. Aber das muss so sein. Es gibt eine Kunst der Kompromisse. Aber keine Kompromisse in der Kunst.
Geniale Songs hat Bowie ohne Zahl geschrieben, herausragend ist „Life on Mars“
Frank Schätzing
Welches ist dein Lieblings-Bowie-Album und warum? Und: Welches sind für dich die drei wichtigsten Bowie-Songs und warum?
Bei so einem Œuvre gibt es nicht ein Lieblingsalbum. Aus der Frühzeit finde ich „Diamond Dogs“ berauschend. „Low“ war bahnbrechend. Ein Meilenstein der Ungefälligkeit ist „1. Outside“. Und natürlich „Blackstar“. Geniale Songs hat Bowie ohne Zahl geschrieben, herausragend ist „Life on Mars“, ein harmonisch irre anspruchsvoller, gleichwohl traumhaft eingängiger Song und Paradebeispiel für Bowies dramaturgisches Genie und Sangeskunst. „Aladdin Sane“ schon wegen Make Garsons Klavier-Solo. „Jump They Say“ aus den Neunzigern klingt grandios, eine Hommage an seinen Halbbruder Terry, der großen Einfluss auf Bowie hatte. Und „Lazarus“. Sein finales Monument.

