Regisseur Frank Thannhäuser: „Ich bin gerne das Theater für Hamburg“ 

Mit dem klassischen Schauerstück „Jekyll und Hyde“ feiert Intendant und Regisseur Frank Thannhäuser das 30-jährige Jubiläum seines Hauses, dem Imperial Theater – ein Gespräch 
Krimi- und Grusel-Klassiker sind seine Spezialität: Frank Thannhäuser (©Imperial Theater)

SZENE HAMBURG: Frank Thannhäuser, „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ ist einer der berühmtesten Klassiker der englischen Schauerliteratur. Ein Stoff, wie gemacht für das Imperial Theater. Warum bringen Sie ihn erst jetzt auf die Bühne?

Frank Thannhäuser: Das Imperial Theater ist eigentlich ein Krimi-Theater. Aber bei „Der Untergang des Hauses Usher“ und „Dracula“ haben wir gemerkt, dass das Publikum durchaus bereit ist, Geschichten zu akzeptieren, die etwas komplexer gestrickt sind. „Jekyll und Hyde“ ist einerseits eine hoch psychologische Novelle. Auf der anderen Seite kann man damit aber auch seinen Blutdurst stillen.

Die Bearbeitung für die Bühne stammt wieder von Ihnen?

Ja. Es gibt etliche Theaterbearbeitungen und 86 Filme, in denen die Figur des Dr. Jekyll auftaucht. Ich stütze mich aber auf Robert Louis Stevensons Novelle von 1886 und die ein Jahr später entstandene erste Bühnenversion des Stoffs.

Wir sind ja hier auch komplett „made auf St. Pauli“.

Frank Thannhäuser

Das klingt nach einer klassischen Herangehensweise …

Wir müssen immer gucken, was in unserem Haus funktioniert. Es macht keinen Sinn, eine Hightech-Version zu machen, die man nicht angemessen realisieren kann. Bei der ersten Bühnenversion merkt man, wie sehr die Autoren Thomas Russell Sullivan und Richard Mansfield sich auf die Fähigkeiten des Hauptdarstellers verlassen haben, der übrigens Mansfield selber war. Dass man diese Version heute nicht mehr eins zu eins auf die Bühne bringen kann, weil die Art zu spielen inzwischen eine ganz andere ist, versteht sich von selbst. Aber sie bietet ein besseres Ausgangsmaterial als die Novelle.

Ein gesellschaftlich enges Korsett 

Sie spielen auf Stevensons verschachtelte, anachronistische Erzählweise an?

Ja, man muss alles in eine andere Reihenfolge bringen und Stellen, die im logischen Handlungsverlauf fehlen, auffüllen. Erstaunlicherweise gibt es auch keine Liebesgeschichte in der Novelle, die – genau wie Stevensons Roman „Die Schatzinsel“ – fast ohne Frauenfiguren auskommt.

Wir müssen immer gucken, was in unserem Haus funktioniert.

Frank Thannhäuser

Das heißt, Sie haben eine weibliche Figur hinzugefügt?

Die gibt es seit der ersten Bühnenversion und zieht sich auch durch alle Filme, um das „Love Interest“ zu bedienen, wie man heute so schön sagt.

Und wer schlüpft im Imperial Theater in die Rollen von Jekyll und Hyde?

Christian Richard Bauer und Gosta Liptow sind die alternierenden Besetzungen für diese Doppelrolle. Es geht ja um ein und dieselbe Figur, die mit Gut und Böse experimentiert und versucht, diese beiden Seiten ihrer Persönlichkeit voneinander zu trennen.

Warum möchte Henry Jekyll das Böse von sich trennen?

Man darf nicht vergessen, dass die Geschichte im viktorianischen England spielt, in dem das gesellschaftlichen Korsett sehr eng war. Jekyll möchte sein Leben einfacher machen, indem er alles moralisch Anrüchige von sich abspaltet, um dann nur noch gut zu sein zu können.

Der böse Teil seiner Persönlichkeit wird abgespalten, aber er bleibt in der Welt …

Wenn die Persönlichkeit gespalten und die zweite Person ausschließlich böse ist, hat man ein echtes Problem, weil der Kampf zwischen Gut und Böse dann innerhalb des Menschen stattfindet. Man würde heute vielleicht von einer bipolaren Störung sprechen. An diese Folgen hat Dr. Jekyll nicht gedacht, weil er vor allem herausfinden möchte, ob eine solche Trennung überhaupt möglich ist. Ist das gut? Ich weiß es nicht. Die Wissenschaft erschafft eine KI, die uns hilft, aber vielleicht auch manchmal schadet. Man kann ein Atom spalten, muss aber keine Bombe bauen. Trotzdem tut der Mensch es. Deswegen sollte man aber nicht sagen: Weg mit der Wissenschaft! Auch mit dieser Frage setzt sich das Stück auseinander.

60 Produktionen in 30 Jahren

Schon im 19. Jahrhundert ein Bühnenerfolg: „Jekyll und Hyde“ (©Imperial Theater)

Man kann das Buch auch als die Geschichte eines Süchtigen lesen, der eine eigene Droge entwickelt, die dann diese Persönlichkeitsveränderung hervorruft …

Absolut. Jekyll macht sich von diesem Mittel abhängig und verliert völlig die Kontrolle. Ein weiteres Thema mit Gegenwartsbezug, das sich aus dem Buch herauslesen lässt, ist die Sterbehilfe. Man könnte wirklich viele Fässer aufmachen. Wir wollen aber vor allem den Krimi erzählen.

Das Imperial Theater gibt es schon seit dreißig Jahren. Feiern Sie ein Jubiläum?

Wir gehören nicht unbedingt zur Feierfraktion, die hier alle fünf Jahre einmal doll die Korken knallen lässt. Aber jeder, der hier arbeitet, guckt stolz auf die 60 Produktionen in diesen dreißig Jahren zurück. Gerade auch nach diesen ganzen Irrungen und Wirrungen rund um die Pandemie.

Wie hat das Theater den Corona-Knick verkraftet?

Gut, auch weil Hamburg höchst generös mit seinen Theatern umgegangen ist. Wir haben hier die Insel der Glückseligkeit, was die Loyalität der Stadt gegenüber den Bühnen betrifft. Wir haben aber auch von Anfang an versucht, unsere Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, zum Beispiel mittels Kurzarbeit, und uns nichts schenken lassen. Zum Glück ist unser Publikum sehr schnell zurückgekommen. Wir hatten damit gerechnet, „Dracula“ sechs Monate spielen zu können, dann stand das Stück ein ganzes Jahr auf dem Spielplan – mit drei Vorstellungen pro Woche. Wo findet man sonst in Deutschland eine Schauspielproduktion, die so lange durchhält?

Schätze, mit denen andere tolle Kunst machen könnten 

Kommen viele Touristen ins Theater?

Es kommen tatsächlich mehr und mehr touristische Stammgäste aus dem Pott, aus Stuttgart oder aus Österreich zu uns. Aber das Gros sind Hamburger. Das ist doch toll. Ich bin gerne das Theater für Hamburg. Wir sind ja hier auch komplett „made auf St. Pauli“. Fast alles wird im eigenen Haus hergestellt. Der Rest in Hamburger Betrieben. Bei uns ist „shop local“ angesagt.

Klingt sehr nachhaltig …

Wir schauen immer, was noch zu gebrauchen ist. Die Bühnenbilder und Kostüme gehen nach der letzten Aufführung nicht gleich in die Tonne. „Recycling lebt vom Mitmachen“ war von Anfang an das Motto unseres Hauses. Besonders in den ersten Jahren haben wir alte Bühnenbilder für neue Produktionen ausgeschlachtet und umgestaltet. Manchmal fragen wir auch bei einem Vergnügungspark an, ob die Sachen von uns für ihre Halloween-Attraktion brauchen können. Das sollten viel mehr Theater tun. In deren Regalen, Garderoben und Lagerhäusern liegen Schätze, mit denen andere Menschen tolle Kunst machen könnten.

Man könnte wirklich viele Fässer aufmachen. Wir wollen aber vor allem den Krimi erzählen.

Frank Thannhäuser

Die ersten neun Jahre war das Imperial Theater ein Musicaltheater, bevor es zum Krimi-Theater wurde. Haben Sie jemals daran gedacht, die beiden Genres zu miteinander zu verknüpfen? Auch von „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ gibt es Musicalbearbeitungen, die in Hamburg noch nie zu sehen waren.

Ich habe Anfang der 1990er-Jahre das Musical „Jekyll & Hyde“ in New York gesehen und fand es super, aber die gewaltige Musik von Frank Wildhorn braucht ein großes Live-Orchester. Das wäre bei uns gar nicht durchführbar. Das Genre ist für uns wohl passé, auch wenn ich mich nach wie vor sehr für das Musical begeistere.

Dann vielleicht mal ein moderner Krimi à la Sebastian Fitzek?

Einen Thriller von Fitzek, dessen Bücher ich großartig finde, müsste man meiner Meinung nach sehr realistisch inszenieren, mit viel Blut und Gewalt – das möchte ich nicht. Dann wären wir ja wieder im Pariser Théâtre du Grand Guignol, wo es Verstümmelungen und ausgestochene Augen zu sehen gab, nur um die Sensationslust des Publikums zu befriedigen. Für uns ist der Rätselkrimi, verbunden mit dem Ausflug in die alte Zeit, die bessere Variante. Auch jüngere Menschen gucken ganz gerne mal eine Kostümklamotte. Das zeigt auch der Erfolg populärer Netflix-Serien wie „Bridgerton“.

„Jekyll und Hyde“ im Imperial Theater, ab dem 16. August 2024 (Premiere), weitere Termine: 17., 22.–24., 29.–31.8. und mehr

Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 08/2024 erschienen.

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