Überbrücken nicht mehr möglich

Die Tage der Clubs an der Sternbrücke sind Ende des Jahres gezählt und auch das Baudenkmal selbst blickt seinem Abriss entgegen – ein Abschied mit Abrechnung
Ende 2023 verschwindet an der Sternbrücke die Club- und Partyszene und mit ihr eine ganze Subkultur (©Felix Willeke)

Über den Köpfen rattert und dröhnt es, wenn ein Zug über die Schienen der Sternbrücke rollt. Darunter: Stimmengewirr von der Menschentraube, die sich vorm Kiosk an der Ecke versammelt hat. Noch ein letztes Getränk auf die Hand, bevor sich die Türen vom Fundbureau öffnen, kurz die Bässe nach draußen freilassen und die Feierwütigen dann bis zur Morgendämmerung verschlucken. Diese Geräuschkulisse ist so etwas wie ein Soundtrack für diesen urbanen Ort, den es so in Hamburg nicht noch einmal gibt.

Doch ab Januar 2024 wird er verstummen. Sobald die fünf Clubs schließen müssen, herrscht unter der Sternbrücke (sub)kulturelle Stille – ungeachtet dessen, dass ein Teil von ihnen schon einen neuen Standort gefunden hat. Vorher umwehte die Stahlpfeiler ein Hauch von New York, danach sind es wohl eher Neumünster-Vibes. Vielleicht werden sich Generation Y und Z weiterhin vor den verbliebenen zwei Kiosken mit den Graffiti bedeckten Wänden auf ein paar Kaltgetränke treffen – die tragbare JBL-Box bis zum Anschlag aufgedreht, um den Lärm der Abbrucharbeiten zu übertönen. Aber seien wir mal ehrlich, spätestens, wenn der Aufbau der neuen Sternbrücke in vollem Gang ist, Altbauten dem Erdboden gleichgemacht und 85 Bäume im großen Stil gefällt werden, sind auch diese Tage gezählt. Wer will schließlich noch an einer Straßenkreuzung cornern, die ihrer gesamten Identität beraubt wurde? Und dabei eine gigantische Brücke im Fehmarnsund-Style im Blick haben, die sich maximal als Verbindung über die Elbe eignet.

Eine Elbbrücke mitten in der Stadt

Mittlerweile geht es nicht mehr darum ob – der Drops ist gelutscht, Infrastruktur geht vor Denkmalschutz –, sondern wie die Sternbrücke neu gebaut werden soll. Der aktuelle Entwurf folgt dem Prinzip „function first“: 108 Meter lang und über 20 Meter hoch. Denn der Senat will die Stresemannstraße unter der Brücke unbedingt erweitern und die Verkehrsführung ändern. Und der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel. Auch wenn der Zweck eine überholte Form der Stadtplanung ist, die sich farblich nicht im grünen, sondern eher im abgasgrauen Bereich bewegt.

Eine ernst zu nehmende Variantendiskussion mit Anwohnenden, Initiativen und Expertinnen und Experten gab es nie und auch die „Kreativwerkstatt“ der Deutschen Bahn im Jahr 2021 ähnelte eher einer Farce und ließ wenig Spielraum, um am Grundgerüst der neuen Brücke zu rütteln. Ins Bild passt, dass der Senat weder eine aktualisierte Schätzung der Baukosten noch eine konkrete Planung zur Verkehrsführung zwischen Passanten, Rad-, Bus- und motorisiertem Individualverkehr vorgelegt hat. Und bei der Deutschen Bahn wissen wir spätestens seit der Veröffentlichung interner Dokumente, dass Kundenzufriedenheit nur zu den kurzfristigen Zielen des Konzerns gehört. Was zählt da schon die Unzufriedenheit von ein paar Hamburger Anwohnenden?  

Sternbrücke forever

Was bleibt also zu tun, bevor die von vielen so geliebte Kreuzung unter der Sternbrücke in die Bedeutungslosigkeit abdriftet? Stattet Waagenbau und Co. zum Abschied einen letzten Besuch ab. Denn wer zuletzt tanzt, tanzt am längsten. Macht Fotos, zeichnet Bilder und nehmt Klanglandschaften auf, um diesen faszinierenden Ort zu konservieren, weil das (kollektive) Gedächtnis sonst viel zu schnell vergisst. Dabei gibt es so viele besondere Momente. Wie das Sternbrücken Festival, das bis vor Corona einige Jahre stattfand und den Zusammenhalt unter den einzelnen Clubs stärkte. Da waren Demo-Raves sowie unzählige von der Initiative Sternbrücke organisierte Kreiselkonzerte. Und was bleibt neben den Erinnerungen? Vielleicht ein bisschen Hoffnung. Aktuell sammelt die Initiative Spenden auf betterplace, um gegen das Planfeststellungsverfahren zu klagen. Vielleicht das letzte demokratische Mittel, um den Tag, an dem die Abbruchfahrzeuge anrücken, noch zu verhindern. Ein Brückentag, den ausnahmsweise niemand will …

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