Müssen Frauen nackt sein, um ins Museum zu kommen? Mit dieser Aktion wurden die New Yorker Guerrilla Girls berühmt. Denn sie brachten auf den Punkt, dass Frauen zwar in zahlreichen Kunstwerken zu sehen sind, als Künstlerinnen aber kaum ausgestellt werden. 1989 war das – und der Kampf der Guerrilla Girls hält bis heute an. Julia Meer, Leiterin der Sammlung Grafik und Plakat im MK&G, hat die Aktivistinnen mit einer Arbeit beauftragt, die das eigene Museum kritisch unter die Lupe nimmt und hat mit „The F* word – Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign“ zugleich eine umwerfende Schau feministischen Grafikdesigns zusammengestellt. Wir sprachen mit ihr über die Wucht der Guerrilla Girls, über messerscharfes Design und den Gender-Gap in der eigenen Sammlung – und was sie in der Zukunft radikal verändern möchte.
„Sie stehen dem Kunstbetrieb und seinen Machtstrukturen kritisch gegenüber“
SZENE HAMBURG: Julia Meer, seit 2022 besitzt das Museum für Kunst und Gewerbe das Gesamtwerk der legendären Guerrilla Girls. Wie kam es dazu?
Julia Meer: Auslöser war, dass ich in einem großen amerikanischen Auktionshaus auf eins ihrer Plakate bieten wollte und die Preise in die Höhe schossen. Da ging mir plötzlich auf, dass ich sie ja eigentlich direkt fragen könnte anstatt dem Auktionshaus das Geld zu geben. Sie sind einfach zu erreichen, die E-Mail steht auf ihrer Website. Und sie sind unglaublich freundlich und haben uns ihr Gesamtwerk zusammengestellt. Jetzt haben wir hier in der Sammlung Kataloge, Magazine, ihre Filme und eine wunderschöne Mappe, in der all ihre Plakate sind.
Diese offene Haltung passt zu den Guerrilla Girls, oder?
Auf jeden Fall. Sie stehen dem Kunstbetrieb und seinen Machtstrukturen kritisch gegenüber und wollen sich nicht unbedingt darauf einlassen. Deswegen agieren sie nicht nur feministisch, sondern zum Teil auch antikapitalistisch. Für „The F* Word“ haben sie uns die Bilddateien dann sogar noch einmal digital zur Verfügung gestellt, weil wir (und sie) die Plakate direkt auf die Wand tapezieren wollten. Ihre Themen sind zu aktuell, um die Plakate in Rahmen zu stecken und zu musealisieren. Manche Arbeiten sind jetzt sechs Meter groß – so wird das Aktivistische ihrer Arbeit und die Wucht ihrer Plakate deutlich. Sie sind so unglaublich intelligent, humorvoll und messerscharf. Gleichzeitig wollten wir aber auch nicht auf Street-Style machen und verleugnen, dass wir eine Institution sind.
Es gibt eine höhere Bereitschaft zur Selbstreflexion in Institutionen
Julia Meer
Eine Institution wie diejenigen, gegen die die Guerrilla Girls gekämpft haben.
Genau. Dass wir und andere Institutionen heute die Guerrilla Girls einladen und bezahlen, sich kritisch mit den Sammlungen auseinanderzusetzen, werte ich sehr klar als Fortschritt. Es gibt eine höhere Bereitschaft zur Selbstreflexion in Institutionen.
Grundlagen für eine andere Geschichtsschreibung
Warum ist diese Reflexion wichtig?
Weil die Designgeschichte Frauen geradezu herausgeschrieben hat. Das ist ein Thema, mit dem ich mich schon lange beschäftige. Als ich vor zwei Jahren Leiterin der Sammlung wurde, habe ich mir vorkommen, das aktiv zu verändern. Denn mit dem, was ich sammle, schaffe ich die Grundlagen für eine zukünftige und andere Geschichtsschreibung.
Sie sagen, dass die Zusammenarbeit mit den Guerrilla Girls dabei erst der Anfang ist. Wie haben sie sich ausgetauscht? Über Zoom?
Ja genau. Und ich kenne auch immer noch nicht die Gesichter. Da ihre Anonymität ihnen wichtig ist, haben wir mit ausgeschalteter Kamera gesprochen.
Wie viele Guerrilla Girls sind es denn jetzt?
In den letzten 40 Jahre waren insgesamt knapp 70 Menschen Teil der Gruppe. Manche sind von Anfang an dabei, andere nur für eine Zeit.
„Wir lassen jetzt erst einmal die Hosen runter “
Und wie haben Sie selbst sich auf die Ausstellung vorbereitet?
Wir wollten natürlich selbst erst mal sehen, wie viele Arbeiten von Frauen sich in der Sammlung befinden. Und das war eine wirkliche Herausforderung, denn sie umfasst über 400.000 Blatt. Selbst wenn ich mein Leben lang hier arbeiten würde, könnte ich sie nicht alle anschauen. Zum Glück habe ich zwei großartige Kolleginnen und wir sind monatelang durch die Schubladen gegangen und haben alle Frauen herausgefischt. Gleichzeitig haben wir auch ihre Daten aufgearbeitet, sodass die demnächst online gestellt werden können. Denn wir wollen ja nicht die eine kritische Ausstellung machen und dann ist Schluss. Ganz im Gegenteil. „The F*Word“ ist erst der Anfang. Wir lassen jetzt sozusagen erst einmal die Hosen runter und dann bauen wir darauf auf.
Wie denn genau?
Ich werde die Sammlung gezielt erweitern. Und auch meine Position verändern. Denn wenn nur ich alleine entscheide, was gesammelt wird, kann das irgendwann sehr einseitig werden. Wenn ich zum Beispiel feministisches iranisches Grafikdesign sammeln möchte, stoße ich schnell auf eine Sprachbarriere. Deswegen möchte ich in einer Art Parlament andere Perspektiven und Expertisen hinzuholen. Dass wir für diese Ausstellung in einem Open Call um feministische Zines gebeten haben, geht ebenfalls in diese Richtung. Es kam Feedback aus der ganzen Welt. Und dabei waren nicht nur etablierte oder angehende Gestalterinnen, sondern auch solche, die sich nicht als Gestalter:innen verstehen. Ich freue mich, wenn die Sammlung sich so in verschiedene Richtungen entwickelt. Bisher kam der queere Feminismus kam gar nicht vor und wenn es um Mutterschaft ging, waren das Plakate, die Männer für das Müttergenesungswerk gestaltet haben.
„Es geht um mehr Freiheit und Gerechtigkeit für alle“
Und was haben Sie entdeckt, als sie durch die 400.000 Plakate gegangen sind?
Vieles hat mich fassungslos gemacht. Zum Beispiel, dass nur 1,5 Prozent der Arbeiten von Frauen stammen. Ich war so schockiert, dass ich es mehrfach überprüft habe. Gleichzeitig sind mehr als die Hälfte der Frauen nur mit einer Arbeit vertreten, während es bei den Männern oft 20 oder mehr Werke sind.
Und wie gehen Sie jetzt damit um?
Mein erster Reflex war, die Sammlung „reparieren“ zu wollen. Heute möchte ich vor allem neue Perspektiven auf die Sammlung entwickeln. Deshalb werden wir sie aktiv erweitern. Und um das Budget dafür aufzustocken, bauen wir das Spendenprogramm collektif* auf. Das Geld, das dort zusammenkommt, wird direkt in feministische Arbeiten investiert. Wir nehmen auch Vorschläge zu Ankäufen entgegen und stellen jährlich vor, was wir erwerben konnten.
Neben den Guerrilla Girls sind in „The F* Word“ mehr als 400 Plakate von 1870 bis heute zu sehen.
Wir zeigen viel zeitgenössisches Grafikdesign. Arbeiten von Ariane Spanier, von The Rodina, von Anja Kaiser. Zu sehen sind feministische Protestplakate, unter anderen aus dem Iran und auch Solidaritätsplakate für die Ukraine. Zudem ist uns die Zugänglichkeit wichtig. Gleich am Anfang der Ausstellung gibt es einen Stapel Kissen, auf denen feministische Begriffe erläutert werden. Wir wollen Lust darauf machen, sich damit auseinanderzusetzen. Denn schließlich geht es im Feminismus darum, mehr Freiheit und Gerechtigkeit für alle zu schaffen. Da sollten alle mitmachen.
„The F* word – Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign“ ist noch bis zum 17. September im Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen.
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 03/2023 erschienen.