Gute Geschichte: Wie kam der Deutsch-Rap nach Hamburg? 

Chronik: Wie kam der Deutsch-Rap nach Hamburg? Von der 187 Strassenbande über Fettes Brot bis zum ersten HipHop-Club der Stadt spulen wir die Kassette drei Dekaden zurück
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Wie alles begann: Die Absoluten Beginner waren Anfang der 90er noch zu fünft. Das Foto stammt aus der Chronik „Molotow – das Buch“ (Junius Verlag, 160 S.), das zum 25-jährigen Jubiläum des Clubs auf der Reeperbahn erschien

Chronik: Wie kam der Deutsch-Rap nach Hamburg? Von der 187 Strassenbande über Fettes Brot bis zum ersten HipHop-Club der Stadt spulen wir die Kassette drei Dekaden zurück

Text: Jan Wehn

Hamburg und HipHop, das ging schon Mitte der 80er Jahre los. Die Filme „Wildstyle“ und „Beatstreet“ flimmern in den bundesdeutschen Haushalten über die Mattscheiben und erklären einer ganzen Generation, was HipHop überhaupt ist und wie sich die neue Jugendkultur aus den Elementen Rap, DJing, Breakdance und Graffiti zusammensetzt. An HipHop-Musik ist zu der Zeit, wenn überhaupt, durch importierte Platten heranzukommen – oder sie läuft in der Sendung „Soultrain“ im NDR, wo Ruth Rockenschaub im Nachtprogramm regelmäßig Soul-, Funk- und auch immer mal wieder Rapsongs spielt. Rockenschaub ist es auch, die DJ Marius No. 1 im Jahr 1988 einen eigenen Sendeplatz verschafft.

Marius No. 1, der später der DJ von Cora E. werden soll, legt in seiner „Number One Mixshow“ Rap auf, aber stellt den Songs auch die originalen Sample-Quellen gegenüber und legt im ersten HipHop-Club der Stadt, dem Defcon Five, auf. Ungefähr zur gleichen Zeit formieren sich in Hamburg erste Crews: Dialektik oder in Halstenbek die Poets of Peeze, die mit Samplerbeiträgen und einer Mini-LP von sich reden machen.

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Die Poets of Peeze rappen in englischer Sprache, bis ein Teil der Jungs sich 1992 – das Jahr, in dem Die Fantastischen Vier gerade mit „Die da?!“ im Radio rauf- und runterlaufen – dazu entscheidet, das mit dem Rappen doch mal in deutscher Sprache zu probieren und sich einen neuen Namen geben: Fettes Brot. Über den Musikmanager und Mailorder-Betreiber Jens Herrndorf entsteht der Kontakt zu André Luth von Yo Mama, wo Fettes Brot – damals noch zu fünft – kurz darauf die „Mitschnacker“-EP veröffentlichen.

1993 erscheint über das ursprünglich eher Punk orientierte Label Buback der Sampler „Kill The Nation With A Groove“ mit Songs von Cora E., Advanced Chemistry und einer Hamburger Gruppe mit dem Namen Absolute Beginner. Letztere veröffentlichen nach der „Gotting“-EP zwei Jahre später ihr Debütalbum „Flashinizm (Stylopath)“ und trotzen mit Band-Sound und Crossover-Anleihen den Realness-Dogmen der noch kleinen Szene. Auch Fettes Brot releasen mit „Auf einem Auge blöd“ zur gleichen Zeit ihre Debüt-LP, haben mit „Nordisch by Nature“ einen veritablen Hit vorzuweisen und feiern ein gutes Jahr später mit dem in bester Geschichtenerzähler-Manier ganz ähnlich gestrickten  „Jein“ und dem Album „Außen Top Hits, Innen Geschmack“ gleich die nächsten Erfolge.

Hamburg in den Charts

Während Fettes Brot schon Dauergäste in den Charts sind, formiert sich in Hamburg nach und nach eine vitale Szene an Rappern und Produzenten. Fischmob vermengen für „Männer können seine Gefühle nicht zeigen“ Partylaune mit mundgemischtem Plattdeutsch-Schnack, handfester Systemkritik und obskuren Soundspielereien. Der Tobi & Das Bo, die sich schon zuvor mit „Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander“ verdient gemacht hatten, bilden fortan mit marcnesium und DJ Coolmann Fünf Sterne deluxe. Dendemann zieht aus dem Sauerland in die Hansestadt, gründet mit DJ Rabauke das Duo Eins Zwo und die beiden setzen mit ihrer „Sport“-EP einen neuen Standard in Sachen Reim- und Samplefertigkeit.

Mit dem Künstlerkonglomerat Mongo Clikke um Rapper wie Eißfeldt, Samy Deluxe und Das Bo hat man außerdem eine Entsprechung zu der Kolchose in Stuttgart, wo mit dem Freundeskreis, den Massiven Tönen und Afrob etwa zur gleichen Zeit ein HipHop-Epizentrum entsteht. Aber die großen Plattenfirmen interessieren sich nicht wirklich für den eigenen Sound von Bands wie dem gerade frisch gegründeten Trio Dynamite Deluxe – also gründet Beginner-Drittel Eißfeldt 1997 kurzerhand das Label Eimsbush Entertainment und nimmt die Gruppe um Samy Deluxe dort unter Vertrag, die kurz darauf erste Angebote von den Majorriesen erhält.

HipHop-Hochburg

Mit der richtigen Infrastruktur und einer vielschichtigen Szene mausert sich Hamburg 1998 mit der Veröffentlichung des zweiten Beginner-Albums „Bambule“ endgültig zur HipHop-Hochburg. Mit Denyo und Eißfeldt als MCs, DJ Mad an den Turntables und Gastbeiträgen von Das Bo, Samy Deluxe und Dendemann ist das Album so etwas wie eine eindrucksvolle Standortbestimmung des HipHop aus der Hansestadt. Parallel dazu verkaufen Fünf Sterne Deluxe nach der Single „Dein Herz schlägt schneller“ von ihrem Debütalbum „Sillium“ über 150.000 Einheiten, ehe im Jahr darauf Eins Zwo mit „Gefährliches Halbwissen“ nachlegen und Doppelkopf mit „Von Abseits“ eindrucksvoll unter Beweis stellen, dass auch düster-atmosphärische Outness eine Berechtigung in der noch jungen Hamburger HipHop-Szene hat.

Plötzlich interessieren sich auch die Medien für das, was da in Sachen HipHop im hohen Norden geht. Das Jugendmagazin Bravo versucht sich regelmäßig an der mehr schlecht als recht gearteten Berichterstattung. Aber die Hamburger HipHop-Szene, allen voran die Beginner, haben keine Lust auf den Ausverkauf: Sie verweigern Interviews, schicken Doubles zu ihren Fernsehauftritten und veröffentlichen mit dem Allstar-Song „KZwo“ an der Seite von Das Bo, Dendemann, Falk, Ferris MC, Illo und Samy Deluxe eine Abrechnung mit der sensationsgeilen und anbiedernden Teeniepresse.

Anfang 2000 veröffentlichen Dynamite Deluxe ihr Debüt „Deluxe Soundsystem“, landen damit auf Platz 4 der Charts und werden im Anschluss mit einem Echo-Musikpreis und einer goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Mit Ferris MC, Deichkind, Mr. Schnabel, Illo, Digger Dance, Nico Suave und den Moqui Marbles rücken immer neue Künstler nach, die Szene wächst und wächst bis das stadteigene Hip-Hop-Festival Flash im Jahr 2000 mit 18.000 Besuchern im Millentorstadion seinen Höhepunkt erreicht. Es gibt jetzt kein Vorbeikommen mehr an Hamburg, jener Stadt aus der mit „Füchse“, „Ladies & Gentlemen“, „Jein“, „Susanne zur Freiheit“, „Bon Voyage“ und die Beteiligung von Ferris MC an „Reimemonster“ bis heute die wohl größten HipHop-Hits kommen.

Rap-Rarität: Erste Promokassette zum Album "Bambule", veröffentlicht vom Independet-Label Buback

Die HipHop-Hochphase in der Hansestadt wird auch in Berlin wahrgenommen, wo Rapper wie Kool Savas bis dato weitestgehend ein Schattendasein abseits der deutschlandweiten Szene fristen. Der Unmut über den Erfolg der spaßig-sorglosen und brav-biederen Partymusik aus den beiden HipHop-Metropolen Hamburg und Stuttgart wächst. In Kombination mit der Ignoranz der Berliner Szene durch Medien und Fans werden Samy Deluxe oder Eißfeldt immer wieder zur Zielscheibe für Seitenhiebe auf Songs der Berliner Rapper.

Egotrips

Gänzlich unbeeindruckt von Vorfällen dieser Art, machen insbesondere die beiden Letztgenannten dort weiter, wo sie aufgehört haben – allerdings auf Solopfaden. Samy Deluxe veröffentlicht sein gleichnamiges Debütalbum und stellt einmal mehr unter Beweis, dass er einer der besten Battlerapper des Landes mit humorvollen und arroganten Punchlines gleichermaßen ist, während Eißfeldt nach dem Erfolg seiner Coverversion zu Nenas „Irgendwie Irgendwo Irgendwann“ als Jan Delay das Reggae-Album „Searching For The Jan Soul Rebels“ herausbringt.

Eißfeldts einvernehmlicher Egotrip in Dancehall-Gefilde ist vielleicht das erste Anzeichen dafür, dass etwas im Busch ist – nicht bei den Beginnern, sondern in Bezug auf Rap im Allgemeinen. Straßenrap aus der Hauptstadt wird immer populärer und Labels wie Aggro Berlin laufen dem größtenteils gutgelaunten HipHop aus Hamburg mit Künstlern wie Bushido oder Sido den Rang ab. In der Folge versucht Samy Deluxe sich mit „Verdammtnochma“ an einer Übersetzung amerikanischer HipHop-Sounds ins Deutsche, während die Beginner für „Blast Action Heroes“ mit eklektischen Sounds experimentieren und nach den Fantastischen Vier mit „4:99“ die zweite Nummer 1 für ein deutschsprachiges Rap-Album in den Charts holen.

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Samy Deluxe: Ist heute nicht nur Rapper sondern auch Gastronom | Foto: Pascal Kerouche

Danach wird es ziemlich ruhig um Rap aus Hamburg. Dendemann, Samy Deluxe und Jan Delay veröffentlichen in den Jahren darauf weiterhin gute Platten, aber der Hype der frühen 2000er scheint endgültig vorbei zu sein. Auch an anderen Ecken und Enden der Republik steckt Rap in einer Sinnkrise. Von der breiten Öffentlichkeit als Soundtrack für die Unterschicht belächelt bis verteufelt, fehlte es zeitweilig sogar innerhalb der Szene an Bemühungen, den eingefahrenen Status Quo aufzubrechen. Die Folge: Nach dem Erfolg von deutschem Straßenrap stagnieren schließlich auch dessen Verkäufe – niemand hat mehr Lust auf stumpfe Räuberpistolen und Betonromantik.

Waffen, Sex und Drogen

In den Jahren sind es vor allem die hanseatischen Produzenten, die von sich reden machen. Monroe, seines Zeichens für große Hits von Kool Savas und Azad verantwortlich, vereint auf seinen Alben „Your Favorite Rappers Favorite Producer“ und „Movement“ von Samy Deluxe über Curse bis Aphroe und Eko Fresh alles, was in der deutschen Rap-Szene Rang und Namen hat. PhreQuincy baut nicht mehr nur noch Beats für deutsche MCs, sondern erhält für seine Beteiligung am Album „Ouest Side“ des französischen Rappers Booba eine Platinauszeichnung und streckt danach seine Fühler in Richtung USA aus, um Beats für Künstler auf Eminems Label Shady Records zu produzieren.

Ganz ähnlich m3, der nicht nur Deutschrap-Koryphäen wie Kollegah, Bushido, Haftbefehl oder Sido mit Beats beliefert, sondern auch mit den französischen Größen Sefyu und dem schon erwähnten Booba oder US-Rappern wie Talib Kweliund Ace Hood zusammenarbeitet und 2007 gemeinsam mit Azad die Titelmusik zur RTL-Erfolgsserie „Prison Break“ beisteuert. Sein Kollege Farhot teilt sich derweil mit Nneka, Haftbefehl und Talib Kweli, aber auch Culcha Candela, den Fantastischen Vier und Fettes Brot das Studio.

Erst im Sommer 2010 tut sich auch in Sachen Rap wieder was. Nämlich dann, als plötzlich mit dem Song „Waffenfreiezone“ jemand aus dem Hamburger Karoviertel auf der Bildfläche erscheint, der das eintönige Straßenrap-Vokabular der immer gleichen Schilderungen über den Alltag in den Problembezirken um neue musikalische und inhaltliche Ansätze anreichert. Sein Name: Nate 57. Zwar rappt auch er über Waffen, Sex und Drogen – aber eben anders. Das über das Label Rattos Locos veröffentlichte Mixtape „Stress auf dem Kiez“ erreicht aus dem Stand Platz 37 in den deutschen Charts.

Gzuz ist bekanntestes Mitglied der 187 Straßenbande | Foto: Bobby Analog

Im Jahr darauf macht erneut ein Hamburger von sich reden. Nachdem Marteria und Casper das darbende Genre Deutschrap wiederbelebt haben, ist auch Platz für eine ganze Reihe junger Talente. Eines davon heißt Ahzumjot. Sein Debütalbum „Monty“ ist ein mutiger Markt der Möglichkeiten, für den er Spandau Ballet, Cults und Lady Gaga samplet und mit Oldschool-Drums und futuristischen Bässen verschneidet. Das in bester DIY-Manier selbst vertriebene Album, lässt erste Labels aufhorchen, in der Folge spielt Ahzumjot Touren mit Cro und Rockstah, begleitet Casper live und wird als eines der nächsten großen Dinger gehandelt.

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Und es hört nicht auf: 2014 hat sich auch Straßenrap von seinem Tief erholt und einer der Gründe dafür ist Kalim, dessen „Sechs Kronen“-Mixtape eine gekonnte Verbeugung vor dem US-Gangsterrap der 90er ist. Ungefähr zur gleichen Zeit, macht sich der linkspolitisch sozialisierte Disarstar auf seiner EP „Tausend in einem“ und dem anschließenden Debütalbum „Kontraste“ Gedanken über das gesellschaftliche Ungleichgewicht und die Rapperin Haiyti kommt mit einem Sound um die Ecke, der Kiezkneipenromantik und zeitgeistige Beats zu einer gänzlichen eigenen Melange verbindet.

Und dann ist da schließlich auch noch die 187 Strassenbande. Lange unter dem Radar geflogen und als asoziale Unterschichtenmusik von Kleinkriminellen abgetan, steigen die beiden Mitglieder Gzuz und Bonez MC 2014 mit ihrem gemeinsamen Album „High & Hungrig“ zum ersten Mal in den Charts ein und setzen diese Erfolgssträhne auch mit der anschließenden Veröffentlichung „Obststand“ von LX & Maxwell fort. Warum? Weil die Strassenbande sich einen Dreck darum schert, was im HipHop gerade wie gemacht werden muss. Sie erinnern mit ihrem ganz eigenen Humor an den vollkommen überdrehten Vibe der frühen Jahre von Aggro Berlin, aber halten in beinahe jedem Song auch die Fahne für Hamburg hoch.

Vermutlich einer der Gründe, warum die Beginner sich für „Ahnma“, die erste Single ihres Comebackalbums „Advanced Chemistry“ neben Gentleman auch Gzuz als Feature geholt haben. Die Proteste der Fans waren groß, allerorts machte sich Unverständnis darüber breit, dass die Beginner plötzlich gemeinsame Sache mit den bösen Straßenrappern machen – aber der gemeinsame Song zeigt, was HipHop aus Hamburg 2016 heißt: Er ist immer noch da und vor allem auch so vielschichtig wie nie zuvor.


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Foto: Jens Oellermann

Der Autor Jan Wehn ist Gründer des HipHop-Onlinemagazins ALL GOOD. Davor war er Autor für Juice sowie Kolumnist und Redakteur bei Spex und De:Bug. 2013 und 2015 wurde er mit dem Rocco-Clein-Preis für Musikjournalismus ausgezeichnet

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