Wer in den Hamburger Nachthimmel schaut, kann etwa 50 Sterne sehen. Auf dem Land sind es 4.000. Schuld ist die Dauerbeleuchtung, mit Folgen für Mensch und Tier
Im Mai 2013 blickte der kanadische Astronaut Chris Hadfield auf die Erde. Um sich die Zeit zu vertreiben, saß er oft mit seiner Digitalkamera am Fenster der Internationalen Raumstation, schoss Fotos von den großen Städten der Welt und teilte sie über Twitter. Auch diesmal drückte er auf den Auslöser – zu einer Zeit, als in Europa Nacht war. Welche Metropole da vor seine Linse geraten war, konnte Hadfield nicht genau sagen. So fragte er seine Follower: „The photo was taken above (Northern) Central Europe, but I can’t recognize the city. Can anyone identify it for me?“
Ein Astronaut fotografiert Hamburg aus dem All
Da ging das Rätselraten los: „Eindhoven? Complete guess“. schrieb Rob Smith. „Amsterdam?“, spekulierte David Pyle. „It sure looks like Warsaw, Poland!“, behauptete Gabriela. Erst Eric Brierley lag richtig: „Looks like Hamburg, Germany to me.“ Und Sandra Dahlhoff ergänzte, dass das Foto auf dem Kopf stehe (wie auch hier in diesem Artikel). Die dunklen Flecken in der Mitte seien aber eindeutig die Alster, man sehe den hell erleuchteten Hafen und den Hamburg Airport mit dem großen dunklen Ohlsdorfer Friedhof daneben.
So schoss der Kanadier Chris Hadfield das erste Foto von Hamburg bei Nacht aus einer Höhe von 250 Meilen, das wir Hansestädter je gesehen haben. Ganz scharf ist es nicht, aber was soll man erwarten von einem Bild aus dem Weltraum. Berühmt wurde der Astronaut übrigens nicht mit seinen Fotografien, sondern durch ein Musikvideo, dass er wenige Tage später drehte. In der Schwerelosigkeit coverte er David Bowies „Space Oddity“.
In Hamburg wird es niemals dunkel
Wer das Foto von Hamburg bei Nacht betrachtet, dem wird vor allen eines klar: In einer Großstadt ist es niemals dunkel. Weiße, orangefarbene und blaue Lichter leuchten einem entgegen. Große Straßen schlängeln sich wie Lindwürmer durch die Stadt. Industrieflächen wie das Airbus-Gelände an der Elbe glühen so hell, dass man sie wohl auch noch aus 500 Meilen erkennen könnte. Große Grünflächen, wie der Stadtpark im Nordosten und der Volkspark im Westen, bilden schwarze Löcher auf der Lichtkarte.
Wer noch weiter hinauszoomt und die ganze Welt bei Nacht betrachtet, der sieht große Lichtglocken über vielen Städten liegen. Sie entstehen, weil sich das Licht im Staub bricht. Durch diesen Lichtbrei, diesen Schleier ist uns der Blick in den Nachthimmel versperrt. Der zunehmende Verlust der Nacht in der Stadt ist messbar. Astronomen schätzen, dass das Ausmaß der Beleuchtung in Deutschland jährlich um 3 bis 6 Prozent zunimmt. Durch diese Flut von künstlichem Licht kann man in der Stadt nur etwa 50 Sterne sehen, im ländlichen Raum sind es bis zu 4.000.
Mit dieser App kann jeder Lichtverschmutzung messen
In Berlin beschäftigt sich ein interdisziplinärer Forschungsverbund des Leibniz-Institutes für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) mit dem Phänomen der
Lichtverschmutzung. Die Wissenschaftler entwickelten eine App. Über diese kann jeder via Smartphone nachforschen, wie stark seine Nachbarschaft betroffen ist.
Die App leitet den Nutzer zu bestimmten Sternen und fragt ihn nach deren Sichtbarkeit. So können die Wissenschaftler ableiten, wie hell der Himmel an diesem Ort ist. Nebenbei lernt der Anwender die Namen der Himmelskörper. Hier greift das Prinzip der Schwarmintelligenz: Je mehr Nutzer für die Forschung Sterne zählen, desto aussagekräftiger sind die Werte. Projektleiter Dr. Franz Hölker vermutet: „In Hamburg wird vor allem in der Nähe des Flughafens und der Hafengebiete schlechte Sicht herrschen.“ Aber auch im Innenstadtbereich sieht man die Milchstraße nur, wenn man sie sich als Bildschirmhintergrund aufs Handy lädt.
Künstliches Licht – die tödliche Falle für Tiere
Lichtverschmutzung entsteht, weil oft völlig falsch beleuchtet wird. NABU-Energieexperte Elmar Große Ruse weiß: „Vielerorts fällt das Licht nicht nur auf Straßen-, Rad- und Gehwege, sondern strahlt völlig ungenutzt in den Nachthimmel, in Schlafzimmerfenster und benachbarte Naturräume.“ Das hat fatale Auswirkungen auf die Tierwelt. Veraltete und schlecht konstruierte Technik müsse ersetzt werden, denn diese Lichtquellen würden häufig zu tödlichen Fallen für nachtaktive Insekten, Vögel und Fledermäuse.
Zusätzlich befeuert der Wettstreit der Metropolen, die glitzerndste Skyline zu präsentieren, den Beleuchtungstrend. Eine Touristenstadt wie Hamburg möchte den Hafen und die schönen Bauten ins rechte Licht rücken. Der „Blue Port“ steht exemplarisch für die Politik des Stadtmarketings, Beleuchtung als ästhetisches Mittel zu feiern. Für das Lichterfest montiert der Hamburger Lichtkünstler Michael Batz jedes Jahr rund 9.000 blaue Lichtquellen im Hafen, in der Speicherstadt und der HafenCity auf Kaistrecken, Barkassen und Bäumen.
Die Show zieht jährlich viele Schaulustige an – und noch mehr Insekten, die besonders das blaue Licht suchen. Die Tiere sammeln sich so an Orten, die nicht ihrem natürlichen Lebensraum entsprechen, viele kommen in den Lichtquellen zu Tode. Für sie wird der Blue Port zur Lichtfalle. Um diesen Effekt zu demonstrieren, starteten der Hamburger Artenschutzbiologe Bernd Reuter und die Hamburger Künstlerin Nana Petzet im September 2015 die Kunstaktion „Lichtfalle Hamburg“. Auf einem historischen Feuerschiff bauten sie einen achteckigen „Blue-Port“-Dummy aus sechzehn blauen Leuchtstoffröhren in die Höhe. Damit fuhren sie über die Elbe und dokumentierten den massenhaften Anflug von verwirrten Insekten und Fledermäusen.
Beschwerden auf den Kiez: Coca Cola strahlt zu hell
Auch der Mensch leidet unter zu viel künstlichem Licht. Der Verlust der Nacht ist unabhängig der Großevents spürbar. Auf dem Kiez ging im Oktober 2015 die Nachbarschaft auf die Barrikaden, als eine neue Werbetafel von Coca Cola am Hans-Albers-Platz in Betrieb genommen wurde. Statt der bisherigen Anlage aus den 1990ern, leuchteten nun LED-Lichter auf 106 Quadratmetern in die gegenüberliegenden Wohnräume. „Wir mussten bereits bei Dämmerungseinbruch die Gardinen zuziehen“, berichtete eine Anwohnerin dem Lokaljournalisten Daniel Schaefer. Nach zahlreichen Beschwerden wurde das Licht gedimmt.
Auch in traditionell ruhigeren Stadtteilen wird Licht zum Zankapfel. Deshalb sorgt die Behörde bei Baumaßnahmen vor. Ein Beispiel: In Barmbek-Nord wurde 2013 am Tieloh eine neue Sportanlage mit Flutlicht geplant. Untersucht wurde vorab, ob sich bei eingeschaltetem Licht der Wohn- und Schlafbereich der Anwohner aufhellt. Außerdem wurde ermittelt, ob es zu einer Blendung kommen kann und Schutzmaßnahm für Tiere wurden diskutiert. Auch die Uhrzeiten, zu denen die Lichtanlage benutzt wird, flossen in die Beurteilung mit ein. In diesem Fall stufte man die Lichtimmission als erträglich ein.
Festbeleuchtung kann Depressionen auslösen
Dass Lichtverschmutzung ernst genommen werden muss, zeigt ein Blick auf die Folgen, die Dauerbeleuchtung auf den menschlichen Körper hat. Sie stört das seelische und körperliche Wohlbefinden und gefährdet die Gesundheit. Forschungen zeigen: Künstliches Licht unterdrückt die Bildung des Schlafhormons Melatonin, das für einen tiefen Schlaf verantwortlich ist. Wer bei Festbeleuchtung schläft, läuft Gefahr, an Depressionen zu erkranken, dies fand ein amerikanisches Forscherteam bei einer Langzeituntersuchung heraus. Neben Schlafstörungen und Depressionen sei auch das Brustkrebsrisiko erhöht, da der Östrogenspiegel steige.
Neben den Gefahren für unser Wohl schauen auch Hobby-Astronomen in die Röhre. Wer in der Stadt den Meteoritenschauer in der Nacht vom 4. Januar 2016 bestaunen will, hat schlechte Karten: LED-Beleuchtung, Laternen und Autoscheinwerfer überstrahlen das Spektakel. Andere Städte reagieren bereits. In Zürich wird das Licht der Laternen besser fokussiert. In Belgien wird die grelle Autobahnbeleuchtung zur Geisterstunde abgeschaltet. In Slowenien wurde gar ein Gesetz erlassen, dass sinnlos in den Himmel strahlende Beleuchtung verbietet – auch jene Lichtsäulen der Großraumdiskotheken, die Nachtschwärmern den Weg wiesen. Gut so.
Text: Lena Frommeyer
Foto: Chris Hadfield / NASA
Illustrationen: Till Wellm
Weitere Geschichten zum Thema Schlaf – was die Hamburger wach hält und wie wir wieder zur Ruhe kommen – findet ihr in der Februar-Ausgabe von SZENE HAMBURG