Fahrrad-Stadt: So baut Hamburg den Radverkehr aus

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Sicher ist sicher: In den Bike+Ride-Anlagen können Pendler ihr Rad auch einschließen

Velorouten, Stadtrad und mehr Stellplätze: Hamburg baut die Infrastruktur für Fahrradfahrer aus. Warum ein funktionierender Verkehr auch immer einen guten Mobilitätsmix braucht, erklärt Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue

Interview: Sophia Herzog
Foto (o.): Fahrrad.Hamburg

SZENE HAMBURG: Frau Pfaue, Hollandrad oder Fixie-Bike?

Kirsten Pfaue: Hollandrad.

Ist das Fahrrad Teil Ihres Alltags?

Ja, definitiv. Entweder ich bringe meine Tochter zur Kita, oder ich fahre zum Einkaufen oder zur Arbeit. Ein Leben ohne Rad könnte ich mir gar nicht vorstellen.

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Kirsten Pfaue macht Hamburg Stück für Stück zur Fahrradstadt / Foto: BWVI Hamburg

Verbinden Sie besondere Erinnerungen mit dem Fahrradfahren?

Für mich steht das Fahrrad für Unabhängigkeit und Freiheit. Früher habe ich mit dem Fahrrad viele Reisen durch Europa gemacht. Dabei konnte ich das Land immer ganz unmittelbar erleben. Es ist so schön, einfach an einem französischen Marktplatz anzuhalten und vor Ort Obst oder Käse einzukaufen. Das Lebendige am Radfahren hat mich schon immer begeistert.

Diese Leidenschaft ist 2015 schließlich Teil Ihres Jobs geworden – was genau macht eine Radverkehrskoordinatorin?

Meine Aufgabe ist es, Hamburg jeden Tag ein Stück fahrradfreundlicher zu machen. Das Wichtigste dabei ist, dass alle, die sich in der Verwaltung der Stadt Hamburg um dieses Thema kümmern, an einem Strang ziehen. Deshalb laufen bei mir alle Fäden zusammen. Jede Entscheidung, die ich treffe, soll den Radverkehr in Hamburg nach vorne bringen. Dazu spreche ich natürlich mit meinen Kollegen, mit Staatsräten, und auch mit Polizisten vor Ort oder den Hamburgern selbst.

Wie motivieren Sie die Hamburger dazu, öfter mal aufs Rad umzusteigen?

Erst einmal bauen wir natürlich stadtweit die Infrastruktur und die Services aus, wir wollen aber auch mit den Hamburgern ins Gespräch kommen. Deshalb haben wir die Kampagne „Fahr ein schöneres Hamburg“ ins Leben gerufen. Mit dieser Kampagne wollen wir die Bereitschaft der Hamburger für das Radfahren steigern, das Engagement der Stadt sichtbar machen und über unsere Angebote informieren.

Hört hier den Song „Von Hamburg bis zum Meer“ zur Kampagne „Fahr ein schöneres Hamburg“

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Wie verändern sich Städte, wenn mehr Menschen das Fahrrad nutzen?

Ziel des Hamburger Senats ist es, bis Ende der 2020er Jahre einen Fahrradverkehrsanteil von 25 Prozent zu erreichen. Gerade sind wir bei rund 15 Prozent. Ein hoher Radverkehrsanteil steht für die Lebensqualität einer Stadt, weil Städte durch Radverkehr viel lebendiger werden. Und er löst auch viele Herausforderungen, vor denen wir heute stehen. Radverkehr bringt bessere Luft, weniger Lärm und weniger Stau. Daher ist es ganz wichtig, dass wir den Radverkehr in Hamburg fördern.

Grundlage für diese Förderung ist auch das „Bündnis für den Radverkehr“, das unter Olaf Scholz 2016 unterzeichnet wurde. Was hat sich seitdem konkret getan?

Sehr viel! Seit der Unterzeichnung des Bündnisses haben wir in Hamburg eine Radverkehrsförderung, wie es sie vorher noch nie gab. Wir haben seitdem vorangebracht, dass an allen U- und S-Bahnhöfen hochwertige Abstellanlagen gebaut werden. Unser Stadtrad-System ist erweitert worden, sogar um E-Lastenräder. Und natürlich wird auch das Velorouten-Netz ausgebaut. Das wird immer sichtbarer, an der Ecke Krugkoppelbrücke und Harvesterhuder Weg ist beispielsweise gerade ein Kreisel auf der Veloroute 4 fertig geworden.

Jährlich entstehen rund 30 bis 40 Kilometer Radverkehrsanlagen. Das findet auch bundesweit Anerkennung, wir werden 2021 den Nationalen Radverkehrskongress mit dem Bund hier in Hamburg als Gastgeber durchführen. Dies ist ein großes Kompliment an das, was wir in den letzten Jahren geschafft haben.

„Wir müssen den Stadtraum völlig neu aufteilen“

Es wird oft kritisiert, dass Radfahren auf Hamburgs Straßen nicht sehr sicher ist, was vielerorts auch an den Konflikten zwischen Autofahrern, Radlern und Fußgängern liegt. Wie lässt sich dieses Konfliktpotential verringern?

Gute Radverkehrsförderung bedeutet auch immer Förderung für den Fußverkehr. Hamburg wächst, wir werden bald die Zwei-Millionen-Marke knacken. Das heißt, dass wir auf den Fußwegen mehr Platz brauchen, die aber gerade häufig von schmalen Radwegen besetzt sind. Der Radverkehr muss also von dort auf die Straße gelenkt werden, wo es wiederum sichere und breite Fahrradspuren braucht. Wir müssen den Straßenraum also völlig neu aufteilen.

Deshalb der Ausbau des Velorouten-Netzes in der Stadt…

Genau, beim Veloroutenausbau setzen wir auf mehr Platz für die Radfahrer. Wir wollen loskommen von diesen hubbeligen, handtuchbreiten Wegen. Stattdessen wollen wir breite Radrouten, auf denen die Fahrradfahrer sicher, zügig und komfortabel fahren können. Platz schafft Sicherheit. Wie das aussieht, können die Hamburger zum Beispiel schon an den Fahrradstraßen Chemnitzstraße oder Leinpfad sehen. Ab August wird der Ballindamm umgebaut, Radfahrer bekommen dort bis zu 2,75 Meter breite Radstreifen.

Ab wann kann die Stadt denn auf dem fertigen Velorouten-Netz erkundet werden?

Als ich meinen Job als Radverkehrskoordinatorin angefangen habe, war das Thema Velorouten ein unbeackertes Feld. Der Plan lag zwar in der Schublade, wurde aber nicht umgesetzt. Inzwischen haben wir 253 Maßnahmen über das ganze Stadtgebiet angestoßen, die gerade in Planung oder im Bau sind. Bis Ende 2020 werden wir dafür 30 Millionen Euro Bundesmittel verbaut haben. Dann wird auch das Streckennetz überwiegend fertig sein. Allerdings gibt es auch Maßnahmen, die erst danach umgesetzt werden, was einfach daran liegt, dass manche Planungen länger brauchen, weil beispielsweise Grundstücke gekauft oder Bauzeitfenster gefunden werden müssen.

„Bis 2025 bauen wir an S- und U-Bahnhöfen rund 25.000 Abstellplätze für Fahrräder“

Nicht jede Strecke lässt sich mit dem Rad fahren. Wie bringen sie Menschen dazu, die beispielsweise mit dem Auto zur Arbeit in die Innenstadt pendeln?

Da arbeiten wir an zwei Strängen. Zum einen sind das die Velorouten, die sternförmig aus dem Hamburger Umland in die Stadt hineinführen. Durch E-unterstütze Räder kann man inzwischen auch ganz andere Strecken zurücklegen als mit dem herkömmlichen Rad. Und zum anderen brauchen wir wirklich gute Mobilitätsketten. Das heißt, ein Pendler muss wissen, dass es beim nächsten Bahnhof sichere Abstellanlagen gibt, bei denen das Rad tagsüber gut aufgehoben ist.

Deshalb bauen wir bis 2025 an allen S- und U-Bahnhöfen rund 25.000 Abstellplätze in einem hohen, einheitlichen Standard. Und in der Stadt angekommen, können sich die Pendler dann ein Stadtrad schnappen und damit in die Nähe des Arbeitsplatzes fahren.

Apropos Stadtrad: Im letzten Jahr wurden neue Stationen gebaut, und die Flotte wurde erweitert. Wie geht es weiter?

Vor einem Jahr hatten wir noch 214 Leihstationen mit 2.450 Fahrrädern. Heute gibt es bereits 224 Stationen, diese werden in den kommenden Jahren schrittweise auf 350 Stationen mit 4.500 Leihrädern ausgebaut. So erreichen wir eine Vollabdeckung in der Stadt. Unser Ziel ist es, dass die Hamburger im ganzen Stadtgebiet an allen S- und U-Bahnhöfen und in allen Stadtteilzentren eine Station finden. Die erste halbe Stunde der Nutzung ist kostenlos, und per App kann man vorher prüfen, an welcher Station noch Fahrräder verfügbar sind. Das Stadtrad ist damit ein sehr komfortables Verkehrsmittel, das viele Hamburger schätzen und lieben.

Das Stadtrad scheint ein elementarer Teil des Mobilitätskonzepts der Stadt zu sein. Aber sind 4.500 Stadträder wirklich genug, um ganz Hamburg zu versorgen?

Ja, das Stadtrad erfreut sich großer Beliebtheit. Es ist sogar das meist genutzte Fahrradverleihsystem Deutschlands. Unser Ziel ist eine große Stationsdichte, die an Orten mit hohem Kundenpotenzial sowie mit hoher Einwohnerzahl im Umkreis von 500 Metern liegt. Wichtig ist uns dabei stets auch ein qualitativ hochwertiges und gepflegtes Erscheinungsbild des Stadtrad-Systems. Deshalb wachsen wir lieber im guten Tempo als zu rasant.

Gibt es andere Fahrradstädte, Kopenhagen zum Beispiel, die Hamburg sich als Vorbild nehmen könnte?

Ganz bestimmt. In diesen Städten wird schon viel weitergedacht, das merkt man oft an den Feinheiten. In Groningen zum Beispiel gibt es Radfahr-Ampeln, die bei Regen längere Grünphasen haben. So werden die Radler bei Rot nicht so lange im Regen stehen gelassen. Schöne Sache. Das sind Kleinigkeiten, die zeigen: Wir nehmen den Radfahrer ernst und geben ihm eine hohe Priorität im Straßenverkehr.

Können Sie sich vorstellen, dass in Hamburg irgendwann nur noch Radfahrer unterwegs sind?

Nein, das ist auch nicht unser Ziel. Es gibt auch gute Gründe, in einer so großen Stadt den öffentlichen Nahverkehr stark auszubauen und dem Fußverkehr einen großen Stellenwert einzuräumen. Und natürlich wird es weiter Autos und Lieferwagen geben. Das ist doch selbstverständlich, gerade in einer Wirtschafts- und Logistikmetropole wie Hamburg. Es muss uns aber nur allen klar sein, dass es so, wie es jetzt ist, nicht weitergeht. Wir brauchen neue Angebote, um gerade den individuellen Autoverkehr zu reduzieren. Sonst steht der Verkehr. In einem zukunftsfähigen Mobilitätsmix wird das Fahrrad eine zentrale Rolle spielen, aber sicher bleibt auch: Die Mischung macht’s.

Fahrrad.hamburg


Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG, September 2019. Titelthema: Mobilität – Das bewegt die Stadt. Das Magazin ist seit dem 29. August 2019 im Handel und zeitlos im Online Shop oder als ePaper erhältlich!


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