46.000 staubige Kilometer – Lena Wendt und Ulli Stirnat hatten ein Ziel: in sechs Monaten mit dem eigenen Auto nach Südafrika. Dort kamen sie nie an. Stattdessen ging es zwei Jahre durch Westafrika – eine Reise ins Abenteuer und zu sich selbst. Mitgebracht haben sie jede Menge Material für einen Film über zwei Menschen, die „abgefahren“ sind.
Interview: Ilona Lütje
Beitragsbild: Jakob Börner
SZENE HAMBURG: Beschreibt doch mal euer Leben, bevor ihr aufgebrochen seid.
Lena: Wir waren gerade erst zusammengezogen: sanierter Altbau in Eimsbüttel, toll eingerichtet und mit Kanus im Garten. Eigentlich alles perfekt. Ich bin dann gleich nach Panama gereist und als ich wiederkam, fand ich Ulli in einem jämmerlichen Zustand vor.
Ulli: Ich hab als Medizintechnikingenieur in Lübeck gearbeitet. Es gab plötzlich immer mehr zu tun, der Druck wurde größer, noch dazu bin ich ständig gependelt. Das Leben ist an mir vorbeigerauscht. Ich wusste, dass sich grundlegend etwas ändern muss.
Lena: Als ich nach meinem Journalismus-Studium beim Fernsehen arbeitete, merkte ich schnell: Es ging nur um Quoten. Ich wurde immer unzufriedener. Als Ulli seinen Burnout bekam, hab ich ihn gefragt: Wollen wir nicht nach Westafrika? Und er so: Ja, klar …
Warum Afrika?
Lena: Das war schon immer mein Traum: die westafrikanische Küste mit dem eigenen Auto runter bis Kapstadt. Ulli wollte lieber eine Weltreise machen. Wir hatten dann den Plan, in sechs Monaten bis Südafrika und dann rüber nach Lateinamerika. Insgesamt wollten wir ein Jahr unterwegs sein.
Das hat nicht so geklappt …
Lena: Wir hatten gleich drei Monate in Marokko verbracht. Da war klar, dass wir mit der Zeit gar nicht hinkommen (lacht). Auf der Reise ist immer irgendwas passiert – gutes wie Schlechtes. Nach den schlechten Erlebnissen brauchten wir eine Pause und nach den guten wollten wir mehr. Wir haben entschieden: Der Weg ist das Ziel.
Schlechtes?
Ulli: Wir sind in kurzer Zeit von einer Klimazone in die andere gerutscht, das hat uns an unsere Grenzen gebracht.
Lena: Wir hatten zwar alles fein geplant und wussten genau, wann wir wo sein müssen, um die besten Jahreszeiten zu erleben. Weil wir aber voll hinter unserem Zeitplan waren, sind wir überall in die beschissensten Wetterlagen reingekommen. Erst das Jahrhunderthochwasser in Marokko, dann glühende Hitze in Mali. An der Elfenbeinküste sind wir voll in die Regenzeit gekommen. Erst haben wir uns gefreut: endlich Regen! Und dann hat der zwei Monate nicht mehr aufgehört. Wir haben nichts mehr trocken bekommen.
Was habt ihr über euch gelernt?
Ulli: Dass wir ganz schön unterschiedlich sind. Es war schwierig, das zu sehen und dann auch noch damit umgehen und es akzeptieren zu können.
Welche Unterschiede sind das?
Ulli: Lena ist spontan und planlos. Sie will einfach machen und ich erst mal organisieren. Das größte Problem war das große Unverständnis dem anderen gegenüber. Das Schlimmste war, dass wir nicht kommuniziert haben.
Lena: Dass wir nicht kommunizieren konnten! Wir haben es ja schon versucht. Wenn du niemanden hast, mit dem du mal über deine Probleme reden kannst, ist das schwer. Aber in mir hat das gebrodelt, vor allem, wenn man so eng zusammen ist und sich nicht aus dem Weg gehen kann. Wir waren immer auf diesen zwei Quadratmetern. Ulli hat ständig Pläne gemacht, das hat mich genervt. Ich hab auch Ullis Burn-out völlig unterschätzt und war manchmal einfach überfordert. Ich hätte ihn gern oft zum Mond geschickt, aber das wäre gar nicht gegangen. Wir hatten nicht mal Rucksäcke, um mal eine Zeit lang getrennte Wege zu gehen. Wir hätten uns ganz sicher ein paar mal getrennt, wäre das Auto nicht gewesen. Es war wie ein Schicksal, wir kamen nicht voneinander los. Ob das jetzt gut oder schlecht war: Wir sind auf jeden Fall sehr aneinander gewachsen.
Habt ihr denn an Aufgeben gedacht?
Lena: Ich wollte immer weiterfahren.
Ulli: Ich hatte zwischendurch Zweifel, aber das lag auch an den argen Problemen, die wir miteinander hatten.
Lena: Wir haben zum Glück in einer Eco-Lodge arbeiten können. So wurden wir auch mal wieder Teil von etwas. Wir haben gelernt, mit natürlichen Werkstoffen Häuser zu bauen. Ich hab Yoga unterrichtet, Uli surfen. Es tat gut, mal wieder gebraucht zu werden. Und auch mal was getrennt zu machen. Wir wollten eigentlich vier Wochen bleiben und blieben ein halbes Jahr.
Dann hattet ihr wieder genug Kraft?
Ulli: Es war ein Auf und Ab. Die Zeit in Ghana hat sehr gut getan, aber ich wollte mal Freunde und Familie wiedersehen. Lena hatte mir zwar prophezeit, wie das werden wird. Aber ich musste die Erfahrung selber machen: Hier hatte sich nicht viel verändert; jeder hatte weitergemacht wie bisher, aber das hat nicht mehr funktioniert. Ich bin nach sechs Wochen wieder zurück und bin dann mit neuer Energie weiter.
Weiter nach Südafrika?
Lena: Wir sind durch Togo und Benin und dann war Schluss: Für Nigeria war einfach kein Visum zu bekommen. Wir sind dafür noch nach Liberia und Sierra Leone gefahren.
Wann habt ihr entschieden, zurück zu kommen? Wann war’s dann mal gut?
Lena: Gut war’s für mich überhaupt nicht. Ich war die gesamte Rückreise – ab Sierra Leone frustriert. Ich hab mich nur darauf eingelassen, weil wir abgemacht hatten, dass wir den Winter in Marokko verbringen.
Ulli: Ich musste immer daran denken, dass wir das mit der Wohnung hier endlich mal regeln müssen. Reines Verantwortungsgefühl. Aber die Idee mit Marokko fand ich auch super!
Warum wolltest du nicht zurück, Lena?
Lena: Auf Reisen hatte ich immer das Gefühl, mehr bei mir selber zu sein. Aber ich konnte das nie festhalten. Immer wenn ich in den Alltag zurück bin, war ich wieder in diesem Sog: Du musst funktionieren, produktiv sein. Ich war so mit To-do-Listen beschäftigt, dass ich mich nicht mehr gespürt habe. Für mich war diese Reise eine riesige Chance, vielleicht die einzige, die Zeit zu nutzen und erst dann umzudrehen, wenn mein Korb vollgepackt ist mit genug Munition, um hier alles zu schaffen. Ich war einfach noch nicht so weit.
Hast du jetzt alle Munition zusammen?
Lena: Heute weiß ich: Einfach nur auf eine Reise zu gehen, verändert mich nicht. Erst wenn ich bereit bin, nach innen zu gucken, kann ich mich auch weiterentwickeln. Die Erfahrung habe ich bei einer Vipassana-Meditation in Polen gemacht – das heißt zehn Tage lang elf Stunden meditieren und schweigen. Es ist außerdem gut, sich mit Leuten auseinanderzusetzen, die ähnlich denken. Darum schätze ich es hier doch mehr als gedacht.
Jetzt könntest du also hier bleiben?
Lena: Ich könnte, aber ich will nicht. Mir geht’s gar nicht darum, ganz große Pläne zu machen. Es gibt Dinge, auf die ich nicht mehr verzichten möchte.
Zum Beispiel?
Lena: In der Natur sein, ich möchte draußen leben, barfuß laufen, da sein, wo die Sonne scheint. Ich möchte Zeit haben. Ich hab keinen Bock auf diesen Strudel an Produktivität und diese Sicherheitsdenke. Sicherheiten sind eine Illusion. Ich will das nicht mehr.
Ulli: Ich seh das nicht ganz so krass. Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie ich das, was du da grad gesagt hast, empfinde. Das ist so hart – bumm, bumm. Ich hab momentan kein Problem damit, hier zu sein. Ich weiß nur: Ich würde nie wieder so arbeiten wollen wie früher, für das Taschengeld irgendeines Vorstands. Für unseren Film arbeite ich gerade sicher mehr als 40 Stunden in der Woche, aber das fühlt sich gut und richtig an. Ich möchte nicht mehr in einen eintönigen Alltag reinrutschen, sondern neue Sachen lernen. Darum habe ich auch meine Hundetrainerausbildung gemacht. Im Sommer mache ich noch meine Surflehrer-Ausbildung – mal schauen, was dann noch so passiert.
Ihr plant also schon die nächste Reise?
Ulli: Wir planen nicht, wir haben eine Idee davon.
Lena: Ich hab das Gefühl, dass ich weg möchte, dann ist klar, dass ich das auch mache.
Ulli: Der einzige Plan, den wir momentan haben: Wenn der Film fertig ist, gönnen wir uns eine Auszeit.
In dem Trailer zum Film hast du einen kleinen Nervenzusammenbruch. Verrätst du, was der Auslöser war?
Ulli: Das war in Ghana. Wir hatten gerade den Job in der Lodge bekommen. Und dann ist eines Abends unser Hund, der uns von klein auf an begleitet hat, nicht nach Hause gekommen. Wir haben ihn am nächsten Morgen gefunden: Er war im Fluss unter einer Baumwurzel eingeklemmt und einem Krokodil zum Opfer gefallen.
Lena: Das war für uns beide das Schlimmste. Doch mit unseren Gefühlen waren wir ganz allein. In Ghana haben die Leute entschieden, nicht mehr so viel zu weinen. Sie verlieren ständig jemanden, eine Beerdigung wird mit einer dreitägigen Party gefeiert. Die konnten gar nicht damit umgehen, dass es uns so schlecht geht. Und wir haben uns geschämt. Ich weine da um einen Hund, und die beerdigen ihre Kinder. Uns hat es aber wieder näher zusammengebracht.
Für wen ist der Film?
Lena: Für Afrika. Wir wollen den Menschen etwas zurückgeben und zeigen, wie warm und schön und herzlich Afrika ist. Und natürlich ist der Film auch für all diejenigen, die vielleicht nicht die Chance haben, selbst zu reisen oder noch etwas Mut und Motivation brauchen ihren eigenen Traum, wie auch immer der aussieht, in die Tat umzusetzen.
Interview: Ilona Lütje
Beitragsbild: Jakob Börner
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Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Mai 2018. Das Magazin ist seit dem 28. April 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!