Janina Alff brachte im August 2015 eine Kleiderspende für Geflüchtete in die Messehallen. Voller Wut, aber auch voller Energie widmete sie sich fortan der Hilfe für Bedürftige und wurde Mitgründerin des Vereins Hanseatic Help, der in diesem Monat sein 5-jähriges Bestehen feiert
Interview: Erik Brandt-Höge
SZENE HAMBURG: Janina, wenn du an den August 2015 zurückdenkst, woran erinnerst du dich sofort?
Janina Alff: Zuerst kommt mir das Gefühl von einer unglaublichen Wut in den Kopf, auch das von einer großen Trauer. Das lag einfach an den damaligen Umständen. Es waren 1.200 Menschen in den Messehallen, mit denen wir in Kontakt standen und deren Geschichten wir hörten. Dazu die Bilder im Fernsehen, das Weltgeschehen allgemein: Das hat einfach wütend und traurig gemacht. Auf der anderen Seite erinnere ich mich auch an ein sehr positives, energetisches Gefühl. Es gab ja eine immense Anzahl von Helfern in den Hallen, bei denen eine Hand in die andere griff. Alle wollten unbedingt den Missständen unterstützend entgegentreten. Es war eine extrem aufgeladene Stimmung – im positiven Sinne.
Erinnerst du dich auch noch an den ersten Aufruf, der zu der großen Zahl von Helfern geführt hat?
So voll und ganz konnten wir den nie rekonstruieren. Ich kann da nur meine Geschichte erzählen. Ich kam Mitte August zum ersten Mal in die Hallen, nachdem ich einen Aufruf über die sozialen Medien gelesen hatte. Parallel dazu hatte das Hamburger Abendblatt eine Spendenaktion gestartet. Es gab zunächst nur eine kleine Ecke, wo Anwohner Kleidung abgeben durften, das waren wirklich nur 50 Quadratmeter – in einer Halle von circa 8.000 Quadratmetern. Durch die mediale Aufmerksamkeit kamen allerdings so viele Spenden zusammen, dass die gesamte Halle schnell voll war. Es war wie ein Lauffeuer.
Was hast du dir zu diesem Zeitpunkt, also kurz nach deiner Kleiderspende, zur Aufgabe gemacht?
Als ich meine Tüte mit Kleidung abgegeben hatte, bin ich nach Hause – und habe erst mal geheult. Ich hatte ja das Chaos in der Halle gesehen, in der die vielen Geflüchteten untergebracht waren. Ich habe mir dann vorgenommen, am nächsten Tag wieder hinzugehen und zu helfen, die abgegebenen Spenden zu sortieren. Das habe ich gemacht, den gesamten Tag. Auch den Tag darauf. Ich bin einfach jeden Tag hingegangen.
Ich habe weiter an den Sortierstationen mitgearbeitet, die Ausgaben gemacht, später ein Büro organisiert. Ich habe immer wieder neue Bedarfspunkte mit aufgebaut und bin weiter zum nächsten. Und am 15. Oktober habe ich zusammen mit anderen Helfern den Verein Hanseatic Help gegründet. Wir waren ein zusammengewürfelter Haufen aus St. Pauli und Umgebung, 32 Leute, die damals eine Lücke, die die Stadt noch nicht schließen konnte, geschlossen und damit die Not der Menschen gelindert hat.
Durfte damals und darf heute eigentlich jeder bei Hanseatic Help mitmachen?
Ja, das ist unser Konzept. Wir haben ja eine Satzung, und darin wurden Vereinszwecke festgehalten, zum Beispiel die Hilfe von Menschen in Not. Ein weiterer Zweck ist die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, darauf liegt bei uns ein ganz besonderer Fokus. Wir wollen gemeinschaftlich dafür sorgen, dass es uns und anderen gut geht. Wer möchte, kann sich also bei uns melden. Im Moment haben wir acht hauptamtliche Mitarbeiter, sechs Bundesfreiwilligendienstler, zwischen fünf und zehn Mitarbeiter und Praktikanten aus Berufsintegrationsprogrammen oder berufsvorbereitenden Praktika – Tendenz steigend –, 84 offizielle Vereinsmitglieder und rund 120 Ehrenamtliche.
Und wer unterstützt euch außer den ehrenamtlichen Helfern vor Ort?
Wir haben verschiedene Kategorien von Spendern. Da sind einmal die privaten Spender, dann Stiftungen, und wir bekommen öffentliche, also städtische beziehungsweise staatliche Gelder. Es gibt zudem viele Unternehmen, die uns unterstützen. Seit Corona haben wir die Aktion „Hamburg packt zusammen“, das ist ein Zusammenschluss von Hamburger Unternehmen, die helfen wollen. Die Unternehmen haben die Produkte, wir die Logistik, und so kommen wir zusammen. Verteilt werden die Spenden dann in der Regel über weitere Einrichtungen an Geflüchtete, Obdachlose, Senioreneinrichtungen, Studierende, Familien oder Alleinerziehende und weitere Menschen, die Hilfe benötigen.
Ist dieser intensive Job für dich auch dauerhaft machbar?
Ich habe zweieinhalb Jahre eines der Vorstandämter bekleidet, was ein ehrenamtlicher Vollzeitjob neben meinem eigentlichen Vollzeitjob war (Janina Alff ist gelernte Fotografin; Anm. d. Red.). Der Tag hat schließlich 24 Stunden, für mich waren zeitlich also acht Stunden pro Job möglich. Zumindest zeitlich. Ob das kräftemäßig auf Dauer machbar ist, ist eine andere Frage. Nach meiner Vorstandsarbeit wollte ich die Verantwortung aber nicht noch zwei Jahre tragen, bin seitdem eher im Hintergrund aktiv und stehe Hanseatic Help unterstützend und beratend zur Seite. Aktuell mache ich eine Vollzeitweiterbildung im Bereich Organisationsentwicklung und lerne quasi in der Theorie das, was ich in der Praxis schon kennengelernt habe.
Hat sich eigentlich die Wut, von der du anfänglich gesprochen hast, durch die lange Arbeit für Hanseatic Help etwas gelegt?
Nein. Gerade jetzt ist meine Wut wahnsinnig groß. Kürzlich hat Moria auf Lesbos gebrannt, wo plötzlich 12.000 Obdachlose saßen, und die Bundesregierung wollte anfänglich nur 150 Kinder nach Deutschland holen. Es gibt immer wieder Momente, die mich verärgern, sprach- und auch hilflos machen. Auf der anderen Seite ist die erwähnte Energie auch noch da. Und wenn ich sehe, wie viel sich aus unserem Verein seit 2015 heraus entwickelt hat, dann habe ich die Hoffnung, dass es weitergeht, dass wir laut bleiben und nicht aufhören, zu helfen.
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Oktober 2020. Das Magazin ist seit dem 27. September 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!