Hamburger des Monats: Michael Wendt von der MOTTE

Seit 1976 gibt es die MOTTE – ein Stadtteilzentrum für Kultur, Bildung und Sozialarbeit im Herzen Ottensens. Und seit 1994 hält Michael Wendt dort als Geschäftsführer die Fäden in der Hand. Nun steht er kurz vorm Renteneintritt. Ein Gespräch über Krisenzeiten, Nachhaltigkeit und neue Wege
Portrait Michael Wendt, Geschäftsführer die MOTTE
Bald „quasi Rentner at Work“: Michael Wendt (©Mareike Franke | MOTTE)

SZENE HAMBURG: Michael Wendt, 28 Jahre waren Sie Geschäftsführer der MOTTE, im September gehen Sie in Rente. Wie fühlt es sich an, dieses lange Kapitel hinter sich zu lassen?

Michael Wendt: Erst mal muss ich sagen: Anfangs stand für mich nur ein Projektzeitraum von drei Jahren fest – aus eigenem Wunsch. Mit der Zeit hat sich aber alles so toll entwickelt, ich konnte mir gar keinen besseren Arbeitsplatz mehr vorstellen und hatte dann auch die Möglichkeit, langfristig zu bleiben. Und zum Renteneintritt: Während meiner Motte-Jahre sind Aufgaben entstanden, die ich auch nach September fortführen werde – mit völlig neuem Engagement als quasi Rentner at Work. Richtig Schluss sein bei der MOTTE wird für mich erst 2026.

Können Sie mal beschreiben, wie Sie die MOTTE bei Amtsantritt vorgefunden haben und welche Zielsetzungen sich daraus für Sie ergeben haben?

Ich wusste schon vorher, dass die MOTTE Anfang der 1990er-Jahre in Schwierigkeiten geraten war. Sie war tief in der Krise, sodass man als Außenstehender dachte: Das schafft die Vereinsmitgliedschaft nicht mehr! Es war ein Gehake aus Menschen, die einen Idealzustand aus der Initialisierungszeit aufrechterhalten wollten und welchen, die meinten, man müsse sich weiterentwickeln. Nach vielen Reibereien wurde letztendlich entschieden, Personen einzustellen, die betriebswirtschaftliche Erfahrungen mitbringen – was wiederum dazu geführt hat, dass man mich eingestellt hat.

Wir haben Projektideen immer gemeinsam substanziell besprochen und erarbeitet

Michael Wendt

Erinnern Sie sich daran, was Ihr erstes Projekt als Geschäftsführer war?

Wir haben eine Übersicht über die Finanzstrukturen erstellt, um zu gucken, wo der Verein derzeit stand. Und das händisch auf Millimeterpapier! Da einzusteigen und eine unterbrochene Organisationsentwicklung fortzuführen waren meine allerersten Aufgaben – die auch wirklich Zeit gekostet haben. Die erwähnte Krise war so eklatant, dass 1992 und 1993 jeweils neue Geschäftsführer angefangen haben, die dann schreiend weggelaufen sind. Die Herausforderung war, Vertrauen zu gewinnen. Erst auf der Grundlage konnte man überhaupt etwas gestalten und neu entwickeln – was wir auch geschafft haben.

Die Motte und die Anfänge der Altonale

Haben Sie immer alle Projektideen umsetzen können?

Nein. Es gab tolle Ideen, die nie umgesetzt werden konnten. Weil entweder intern ausreichend Personal fehlte oder keine Förderanträge gestellt werden konnten. Wir hatten aber auch Ideen, die ganz spontan entstanden sind. Die Chance war da, alle Faktoren haben zusammengespielt – und wir haben zugepackt und daraus riesige Projekte entwickelt. Ein Beispiel ist die Altonale, die hatte sich tatsächlich aus Zufällen ergeben. Ein Grund, warum wir in solchen Fällen erfolgreich waren: Wir haben Projektideen immer gemeinsam substanziell besprochen und erarbeitet.

Sie sprachen bereits von Herausforderungen. Welche Steine lagen Ihnen noch im Weg bei der Realisierung Ihrer Ziele?

Als wir in der Gründungsphase der Altonale waren, bekamen wir von ganz vielen Menschen aus diesem großen Konvolut aus sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie politischen Initiativen, die es hier im Kerngebiet Ottensens gab, großen Gegenwind: „In kommerzielle Geschichten gehen wir nicht rein“, hieß es da oft. Wir waren diejenigen, die dann gesagt haben: „Wir bringen Menschen mit flachen Hierarchien zusammen, die in einer gemeinsamen Projektierung ihre Interessen wahren können!“

Wie ist das gelungen?

Wir haben uns 14-tägig in der MOTTE getroffen, Zustände von Überschneidung geschaffen und eine Annäherung provoziert. Die führte nach ungefähr drei Monaten dazu, dass die Nein- und die Jein-Sager plötzlich doch wollten. Ich habe sie noch künstlich auseinandergehalten, bis die Kraft so groß wurde, dass es keiner Delegation bedurfte. Es hat sich wie ein Reißverschluss gefügt und wurde ein Plenum. Die verschiedenen Menschen hatten einfach begonnen, sich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen, um dann in eine intensive Vorbereitungsphase einzusteigen.

Unbeschadet durch Krisenzeiten

Eine große Herausforderung für die MOTTE war sicher auch die Corona-Zeit. War die MOTTE sehr stark gefährdet?

Aus unserer Sicht als Organisation waren wir zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Alle Zuwendungsgeber haben gesagt, wir müssten die Infrastrukturen erhalten. So konnten wir die Gehälter für Angestellte weiterzahlen. Förderer wie Stiftungen haben Bewilligungszeiträume für Projekte verschoben, verlängert, oder geschaut, ob wir das zukünftig auf einem anderen Niveau umsetzen können. So wurde kaum bis gar kein Geld aus dem Genre wieder rausgezogen. Auch haben wir viele Dinge neu lernen können, weil es miteinander neu organisiert werden musste – es war nicht nur alles negativ.

Also haben Sie sich von der Stadt ausreichend unterstützt gefühlt?

Ein klares Ja! Wir sind gut unterstützt worden und dadurch ungeschadet durch diese Krisenzeit gekommen.

Wie ist eigentlich das Verhältnis der Finanzierung der MOTTE?

Unsere Hauptfinanzierung läuft über Fördermittel, der Rest ist mit Eigenmitteln gedeckt, also zum Beispiel Miet- oder Veranstaltungseinnahmen. Wir sind bei einem ungefähren Verhältnis von 80 zu 20 Prozent.

Unsere Nachhaltigkeitsprojekte sind keine dominierenden Herzensprojekte, sondern selbstverständlich – auch vor 30 Jahren schon.

Michael Wendt

Neben Kultur und Bildung setzt sich die MOTTE auch für Nachhaltigkeit ein. Lag und liegt darauf auch für Sie ein Hauptfokus?

Unsere Nachhaltigkeitsprojekte sind keine dominierenden Herzensprojekte, sondern selbstverständlich – auch vor 30 Jahren schon. Umweltschutz und Klimaschutz ist automatisch in einem Haus wie der MOTTE immer Thema gewesen.

Und welchen Weg gehen Sie jetzt? Was sind Ihre Pläne für die neu gewonnene Zeit?

Es ist keine undurchsichtige Wand, die 2026 entsteht. Ich sehe das eher so, dass diese drei Jahre nach meinem offiziellen Austreten ein Entwöhnungsprozess sind, den ich bei vielen meiner Bekannten sehe. Einige können nicht anders, als eine ähnliche Struktur ihres Lebensalltags fortzuführen. Das will ich nicht. Ich möchte offen sein für Zufälle, Begegnungen oder Notwendigkeiten, die sich ergeben. Und wenn sich bis dahin keine Sachen ergeben, ergeben sich andere Dinge.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 08/2023 erschienen.

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