Hamburger des Monats: Sozialarbeiter Philipp von Dewitz

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Foto: Matthias Greulich

Der Lockdown trifft viele Familien hart. Philipp von Dewitz von „Auf Kurs Jugendhilfe“ betreut Kinder und Jugendliche, die auch ohne Corona unter schwierigen Bedingungen aufwachsen. Ein Gespräch mit dem 29-jährigen Sozialarbeiter über Systemsprenger, die akute Lage in den Familien und solidarisches Klatschen in Winterhude

Interview: Matthias Greulich

SZENE HAMBURG: Philipp, wie arbeitest du momentan?

Philipp von Dewitz: Relativ normal. Mittler­weile hat sich im Alltag eine Krisenroutine eingestellt. Ich kann da aber nicht für alle Sozialarbeiter sprechen, sondern nur für meinen Bereich, der Jugend und Familienhilfe bei Auf Kurs Jugendhilfe. Ich bin allerdings nicht mehr mit den Öffis, sondern rund 40 Kilometer täglich mit dem Rad beruflich unterwegs.

Du betreust einzelne Kinder und Jugendliche, die du Corona-bedingt schwer zu Hause besuchen kannst.

Wir vermeiden es momentan, in die Wohnungen zu gehen. Wir versuchen, mit den Familienmitgliedern einzeln zu sprechen. Ganz viel findet momentan draußen statt. Es gibt aber auch Fälle, in denen das nicht funktioniert. Wenn es Kontrollaufträge vom Jugendamt gibt, wo geschaut werden muss, wie die Bedingungen für die Kinder in der Wohnung sind.

Wie ist dein Eindruck zur Lage in den Familien?

Ambivalent. Ich bin teilweise be­geistert, weil ich das Gefühl habe, dass die Krise Leute zusammenbringt. Es gibt einen gemeinsamen Gegner, so­ dass andere Probleme in den Hinter­grund rücken. Andererseits verschärfen sich bestehende Konflikte. Besonders um das Thema Schule, bei dem es oft kracht. Dazu kommt die räumliche Enge. Und es fallen Bezugspersonen wie Großeltern weg.

Du arbeitest in unterschiedlichen Stadtteilen wie Farmsen, Steilshoop, Rahlstedt, Billstedt oder Wilhelmsburg. Sind Menschen in sozial schwächeren Stadtteilen stärker von der Krise betroffen?

Ich befürchte, dass sich Ungleich­heiten in dieser Zeit eher manifestieren. Im Bereich materielle Versorgung sehe ich mehr Not und auch im Bereich Bildung. In Familien gibt es teilweise nicht die benötigte Ausstattung. Es fehlen Laptops und Drucker. Und pädagogisch sind viele Eltern überfordert.

Die Unterstützung von Behörden und Schulen ist da sehr unterschiedlich. Da gibt es gerade an den Schulen Licht und Schatten. Ich habe beides erlebt.

Viele befürchten, dass Fälle häuslicher Gewalt zunehmen.

Die Frage ist: Was passiert gerade, was wir nicht sehen? Ich habe eine aktuelle Statistik gelesen, dass es bundesweit bei 43 Prozent der Jugendämter einen deutlichen Rückgang von Meldungen im Bereich Kinderschutz gibt. Das liegt daran, dass die Hauptmelder Schule und Kita gerade in großen Fällen wegfallen.

Deshalb befürchten wir, dass es krasse Nachwirkungen von Sachen, die erst nachher rauskommen, geben wird. Gerade in diesen Grenzbereichen, wo sich Leute jetzt aus Hilfesystemen zurück­ziehen. Normalerweise gibt es eigentlich ein gut funktionierendes System im Kinderschutz. Nach krassen Fällen, wo nicht hingeschaut wurde, als Kinder zu Tode gekommen sind, wurde viel getan.

Auf Netflix läuft der Film „Systemsprenger“. Muss man sich deine Arbeit mit schwierigen Jugendlichen ähnlich vorstellen?

Der Film gibt aus meiner Sicht einen richtig guten Einblick in den Alltag von Pädagogik. Das Coole ist, dass es für mich einen hohen Wiedererkennungswert hat. Man denkt sich: „Ja, das kenne ich!“ Die Protagonistin ist eine sehr gelungene Blaupause für Jugendliche, die aus dem System fallen. Das sind aber Einzelfälle. Nicht jeder Jugendliche, der schwierig ist, fällt aus dem System.

„Ich gehe mit der Haltung zur Arbeit, dass der Mensch erst mal gut ist“

Deine Sprache hat mit der Fachsprache der Sozialarbeiter wohltuend wenig Ähnlichkeiten.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es wenig Wert hat, wenn mich die, um die es geht, nicht verstehen. Die meisten Leute, auf die ich treffe, sind Jugendhilfe­erfahren. Sie sind selber Profis. Ein 16­-Jähriger hat die Vokabeln teilweise besser drauf als ich, wenn er schon mal in einer Wohngruppe oder Suchtberatung war. Der lässt sich von mir nicht täuschen. Es geht aber nicht darum, dass ich da jetzt einen auf Ju­gendsprache mache. Ich versuche, als Erwachsener mit den Jugendlichen zu sprechen.

Wie hat dich der Job verändert?

Man wird ein bisschen wertschät­zender gegenüber anderen. Ich bin im­mer noch idealistisch in Bezug auf mein Menschenbild. Ich gehe mit der Haltung zur Arbeit, dass der Mensch erst mal gut ist und für sich ein gutes Leben anstrebt.

Das stützt die These des Historikers Rutger Bregman. In seinem Buch „Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit“ schreibt er, dass beim berühmten Stanford-Prison-Experiment nicht seriös gearbeitet wurde. Die Erkenntnisse, dass sich Menschen unter bestimmten Bedingungen zu Sadisten verwandelten, sei daher mit Vorsicht zu genießen.

Ich glaube, wenn man für Jugendliche künstliche Szenarien kreiert, wo man mit einem Anreiz wedelt und sagt: „Du kriegst einen Mercedes­ AMG oder deine Mutter und du habt weniger Streit“, dann würden viele sagen: „Ich nehm’ den AMG.“ Meine Erfahrung zeigt aber schon, dass es bei allem Geprolle und Gehabe doch bei den Jugendlichen darum geht, Anerkennung zu kriegen und Nähe zu Bezugspersonen zu erleben.

Wenn wir ganz allgemein von Wertschätzung reden: Steigt das Ansehen von sozialer Arbeit gerade?

Ich glaube ja. Es ist gerade ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür entstanden, wem man zu Dank verpflichtet ist. Das ist gerade ein Phänomen. Die Sozialarbeiter kommen zwar relativ weit hinten nach Ärzten und Kassiere­ rinnen. Aber immerhin.

Ist das nur ein Hype oder wird das anhalten?

Ich denke, es ist gerade eine sehr prägende Zeit für Leute, daher glaube ich, dass es schon anhalten kann. Es wird im Gedächtnis bleiben und ein bisschen mehr Solidarität übrig bleiben. Gleichzeitig bin ich eher Teil der Fraktion, die sagt, wenn meine Frau geschafft von ihrer Arbeit als Krankenschwester auf der Intensivstation nach Hause kommt und weiterhin wenig Wertschätzung in Form von monetärer Anerkennung bekommt, dann hilft ihr das nicht, wenn in Winterhude jemand klatscht.

Auf Kurs Jugendhilfe: Maimoorweg 52 (Bramfeld)


Cover Szene Juni 2020 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juni 2020. Das Magazin ist seit dem 30. Mai 2020 im Handel und  auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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