SZENE HAMBURG: Heinz, du hast in einem Interview mal gesagt, dass du dich jeden Tag hinsetzt und schreibst – dass du also wirklich ein literarischer Arbeiter bist. Kommt dabei tatsächlich immer etwas rum?
Heinz Strunk: Es gibt ja diesen berühmten und von mir gern zitierten Satz von Philip Roth, der mal gesagt hat: „Amateure warten auf Inspiration, Profis setzen sich hin und arbeiten.“ So ist das auch. Schreibblockaden kenne ich nicht.
Du hast lange Zeit Kunst gemacht, ohne damit wirklich Geld zu verdienen. Dein Durchbruch war dann dein Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ im Jahr 2004, da warst du bereits 42. War das einfach Glück?
Ehrlich gesagt: Ja. Ich war damals ziemlich am Ende und hatte keine richtige Perspektive mehr im Leben. Es gab zwar immer Leute, die meine Sachen gut fanden, aber davon konnte ich mir nichts kaufen – im wahrsten Sinne des Wortes. „Fleisch ist mein Gemüse“ ist vom Thema ja nun auch nicht gerade das, wo man sein Leben drauf verwettet hätte, dass das Anklang findet. Aber dass es so war, ist der Glücksfall meines Lebens gewesen, auf den alles andere aufgebaut hat. Es war ganz schön, als ich das Buch vor zwei Jahren mal wieder gelesen und gedacht habe: Das hat Bestand. Das würde ich heute nicht anders schreiben.
Botho Strauß hat mal gesagt: „Man schreibt unter der Aufsicht alles bisher Geschriebenen“, das finde ich auch
Heinz Strunk
Hast du eine Erklärung dafür, warum „Fleisch ist mein Gemüse“ damals so eingeschlagen ist?
Nein – das ist ja auch das Schöne und Spannende daran. Man kann so etwas nicht voraussehen. Es gibt in der Kultur serielle Sachen, die immer funktionieren wie James Bond, oder halt große Namen. Aber in der Literatur in Deutschland gibt es eigentlich nur drei wirkliche Hit-Maschinen, das sind Schirach, Zeh und Fitzek. Die müssten schon richtig Mist bauen, damit es bei ihnen nicht mehr läuft.
„Der Pulitzer-Preis ist ein sehr sicheres Siegel für Qualität“
Du hast mittlerweile bereits 13 Bücher geschrieben. Waren die alle erfolgreich?
Nein, überhaupt nicht. „Fleisch ist mein Gemüse“ war toll, „Fleckenteufel“ wurde auch 100.000-mal verkauft und dann haben „Der goldene Handschuh“ und „Ein Sommer in Niendorf“ gut funktioniert. Aber meine gesammelten Kolumnen in „Nach Notat zu Bett“ und „Junge rettet Freund aus Teich“ sind richtig gefloppt. Auch „Jürgen“ lief nur so lala, davon habe ich 30.000 verkauft. Das ist zwar nicht schlecht, sind aber eben keine 100.000.
Du liest selbst auch wahnsinnig viel, oder? Wie viele Bücher schaffst du so im Monat?
Im Jahr sind’s etwa 50. Das ist Teil meines Berufs. Ich wüsste gar nicht, wie das gehen sollte, wenn man nicht auch selbst zum Buch greift. Im Moment lese ich ausschließlich Bücher, die den Pulitzer-Preis bekommen haben. Das ist ein sehr sicheres Siegel für Qualität.
Ich bin der Meinung, dass man nur über das schreiben sollte, worin man sich auskennt
Heinz Strunk
Es gibt aber auch Künstler, nicht nur in der Literatur, die sich explizit nicht mit der Kunst anderer auseinandersetzen wollen, um ihre eigene Kunst nicht zu verfälschen. Du handhabst das offensichtlich anders.
Ja. Ich halte das auch für Unfug. Warum sollte man sich denn von seinem eigenen Kram abbringen lassen, wenn man andere Bücher liest oder Musik hört? Es ist doch eher so: Je mehr hochwertige Literatur ich lese, desto größer werden auch meine eigenen literarischen Möglichkeiten. Es gibt da einen schönen Satz von Botho Strauß, der mal gesagt hat: „Man schreibt unter der Aufsicht alles bisher Geschriebenen.“ Und das finde ich auch. Da reiht man sich irgendwie ein. Das hat rein gar nichts mit Copy & Paste zu tun.
„Kroketten: Das war für mich ein unbegreifliches Wunder.“
Dorothy Parker hat mal gesagt: „Ich hasse es zu schreiben, aber ich liebe es, geschrieben zu haben.“ Empfindest du das auch so?
Ja, das kann ich nachvollziehen. Die Arbeit an den ersten Fassungen ist immer extrem quälend. Aber am Ende, wenn es stilistisch schon auf einem passablen Niveau ist und nur noch um den Feinschliff geht, empfinde ich es immer als extrem beglückend. Am Anfang fühlt sich das häufig an wie ein Schwarzes Loch, das einem unablässig Energie absaugt, doch am Ende bekommt man diese Energie wieder zurück.
Du bist ja ein kleiner Tausendsassa und tanzt künstlerisch auf vielen verschiedenen Hochzeiten. Aber seit „Fleisch ist mein Gemüse“ nimmt man dich in erster Linie als Schriftsteller wahr. Entspricht das auch deiner Selbstwahrnehmung?
Man wird ja immer durch das wahrgenommen, womit man Erfolg hat. Dass ich lange als Humorist und Musiker gearbeitet habe, wissen ja nur Insider. Demnächst startet bei Prime Video die Serie „Last Exit Schinkenstraße“, in der ich sowohl als Schauspieler in Erscheinung trete, aber auch Musik gemacht und das Drehbuch geschrieben habe. Es geht darin um zwei Aussteiger, die als Schlagerstars am Ballermann noch mal das große Glück suchen. Es wird spannend zu sehen sein, ob ich dadurch anders wahrgenommen werde – wenn es denn erfolgreich wird. Das ist auf jeden Fall der massenkompatibelste Stoff, den ich je geschrieben habe.
Das erste Kapitel in deinem neuen Buch „Der gelbe Elefant“ trägt den Titel „Kroketten“ – ein Lebensmittel, das ich für eins der überschätztesten überhaupt halte. Wie stehst du kulinarisch dazu?
Meine ersten Kroketten habe ich auf der Goldenen Hochzeit meiner Großeltern gegessen, da war ich zwölf. Das war für mich ein unbegreifliches Wunder. So etwas hat es bei uns zu Hause nie gegeben, da gab es entweder Kartoffeln oder Reis. Heute ist meine Begeisterung dafür aber auch etwas abgeflacht.
„Ich plane sogar schon die nächsten sechs Jahre voraus“
Du kommst ursprünglich aus Bevensen, lebst aber nun schon eine ganze Weile in Hamburg. Welchen Einfluss hat die Stadt auf dich, insbesondere auf deinen literarischen Output?
Ich bin der Meinung, dass man nur über das schreiben sollte, worin man sich auskennt. Deswegen haben fast alle meine Bücher eine sehr nordische Verortung. In zwei Jahren wird aber eine Novelle von mir herauskommen, die heißt „Memories of Heidelberg“ – nach einem alten Schlager von Peggy March. Die ist auch schon geschrieben. Und die spielt, der Titel lässt es bereits vermuten, in Heidelberg.
Du weißt bereits, was du in zwei Jahren veröffentlichen wirst?
Ich plane sogar schon die nächsten sechs Jahre voraus – das ist sehr beruhigend. Ich weiß zwar noch nicht, was filmisch nun noch passiert, weil jetzt ja erst mal die Serie kommt. Und „Ein Sommer in Niendorf“ soll auch noch verfilmt werden, wofür ich auch das Drehbuch schreiben soll.
Wenn davon etwas gut läuft, könnte das deinen Sechsjahresplan zerschießen.
Ja, aber das macht nichts – schon gar nicht in der Literatur. Ich habe nur eine Sache, die sich nicht verschieben lässt: Am 20. November 2024 kommt mein Buch „Der Zauberberg 2“ heraus – das ist der Tag, an dem Thomas Manns „Der Zauberberg“ auf den Tag genau 100 Jahre alt wird. Und das ist natürlich ein Anlass, den man sich nicht entgehen lassen darf. Das Buch muss allerdings erst noch geschrieben werden.
Du hast damit noch gar nicht angefangen?
Ich weiß den groben Plot und habe mich zur Vorbereitung mal in ein Sanatorium einweisen lassen. Alle Vorarbeiten sind also erledigt. Aber schreiben muss ich noch.
Das Buch steht für sich
Heinz Strunk
Wie bist du auf die Idee gekommen, dich an eine Fortsetzung dieses deutschen Literaturklassikers zu wagen?
Die ist mir vor einer ganzen Weile mal in den Kopf geschossen, damals habe ich aber noch nicht die literarischen Fähigkeiten besessen. Aber als ich vor einem Jahr mitbekommen habe, dass „Der Zauberberg“ hundert wird, war mir klar: Ich muss das jetzt machen.
Wird deine Fortsetzung auch 1000 Seiten haben?
Eher 250, denke ich. Aber das wird trotzdem toll.
„Mir ist vollkommen egal, was ein Regisseur aus meinen Vorlagen macht“
Kommt es manchmal vor, dass du dich beim Schreiben selbst neu entdeckst?
Es mag Leute geben, die sich Sachen von der Seele schreiben, aber im Grunde genommen halte ich das für Quatsch. Was ich aber toll fand, um noch mal auf „Fleisch ist mein Gemüse“ zurückzukommen: Die Zeit, in der ich da erfolglos rumgemuckt habe, das waren für mich vollkommen verlorene Jahre. Aber dass ich aufgrund dieser sinnlosen Zeit dieses Buch habe machen können und diesen verlorenen Jahren dadurch nachträglich einen Sinn geben konnte, das ist toll. Dass ich mich nach dem Schreiben eines Buches aber mal besser gefühlt hätte, weil ich dadurch eine Krise in meinem Leben hätte lösen können, das ist noch nie vorgekommen.
Wir haben eben bereits über Verfilmungen gesprochen. Haderst du manchmal damit, wenn deine Geschichten für einen Film verändert werden und Figuren ein konkretes Gesicht bekommen?
Nein, es ist mir vollkommen egal, was ein Regisseur aus meinen Vorlagen macht. Wenn einem das Resultat am Ende gefällt, ist das natürlich toll, aber wenn nicht, juckt mich das nicht. Das Buch steht für sich. Und das wird auch nicht schlechter, weil die Verfilmung schlecht ist. Ich sehe das ganz pragmatisch: Ich kriege dafür gutes Geld. Und die Autoren, die sich lauthals darüber beklagen, dass der Film das nicht so wiedergibt, wie die sich das gedacht haben, die aber ihre 100.000 Euro dafür bekommen haben, die sollen die Schnauze halten. Ein Regisseur kauft den Stoff, und der kann daraus dann machen, was er will. So einfach ist das.
Das aktuelle Buch: Heinz Strunk: Der gelbe Elefant, Rowohlt, 208 Seiten, 22 Euro, ist im Juni 2023 erschienen. Live in Hamburg gibt es Heinz Strunk das nächste Mal am 25. September 2023 zu sehen. Dann ließt er um 20 Uhr in Alma Hoppes Lustspielhaus.
Dieser Artikel ist in einer ersten Version in der SZENE HAMBURG 08/2023 erschienen.