Chris: „Für mich ist Hinz&Kunzt Familie“

Chris ist Hinz&Künztler, als Stadtführer möchte er den Menschen die Innenstadt aus der Sicht der Wohnungslosen in Hamburg zeigen. Denn er kennt das Leben auf der Straße aus eigener Erfahrung – ein Gespräch über seinen Weg aus der Obdachlosigkeit und die Arbeit bei „Hinz&Kunzt“
Chris ist seit 1995 bei Hinz&Kunzt
Seit acht Jahren führt Chris Menschen bei dem etwas anderen Stadtrundgang von „Hinz&Kunzt“ durch die Hamburger Innenstadt (©Katharina Stertzenbach)

SZENE HAMBURG: Chris, seit wann bist du für „Hinz&Kunzt“ unterwegs?

Chris: Das ist schwierig, ich habe kein gutes Gedächtnis (lacht). Nein, Spaß, ich weiß es ganz genau: Seit dem 4. Oktober 1995. Damit bin ich jetzt seit 28 Jahren für „Hinz&Kunzt“ im Einsatz, also fast von Anfang an. Angefangen habe ich damals als als „Hinz&Kunzt“-Verkäufer in Itzehoe.

Wer darf „Hinz&Kunzt“ verkaufen?

Obdachlose und wohnungslose Menschen, die ihre Bedürftigkeit zum Beispiel durch eine Bescheinigung oder einen Eintrag im Personalausweis nachweisen können. Dazu kommen Menschen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden, auch sie können „Hinz&Kunzt“-Verkäufer, oder wie wir sie nennen, Hinz&Künztler, werden. Die Verkäufer kaufen das Magazin für 1,10 Euro beim Projekt und verkaufen es dann für 2,20 Euro auf der Straße weiter.

Ich habe gelernt, dass das Leben auch schön sein kann.

Hinz&Künztler Chris

Und was bedeutet „Hinz&Kunzt“ für dich?

Für mich ist „Hinz&Kunzt“ Familie. Ich bin Alkoholiker, ich habe bis zu drei Flaschen Wodka am Tag getrunken und sieben Jahre lange durchweg auf der Straße gelebt. Heute habe ich meinen Alkoholkonsum im Griff, dank „Hinz&Kunzt“. Denn durch den Verkauf der Magazine habe ich wieder Struktur in mein Leben bekommen. So habe ich es auch von der Straße weg geschafft und eine Wohnung gefunden.

„Ich dachte, ich werde versagen“

Was hast du mit der Unterstützung von „Hinz&Kunzt“ gelernt?

Ich habe gelernt, dass das Leben auch schön sein kann. In meiner Zeit als Verkäufer, habe ich mich in Ute verliebt. Sie war meine große Liebe und wir waren zehn Jahre zusammen. 2006 ist Ute an Krebs verstorben. Ich habe sie bis zu ihrem Tod gepflegt und dann ist sie in meinen Armen eingeschlafen. Das war ein erneuter Schicksalsschlag. Ohne die Unterstützung von „Hinz&Kunzt“ hätte ich wahrscheinlich wieder angefangen zu saufen. Gott sei Dank habe ich meine Struktur, die ich auch in dieser schweren Zeit aufrechterhalten konnte. Und jetzt gebe ich sogar seit acht Jahren die Stadtrundgänge von „Hinz&Kunzt“.

Wie bist du vom Verkauf zu den „Hinz&Kunzt“-Stadtführungen gekommen?

Ursprünglich komme ich aus dem Ruhrgebiet und bin daher von Haus aus ein Schnacker. Damals hat mich unsere Sozialarbeiterin Isabel angesprochen und meinte: ‚Chris da ist ein Arbeitsplatz frei, das wäre was für dich. Es geht um Stadtrundgänge und Öffentlichkeitsarbeit und du kannst doch reden.‘ Ich hatte da zuerst gar keinen Bock drauf, weil ich immer dachte: ich werde versagen, das hat keinen Zweck, ich bin Alkoholiker, das wird nicht klappen.

Und dann?

Ist mir Isabel ist mir zwei- bis dreimal pro Woche auf den Wecker gegangen. Da war dann ein guter Tag dabei, an dem ich gesagt habe: ‚Okay, damit du endlich Ruhe gibst, werde ich mir das mal angucken.‘ Nach dem ersten Rundgang habe ich mir dann noch keine Gedanken gemacht und nach dem zweiten und dritten Rundgang dachte ich mir so: ‚Oh, das macht ja Spaß‘ und so bin ich zur Öffentlichkeitsarbeit beziehungsweise zu den Stadtrundgängen gekommen.

Die Stadt aus der Sicht von Wohnungs- und Obdachlosen

Wie sieht eine „Hinz&Kunzt“-Stadtführung aus? Was erwartet einen auf dem Rundgang?

Auf der Tour zeige ich mehrere soziale Einrichtungen für Wohnungs- und Obdachlose, die der Normalbürger so gar nicht kennt. Das sind zum Beispiel Tagesanlaufstellen, Schlafplätze, Drogenberatungsstellen und vieles mehr. Aber halt nicht die typischen Orte, die im Hamburg-Reiseführer stehen. Kern des Rundgangs ist die Innenstadt beziehungsweise das Münzviertel. Die Tour endet dann meistens bei der Zentralbibliothek am Hühnerposten oder hier im Hinz&Kunzt-Haus. Da erzähle ich dann auch mehr über das Magazin und zum Schluss dann auch noch mal von mir und meinem Leben. Das alles dauert etwa zwei Stunden.

Nachdem Erlebnis war ich richtig stolz.

Hinz&Künztler Chris

Wer kommt zu den Stadtführungen?

Von FSJlern (Teilnehmenden eines Freiwilliges Soziales Jahr, Anm. d. Red.) über Auszubildene, Studenten bis hin zu Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten. Dazu kommen bei den Rundgängen auch Menschen aus ganz anderen Welten: Leute von der Bundeswehr, aus der Polizeiakademie, Menschen, die für Sicherheitsdienste arbeiten und Rechtsanwaltskanzleien. Letztendlich kommen zu mir Menschen aus allen Schichten und Lebensbereichen. Das sind nicht nur Menschen aus Hamburg, sondern auch Touristen, die die Stadt von einer anderen Seite kennenlernen wollen.

Ein Stadtrundgang mit Wirkung

Termine für die Stadtrundgänge von „Hinz&Kunzt“ kann man online buchen. Teilnehmende sollten mindestens 17 Jahre alt sein. 

Wie oft machst du die Touren in der Woche?

Am Tag gebe ich meistens zwei Touren. Als wir noch zu zweit gearbeitet haben waren es drei. Allerdings mache ich die Rundgänge seit vier Jahren allein, weil die meisten es nicht schaffen. Viele Menschen, die obdach- oder wohnungslos sind, haben Depressionen. Das ist meist die Vorstufe zur Obdachlosigkeit. Und dann kommt mit oder durch die psychische Erkrankung noch Suchtverhalten dazu. Mit diesen Krankheiten packen es die Leute dann nicht regelmäßig zu arbeiten, leider. Ich hätte zum Beispiel gerne eine Frau in meinem Team, die mich bei den Touren begleitet. Eine Frau hat anders auf der Straße gelebt als ein Mann und wenn sie den Rundgang führt, kann sie so auch noch einmal zeigen, wie Frauen in Obdachlosigkeit leben. Das ist ein wichtiges Thema, denn wohnungslose Frauen sind meist nicht so sichtbar.

Was ist deine Lieblingserinnerung an die Stadtrundgänge?

Ich habe mal eine Tour für Auszubildene, die kurz vor der Prüfung im Einzelhandel standen, gegeben. Da waren drei Vollchaoten dabei. Die haben sich während des Rundgangs richtig danebenbenommen. Sie haben gekifft, gesoffen und hatten eine große Klappe. Ich musste sie mehrmals ermahnen, bis sie dann für den Rest der Tour ruhig geblieben sind. Drei Monate nach der Tour sind alle drei zu mir gekommen mit einer Spende für „Hinz&Kunzt“ und jeweils drei Briefen. In denen haben sie mir mitgeteilt, dass sie ihre Ausbildungen abgeschlossen haben. Und alle drei haben zu mir gesagt, dass sie das Kiffen und Saufen aufgehört haben und dass sie ohne mich nicht zur Prüfung gegangen wären. Nachdem Erlebnis war ich richtig stolz. Genau deswegen mache ich diesen Job und ich mache das ganz schön gut.

Das Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ feiert im November 2023 30. Geburtstag und hat sich dazu ein großes Jubiläumsprogramm mit dem Höhepunkt, der Jubiläumsgala „Glitzer & Beton“ am 10. November 2023 um 17:30 Uhr im Uebel & Gefährlich, geschenkt.

„Hinz&Kunzt“: Seit 30 Jahren Brückenbauer

Anlässlich des 30. Geburtstags von „Hinz&Kunzt“ hat SZENE HAMBURG mit der Redaktion und dem Geschäftsführer über Menschen, Geschichten und die Zukunft gesprochen.

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