Die Filme und Installationen der britisch-nigerianischen Künstlerin führen in die Welt hinaus – und in die Billstraße in Rothenburgsort. Wir haben sie in ihrem Hamburger Atelier getroffen
Text & Interview: Karin Schulze
Weil sie keinen Topf zur Hand hat, erhitzt Karimah Ashadu beim Interview in ihrem Hamburger Atelier die Kaffeemilch kurzerhand in einer kleinen Pfanne. Kein Wunder eigentlich. Schließlich geht es auch in den Arbeiten der Künstlerin um Möglichkeiten, um Selbstorganisation und um kreative Ansätze, die Widrigkeiten des Lebens zu meistern.
Im Zentrum ihrer äußerst reflektiert installierten Filme stehen die Bedingungen von Arbeit in Nigeria und Westafrika. Ihr Film „Brown Goods“, der mit Unterstützung der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein entstand, lässt den Betrachter tief eintauchen in die Beziehungen zwischen einer Hamburger Straße und Nigeria. Neben etlichen Preisen wie dem ars viva 2020, erhielt Ashadu das Reisestipendium von Neue Kunst in Hamburg. Das MoMA hat vier ihrer Werke angekauft, und 2021 stellt sie in der Wiener Secession aus.
SZENE HAMBURG: Als ich im Kunstverein die ersten Bilder von „Brown Goods“ sah, war ich sofort total gebannt. Wie sind Sie auf die Billstraße und den Protagonisten gestoßen, der von seiner Herkunft und den Bedingungen seines deutsch-nigerianischen Import-Export-Handels erzählt?
Karimah Ashadu: Auf einer Zugfahrt fiel mir kurz vor dem Hauptbahnhof ein interessant aussehendes Gewerbegebiet auf. So kam ich auf die Billstraße und die vielen afrikanischen und anderen Migranten, die dort Altwarenhandel betreiben. Ich habe wochenlang mit ihnen geredet und wollte eigentlich vier Leute ihre Geschichte erzählen lassen. Weil ich mich aber parallel um die Finanzierung kümmern musste, verging viel Zeit. Am Ende wollten drei nicht mehr mitmachen. So blieb nur Emeka.
Letztlich ein glücklicher Zufall, oder?
Es war Glück im Unglück. Emekas Geschichte ist so stark, dass sie unbedingt allein stehen kann. Manchmal mische ich dokumentarische und fiktionale Anteile. Nicht so bei „Brown Goods“. Um den Film aber nicht zu direkt, zu didaktisch werden zu lassen, habe ich versucht, seine Worte nicht zu bebildern, sondern eine symbolische Ebene ins Spiel zu bringen.
Wie hat Emeka auf die Arbeit reagiert?
Ich habe ihn zur Ausstellungseröffnung eingeladen, aber er ist nicht gekommen. Doch wie so viele afrikanische Immigranten ist er ein gebildeter Mann und als ich ihn einmal fragte, warum er so offen zu mir sei, war seine Antwort: Er vertraue mir und außerdem sei es wichtig, dass ich als Künstlerin – ähnlich einer Journalistin – seine Geschichte erzähle, damit sie in der Welt ist.
Sie zeigen zum Film Skulpturen aus Bestandteilen alter Autos, die wie flirrende Schmetterlinge auf der weißen Wand sitzen.
Für mich sind diese Objekte eine Erweiterung des Films: eine Geste, die von seinen Bildern inspiriert ist. Eine Windschutzscheibe etwa sieht im Kunstkontext nicht mehr wie das Fenster eines Autos aus – zumindest wenn die Installation die Leichtigkeit des Glases betont und Verdoppelung sowie Symmetrie ins Spiel bringt.
Die Skulpturen wirken schlicht und elegant, aber sie nehmen sich nicht zu ernst. Denn die Wertsteigerung durch den Kunst kontext spiegelt die andere Aufwertung, die der „Schrott“ erfährt, den Emeka nach Nigeria exportiert.
Die Skulpturen erweitern aber auch den Raum des Films in den des Betrachters.
Genau. Meine Arbeiten besetzen öfter den Raum zwischen dem Betrachter und dem Objekt, den viele gar nicht wahrnehmen. Aber vor allem nutze ich den Raum vor der Kamera. Ich habe zusätzlich zum Bachelor in bildender Kunst am Chelsea College of Art and Design den Master in räumlicher Gestaltung gemacht. Damals habe ich mit Filmen begonnen, in denen die Räumlichkeit eine besondere Rolle spielt.
Ihr Film „Makoko Sawmill“ zeigt Menschen, die in einer Pfahlbauten-Siedlung in der Lagune von Lagos von Holzverarbeitung leben und arbeiten. In den gefilmten Raum schieben sich dabei rätselhafte blaue Balken. Warum?
Schon vor den Aufnahmen wusste ich: Ich brauche Stäbe, die ein ganz bestimmtes Blau haben müssen.
Ein Blau, das dort vor Ort nicht vorkommt?
Vielleicht. Manchmal sind solche Ideen rein intuitiv. Ich habe ein Stativ gebaut, auf dem sich diese Stäbe von links nach rechts bewegen können. Und die Kamera sitzt zwischen ihnen. So laufen die Balken durch das Bild, als versuchten sie zu verstehen, was sich in Makoko abspielt.
In „Destiny“ ist die Hauptfigur ein selbstständiger Sägeblattschleifer. Es geht bei Ihren Arbeiten oft um Autonomie und Selbstorganisation. Sie untersuchen die soziopolitischen Bedingungen von Arbeit also eher unter dem Aspekt der Möglichkeit als dem der Kritik.
Unbedingt. Es geht um Menschen oder Gemeinschaften, die ohne staatliche Unterstützung selbständig arbeiten und ihren Weg finden. Es geht um den Spirit, den wir brauchen, um zu überleben und ein Gewerbe zu betreiben, das an die Kinder weitergegeben werden kann.
Es geht um diese Art von Arbeit speziell in einem sich schnell entwickelnden Land wie Nigeria. Immer wenn ich dort bin, sehe ich neue Wege, auf denen sich die Menschen zu emanzipieren suchen – und das auch vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte.
Letztere berührt auch das Projekt, das Sie mithilfe des Reisestipendiums von Neue Kunst in Hamburg unternehmen?
Genau. Auf meiner nächsten Reise nach Nigeria besuche ich das Jos Plateau, wo früher in großem Maßstab Zinn abgebaut wurde. Als sich die Regierung und die Briten zurückzogen, konnten die Menschen die Maschinen nicht erhalten. Aber weil sie Geld ver dienen mussten, haben sie einfach wei ter gemacht. Dabei haben sie das Ökosystem zerstört. Und es gab Tote. Ich möchte sehen, was dort heute passiert.
„Für mich steckt das Schöne im Alltäglichsten“
Sie planen aber auch einen Spielfilm?
Die Idee dafür habe ich schon seit vier Jahren. Ich möchte im Senegal drehen. Es geht um einen jungen Mann, der dort an der Küste arbeitet. Es soll ein experimenteller Film werden, bei dem sich Dokumentation und Fiktion mischen.
Das Drehbuch werde ich voraussichtlich ab September in Paris schreiben – im Rahmen eines Stipendiums des Columbia Institute for Ideas & Imagination. Danach geht es an die Finanzierung. Das heißt: Leute finden, die verstehen, was ich bisher gemacht habe und was ich machen könnte, wenn ich die Mittel hätte.
Ihre Bildwelten sind auffällig schön. Welche Rolle spielt Schönheit?
Für mich steckt das Schöne im Alltäglichsten: Dieses unglaublich intensive Sonnenlicht etwa, das sich in Ländern wie Nigeria über alles legt. Es kann aber auch die Hand eines Mannes sein, der viel arbeitet – wie in „Power Man“. Ich denke zuerst an das Material, mit dem ich arbeiten will, ich respektiere dann seine Form, daraus ergibt sich manchmal Schönheit.
Ihre Protagonisten sind meistens Männer. Warum?
In „Red Gold“ kommen auch Frauen vor. Aber es stimmt schon. Vielleicht liegt es daran, dass ich das Bild der nigerianischen Gesellschaft wieder geben möchte, und die ist stark patriarchalisch.
Gibt es eine Institution in Nigeria, in der Sie Ihre Arbeiten schon gezeigt haben oder zeigen möchten?
Bisher nicht. Für mich ist der Kontext der Kunstgeschichte wichtig, damit meine Arbeiten so gesehen werden, wie ich es richtig finde. Die Kunstszene in Nigeria ist noch sehr jung. Für Malerei und Zeichnung gibt es eine lange Vorgeschichte, nicht aber für neue Medien und Bewegtbilder.
Eigentlich sollten Karimah Ashadus Arbeiten Brown Goods, Destiny und Power Man noch bis zum 17.5. in der Ausstellung ars viva 20 im Kunst- verein zu sehen sein. Aufgrund der Covid-19-Pandemie ist das Ausstel- lungshaus jedoch für unbestimmte Zeit geschlossen
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, April 2020. Das Magazin ist seit dem 28. März 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!