Vor 25 Jahren startete Intendant Frank Thannhäuser seine künstlerische Vision in den Räumen eines ehemaligen Pornokinos. So war’s und so wird’s beim Imperial Theater
Interview: Karin Jirsak
Fotos: delovska.de
SZENE HAMBURG: Frank, ein Vierteljahrhundert Theater auf dem Kiez – da darf man schon mal ein bisschen nostalgisch werden. Erzähl doch mal ein bisschen über die Anfangstage.
Frank Thannhäuser: Anfang der 1990er Jahre spielten wir als deutsche Erstaufführung „Grease“ in der ehemaligen Bowlingbahn am Anfang der Reeperbahn, wo heute die Tanzenden Türme stehen. Dort war auch der Mojo Club und der „Quatsch Comedy Club“ beheimatet. Als der Abriss kurz bevor stand, mussten wir neue Räumlichkeiten suchen und wurden gleich auf der anderen Straßenseite fündig: Hamburgs größtes Pornokino war schon seit Monaten geschlossen, die Rollos waren unten.
Ich bin dann zu der Besitzerin des Hotels gestiefelt und hab sie gefragt, ob ich da mal reingucken darf. Die hat sich wohl auch gedacht: „Was kommt denn da jetzt auf mich zu?“ Trotzdem ist sie dann mit mir runtergegangen, und da war alles ganz heruntergekommen, grottig und braun, so wie man es in den 70er Jahren gern hatte. Wir haben dann aber beschlossen, die Spielstätte anzumieten und zum Musiktheater umzubauen.
Wir spielten „Grease“ weiter und später auch weitere Musicals wie „Kleiner Horror laden“ oder „Rocky Horror Show“. Doch Ende der 90er Jahre wurde es wegen der hohen Produktionskosten finanziell sehr eng für uns als kleines Musiktheater. Wir brauchten also etwas Neues. Dann kamen wir auf die Idee, spannende Krimis auf die Bühne zu bringen und waren dann nicht mehr ein Musiktheater unter vielen, sondern Hamburgs einziges Krimi-Theater. Das hat uns allen sehr gut getan.
Sieht man. Ist denn aus den alten Pornokino-Tagen noch irgendetwas hier erhalten geblieben an Interieur?
Man könnte denken, unsere original 50er-Jahre-Sputnik-Lampen – aber die haben wir einem Schuhladen in Remscheid abgekauft. Tatsächlich mussten wir hier sozusagen jeden Stein umdrehen. Auch die Stühle wurde gegen eine gebrauchte Theaterbestuhlung aus dem Planetarium Jena getauscht …
25 Jahre auf der Reeperbahn, gab’s da nicht mal Stress?
Bis auf die Sprengung des Nachbarhauses in unserem Gründungsjahr 1994, tatsächlich gar nicht! Wir sind ja hier ziemlich am Anfang von der Reeperbahn, da haben wir das gute Ende von der Wurst erwischt.
Stichwort Jubiläumsinszenierung: Warum habt ihr euch für „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ entschieden?
„M“ war schon länger ein Wunschkind. Der Stoff ist zeitlos, finde ich. So lange es Kinder gibt, sorgt man sich um sie und gerät aus der Fassung, wenn irgendetwas passiert. Im Kern geht es um das Menschliche. Wozu sind Leute in Extremsituationen fähig? Um das zu erzählen, helfen auch die Songs im Stück: Es funktioniert besser, über innere Abläufe zu singen, als darüber zu reden. Nebenbei war das auch unser Wunsch fürs Jubiläum: die Anfänge des Musiktheaters mit dem Krimi zusammenzubringen.
Wann und wo spielt das Stück?
In den 20ern, wie der Fritz-Lang-Film. Wir benutzen zu 70 Prozent das Originaldrehbuch. Den Stoff in die heutige Zeit zu übertragen, da hätte es zu viele Stolpersteine gegeben. Die Kommunikation funktionierte ja ganz anders – keine Handys, kein Internet – und die gesellschaftlichen Hierarchien waren andere.
Den Schauplatz haben wir allerdings von Berlin nach Hamburg verlegt. Hier hätte so was ja genauso gut passieren können, da muss man nicht so tun, als wäre man in Berlin.
„Tornado in Beige“
Wie sieht das dann hier auf der Bühne so aus?
Wir befinden uns in einer alten Fabrikhalle. Überall ist Gebälk und hinten auf die Wand ist eine alte Reklame gemalt. Es ist überall Mauerstein zu sehen. Es gibt verschiebbare Treppen … Alles ist gebraucht, alt und knarzig. Die Kostüme sind tatsächlich alle im 20er-, 30er-Jahre-Stil gehalten. Die Kulisse ist eher bräunlichgräulich. Die Kostüme sind die Farbkleckse darin, die sind sehr poppig.
Du zeichnest ja auch für die Kostüme verantwortlich. Gab es da eins, das Du als Erstes im Kopf hattest?
Es gibt dieses nervig-komische Ehepaar, die Kubitzkes. Die sind Denunzianten und wollen unbedingt die hohe Belohnung einstreichen, die für die Ergreifung des Mörders ausgesetzt ist. Beide sind im Partnerlook und tragen ein beiges Karo. „Tornado in Beige“, nennt meine Kollegin die beiden immer.
Gab es in 25 Jahren so was wie ein Lieblingskostüm, oder auch mal eins, das besonders schwierig war?
Die Schurken sind immer eine Herausforderung. Das ist eine echte Gratwanderung: Sieht das jetzt gefährlich aus oder albern? Gerade bei Edgar Wallace zum Beispiel, wo man Figuren hat wie „Der Frosch mit der Maske“.
Der hatte bei uns eine Gasmaske auf und einen bodenlangen Kroko-Imitat-Ledermantel. Der glänzte und schwang so richtig schön – das sah toll aus in den Kampfszenen! Dazu gab es einen Gürtel mit dem Froschlogo vorne drauf, daran hingen Glaskolben mit Flüssigkeiten und ein Verzerr-Lautsprecher. Fast wie aus einem Marvel-Comic.
Wie geht’s nach dem Jubiläum weiter?
Nach „M“ kommt ab Herbst unser erster Edgar-Allan-Poe-Klassiker „Der Untergang des Hauses Usher“ und ab Frühjahr 2020 „Die Tür mit den sieben Schlössern“ von Edgar Wallace. Im Herbst 2021 will ich mir einen alten Traum erfüllen und „Dracula“ machen. Das ist mal was ganz anderes, aber das wird auch sehr schön werden.
Ihr gehört ja zu den Erstunterzeichnern der Hamburger „Erklärung der Vielen“, die sich gegen rechtspopulistische Einflussnahme auf den Kulturbetrieb ausspricht. Was hat euch dazu bewogen?
Ich bin kein politischer Mensch und wir machen hier „nur“ Unterhaltung. Aber für mich ist es grundsätzlich unvorstellbar, dass mir jemand sagt, das und das darfst du jetzt nicht mehr zeigen. Bei uns ist es zwar noch nicht so, es schadet aber auch nicht, hier ein bisschen übervorsichtig zu sein. Das Theater muss ein Feld für freie Meinungsäußerung bleiben, und das müssen wir schützen.
Als „M“ geschrieben wurde, standen wir an einer Schwelle, an der wir heute vielleicht wieder stehen. „M“ führt ja auch sehr deutlich vor Augen, was passiert, wenn Leute mit Populismus konfrontiert werden, wie schnell sich Strömungen bilden, die dann nicht mehr aufzuhalten sind. Da muss man sich einfach positionieren und dagegen rudern.
Imperial Theater: Reeperbahn 5 (St. Pauli)
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG, August 2019. Titelthema: Wie sozial ist Hamburg? Das Magazin ist seit dem 27. Juli 2019 im Handel und zeitlos im Online Shop oder als ePaper erhältlich!