Ausstellung: Die Welt in Auflösung im Kunstverein

Wie die Erde von Ausbeutung, Globalisierung und digitaler Wirklichkeit durchzogen ist und unser Verhältnis zu Orten verändert, zeigt „In and Out of Place“ in packenden Arbeiten im Kunstverein
In and Out of Place. Land after Information 1992–2024, Installationsansicht (©Edward Greiner)

Die Inszenierung ist so konzentriert wie die Schau selbst und führt durch dunkel abgeklebte Eingangstüren in eine Blackbox, in der sich Abgründe auftun. In der ein unendlicher Kreislauf der Ausbeutung rotiert, befeuert durch die Globalisierung, durch Gier und jetzt auch noch durch die „zunehmende Last der digitalen Cloud, den unersättlichen Bedarf bei der Produktion von Mikrochips nach Mineralien und den endlosen Strecken, die Unterseekabel zurücklegen,“ wie es von den Kuratoren Milan Ther und Dr. Martin Karcher heißt.

Und so landet man im Foyer direkt in der Tiefe eines schwarzen Glas-Monolithen, in dem die aktuelle Videoarbeit von Emmanuel Van der Auwera von den Voraussetzungen und Folgen Künstlicher Intelligenz erzählt. Sie holt an die Oberfläche, was sonst im Verborgenen bleibt – und das mit KI selbst. Mit ihrer Hilfe verwandelt der Belgier Berichte eines Arbeiters aus der chinesischen Bayan-Obo-Mine in einen KI-generierten Film. In Stil einer Dokumentation erzählt er von dessen Alltag in der Mine, in der seltene Erden geschürft werden und visualisiert auf diese Weise nicht nur, welche Ausbeutung mit KI verbunden ist, sondern auch, dass wir uns längst in einer Zeit befinden, in der Künstliche Intelligenz eine neue Wirklichkeit schafft, die nicht mehr von der Realität zu unterscheiden ist.

Mit einer Mono-Ansicht auf KI gibt sich Van der Auwera aber nicht zufrieden. Welche Möglichkeiten generative KI bietet, fächert er im Gespräch mit einem KI-Avatar auf und zeigt zudem Ruinen in unzulänglichen Kriegsgebieten, die erst durch KI sichtbar gemacht werden können.

„In and Out of Place“: Die Welt als kapitalistisches Schlachtfeld

Emmanuel Van der Auwera: Video-Sculpture XXX (The Gospel), 2024, Installationsansicht (©Edward Greiner)

Der Raum zur Diskussion ist somit eröffnet. Und diese findet im Kunstverein auf unterschiedlichste Weise statt. In Installationen, in Textil, Malerei und Audio, in zahlreichen Videos und stark abstrahiert, in einer fast zweistündigen Dokumentation oder einer Bodenarbeit aus Ton. Den hat Phoebe Collings-James in der Sichtachse der KI-Arbeit verteilt und lädt zum aufmerksamen Gehen über ihre Arbeit ein, die mit Schrift, mit Bildern und Spuren durchzogen ist, die zum Teil durch Sgraffito entstanden, einer Kratztechnik aus der Renaissance.

Auf der dunklen Treppe, die schließlich in den ersten Stock führt, springt beim Annähern ein Projektor an, der flackernde Bilder von Amy Lien und Enzo Camacho an die Wand wirft. Sie interpretieren ein chinesisches Ritual neu, bei dem sogenanntes Höllen- und Geistergeld verbrannt wird, um Verstorbenen im Jenseits Wohlstand zu sichern.

Textilarbeiten des Philippiners Cian Dayrit hingegen erinnern daran, wie durch den Import der Abacá-Palme in spanische Kolonien erste Monokulturen entstanden und den Nahrungsanbau der Bevölkerung bedrohten, und am Ende der Ausstellungshalle führt eine Audio-In­stallation von Giorgos Tigkas mitten hinein in ein Drama. Setzt man sich einen der Kopfhörer auf, wird man Zeuge der Telefonverhandlungen, die ein griechischer Reeder mit somalischen Piraten und dem Kapitän der MV Centauri führte. Mit Raketenwerfern im Anschlag wurde das Schiff im September 2018 auf dem Weg nach Mombasa entführt. Bekräftigt der Verhandler in den heimlich aufgezeichneten Gesprächen gegenüber dem Kapitän seine Sorge über das Wohlbefinden der 27 Mann starken Crew, lässt er die Piraten wissen, dass die geforderte Summe von drei Millionen Dollar viel zu hoch sei.

Ausstellung zeigt ein „Land after Information“

Phoebe Collings-James: red earth, blood earth, blood brother earth [kick dirt], 2024 (©Raphael Janzer)

Wie einschneidend die Auswirkungen der Globalisierung auf den Weltmeeren sind, zeigt auch der gefeierte, fast zweistündige Film „The Forgotten Space“. Er begleitet Matrosen, die unter Billigflagge segeln an Bord und chinesische Fashion-Arbeiterinnen durch ihren tristen Alltag, lässt gut ausgebildete Philippinerinnen von ihrem ewigen Putzdienst in Hongkong erzählen – und beleuchtet, dass der Kapitalismus von Umweltzerstörung und von Menschen lebt, die bereit sind, ihre Heimat zu verlassen, um unter unwürdigen Bedingungen bis zu 15 Stunden täglich zu arbeiten. Und das alles, ohne sich wehren zu können.

An einen, der das aber getan hat, erinnert Dineo Seshee Bopape. Und das in 941 Bildern, die mit Linien überzogen sind, die wie Flüsse und wie Landschaften wirken, die ihre Spuren auf dem weißen Papier hinterlassen. Nachempfunden aber sind sie den grausamen Wunden eines Sklaven namens Peter und mit Erde und Wasser gemalt, die aus zentralen Orten des Sklavenhandels wie dem Achimota Forest in Ghana oder dem Mississippi stammen.

Das komplexe und bewegende Geflecht, das die südafrikanische Künstlerin mit ihren Linien webt, ist einer der zahlreichen Höhepunkte der Schau, die ein „Land after Information“ skizziert. Dabei trifft Haptisches auf perfekt generierte Wirklichkeit und Kolonialgeschichte auf Hyperkapitalismus. Der Blick auf eine Welt wird eröffnet, die Ort von Geschichte, ausgebeutete Ressource und kapitalistisches Schlachtfeld ist. Und die sich mithilfe der seltenen Erden, die immer tiefer unter ihrer Oberfläche geschürft werden, in der Entmaterialisierung des digitalen Zeitalters langsam verflüchtigt.

In and Out of Place. Land after Information 1992-2024, Kunstverein, bis 12. Januar 2025; Diskussion: Energielandschaften zwischen Gestaltung und Politik am 29. Oktober 2024

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 10/2024 erschienen. 

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