Sandra Hüller: „Es fällt mir nicht schwer eine Rolle zu spielen“

Sandra Hüller wurde auf dem diesjährigen Filmfest Hamburg mit dem Douglas Sirk Preis ausgezeichnet. Nun flimmert ihr neuer Film „Anatomie eines Falls“ über die Leinwände. Im Interview verrät sie, welche Rolle die Sprache in ihrer Vorbereitung spielte und wieso es nicht entscheidend ist, ob ihr Charakter schuldig ist oder nicht

Sandra Hüller wurde 2023 mit dem Douglas Sirk Preis des Filmfest Hamburg ausgezeichnet (©Heike Blenk)

SZENE HAMBURG: Sandra Hüller, „Anatomie eines Falls“ ist ein emotional aufreibender Film, in dem Sie in fast jeder Szene zu sehen sind. Stellte die Rolle für Sie eine große Herausforderung dar?

Sandra Hüller: Ich habe schon häufig gesagt, dass ich die Arbeit an Filmen nicht als riesige Herausforderung empfinde. Es fällt mir nicht sonderlich schwer, eine Rolle vor der Kamera zu spielen; für mich ist das eher eine sehr privilegierte, komfortable Situation. Oft ist es geradezu luxuriös, weil alle sich gut um einen kümmern und jeder weiß, worauf es ankommt. Schwierig finde ich es nur, wenn Leute sich am Set danebenbenehmen oder jemand zu Dingen genötigt wird, die sie oder er nicht machen möchte. Aber im Idealfall ist das Drehen etwas, das mir leichtfällt. Wenn es da besondere Herausforderungen gab, dann waren das im Fall von „Anatomie eines Falls“ höchstens linguistische. Denn natürlich musste ich mich sprachlich ein wenig vorbereiten und mein Französisch aufbessern.

Die Arbeit am Text ist für jemanden, der wie Sie vom Theater kommt, natürlich essenziell. Fühlen Sie sich in anderen Sprachen inzwischen genauso zu Hause wie im Deutschen?

Auf Englisch zu drehen, fällt mir inzwischen recht leicht – und auf Französisch wird das hoffentlich noch. Ich liebe es, die Sprache zu sprechen, und es gibt sehr viele französische Schauspielerinnen und Schauspieler, die ich sehr bewundere. Natürlich bedarf es, wie gesagt, einer gewissen Vorbereitung, wenn ich in einer anderen Sprache spiele. Auf Deutsch muss ich über gewisse Dinge nicht nachdenken. Aber ich fühle mich nicht weniger wohl, wenn ich nicht meine Muttersprache spreche. Und letztlich ist meine Arbeitsweise immer die gleiche, denn in jeder Sprache geht es darum, dass ich zuerst verstehen muss, warum eine Figur etwas sagt, dann, wie sie es sagt, und schließlich, wie ich das zum Ausdruck bringen kann.

Sandra Hüller über Mehrsprachigkeit und Schuld

Im Fall von „Anatomie eines Falls“ ist die Mehrsprachigkeit natürlich auch Teil der Figur und der Geschichte, schließlich spielen Sie eine Deutsche, die in Frankreich lebt und mit ihrem Mann Englisch spricht …

Sie war auch Teil des Arbeitsprozesses, der dadurch besonders interessant war. Die Regisseurin Justine Triet spricht natürlich auch Englisch, aber so richtig wohl fühlt sie sich in der Sprache nicht. Genauso wie ich eben nicht unbedingt wirklich komplexe Gespräche auf Französisch führe. Deswegen ging es sprachlich am Set immer wieder kreuz und quer, mal in der einen, dann wieder in der anderen Sprache. Und wenn ich die anderen hochnehmen wollte, musste ich nur Deutsch sprechen, denn das verstand niemand.

Warum wir wen be- oder verurteilen, ist für die Geschichte viel wichtiger als eine Antwort darauf, ob meine Figur ihren Mann nun tatsächlich getötet hat.

Sandra Hüller

Ihre Figur in dem Film wird verdächtigt, für den Tod ihres Mannes verantwortlich zu sein. Als Zuschauer erfährt man viele Wahrheiten, aber nicht die eine endgültige, nicht wahr?

Justine wollte nicht, dass es nur um die Frage geht, ob sie schuldig ist oder nicht. Viel wichtiger ist es, was die Menschen wahr- und annehmen und welche Schlüsse sie aus meist ganz oberflächlichen Beobachtungen ziehen. Macht sich eine Frau schuldig, weil sie mit ihrem Kind distanzierter umgeht, als man das von anderen kennt? Weil sie Erfolg hat? Weil sie ihre Sexualität frei auslebt? Warum wir wen be- oder verurteilen, ist für die Geschichte viel wichtiger als eine Antwort darauf, ob meine Figur ihren Mann nun tatsächlich getötet hat.

Anatomie eines Falls“ ist seit dem 02. November 2023 im Kino.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 11/2023 erschienen.

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