Kolumne: 100 Euro. Jannes Vahl hat versucht nur so viel Geld auszugeben, wie einem Hartz IV-Empfänger wöchentlich zur Verfügung steht. Ein Erfahrungsbericht
100 Euro. So viel steht einem allein stehendem Hartz IV-Empfänger in einer Woche zu. 404 Euro im Monat, um genau zu sein. Ich hatte in der vergangenen Woche Urlaub und bin heimlich daheim geblieben. (Wer auch immer Donnerstag um 11.30 Uhr geklingelt hat: Ich war nicht da.) Und ich wollte in der Woche nicht mehr ausgeben. Abzüglich der Kosten, die der Staat nicht trägt. Das hört ja bei Miete, Strom und Wasser bald schon auf. Einhundert Euro klingt jetzt erstmal gar nicht soo wenig, auch wenn mein Bankberater, bei uns schon eher Bankfreund, mir zum Beispiel sagt, dass ich mit mindestens sechshundert Euro Unterhaltungskosten im Monat rechnen soll.
Unterhaltung. Darin steckt schon ein wesentliches Problem. Quasi jede Beschäftigung muss günstig sein. Und günstig ist leider allzuoft billig. Darum funktionieren Saturn, Bild und Co. auch so gut. Ich habe erstmal gerechnet, was ich noch brauche (von einem Rumcola bis zum Waschsalon) und mir dann meinen Schrank gefüllt:
1 Vollkornbrot
6 Bio-Eier
1 Bio-Wurst
1 Gurke, für Bio reichte das Geld beim Einkauf nicht mehr. Ich dachte, wenn dann mache ich da Abstriche und so gab es eine prächtige Sommergurke aus Holland.
1 Bio-O-Saft
1 Elbgold Kaffee (Luxus, ca. 125 Gramm „Nobile“ für den Herdkocher)
1 Bio-Milch
1 Vollkornnudeln
1 Bio-Pesto
1 Cola
1 Limonade
Was man schnell merkt: Man schaut einfach automatisch immer und überall nach dem Preis. Angebote in der Hauspost sind plötzlich kein Spam mehr, sondern Optionen. Was brauche ich wirklich? Was möchte ich wirklich? Was gönne ich mir? Und das ist ja beinahe alles: Theater, Kino, Popcorn im Kino, Cola im Kino statt mitgebrachte, Bier zum Fußball, Eintritte, Geld für Bettler, Tageszeiten, Magazine, Konzert, Club, Falafel, Dürüm, Franzbrötchen, Mate, …
Ich habe zum Ende Geld für Falafel mit Groschen und Pfand zusammengeklaubt. Unangenehm. Wie sich zum Fußball nicht das kaufen zu können, was man eigentlich haben wollen würde. Und ich war froh über alte Magazine im Treppenhaus. Komisch, denn im Verhältnis zum Internet ist ein alter „Stern“ gefühlt noch abgelaufener.
Was ich gemerkt habe: Geflüchtete Menschen haben mir nichts weggenommen. Und: Man beschäftigt sich mit ganz anderen Dingen, probiert das mal aus. Was bleibt, sind unglaublich viele Fragen. Wo beginnt Neid? Wie soll man so überhaupt schön wohnen? Wie sich was Schönes anschaffen? Arbeiten gehen, klar. Konnte meine Mutter aber zum Beispiel auch nicht, als sie alleine mit uns dreien war. Da hat sie uns ab und an alte „Micky Maus“-Hefte aus Papiercontainern mitgebracht. Der Mensch kommt immer irgendwie durch. Solange er Möglichkeiten hat.
Habt einen schönen Start in die Woche, wir lesen uns Sonntag wieder. Jannes
Who the fuck is Jannes?
Jannes Vahl hat den gemeinnützigen Verein Clubkinder e.V. gegründet. Mit Konzerten, Partys oder Events sammelt er Spenden für soziale Projekte in Hamburg, beispielsweise mit der Tagebuchlesung. Außerdem leitet er die Kreativagentur Polycore. Mit seinem Compagnon Joko setzt er hier Projekte um. Jannes Vahl hat 5.000 Facebookfreunde, trinkt Craft-Bier, mag die Band Pearl Jam und versendet digitale Herzchen. In seiner neuen Kolumne berichtet er jeden Sonntag über ein Hamburger Thema, das ihn in der letzten Woche beschäftigt hat.