SZENE HAMBURG: Jasmin, in Anbetracht dessen was derzeit alles auf der Welt passiert: Vermisst du den Vibe der Neunziger?
Jasmin Wagner: Es gibt so Sentimentalitäten. Wenn wir uns in den Neunzigern um 15 Uhr verabredet haben, dann mussten wir um 15 Uhr auch da sein. Heute scheint es unmöglich geworden zu sein, zu einer fest verabredeten Zeit alle Menschen an einem Ort zu haben.
Die Neunziger feiern schon länger ein Comeback. Welcher Trend muss unbedingt noch zurückkommen?
Ich vermisse coole Schnullerketten. Als kleinen Anhänger in Gold oder einem Kupferton würde ich die wieder tragen. Vielleicht gibt’s das auch schon, aber ich hab sie noch nicht gesehen.
Und welcher ging schon damals gar nicht?
Aus heutiger Sicht ist es verblüffend, dass wir uns die Augenbrauen so dünn gezupft haben. Heute versuche ich mein Bestes, wieder das Gegenteil zu erwirken. Und es ist erstaunlich, wie viele künstliche Materialien getragen wurden. Ich sag immer scherzweise: Es ist ein Wunder, dass wir nicht in Flammen aufgegangen sind (lacht).
Du bist in Hamburg geboren und aufgewachsen – wie erinnerst du die Stadt als Jugendliche in den Neunzigern?
Es ist besonders gewesen, weil ich jung war und die Welt erobern wollte. Bevor es mit der Musik losging, habe ich HipHop getanzt und war auf meinem Skateboard unterwegs. Ich fand es herrlich, die Stadt für mich zu entdecken und auch mal auf einer Party in Lurup zu sein. Ich bin ja in Hamburg-Jenfeld groß geworden – von dort aus gesehen ist Lurup wie am anderen Ende der Welt (lacht). Dann dachte ich, dass ich gerne viel in der Welt unterwegs bin, aber es hat mich immer wieder nach Hamburg zurückgezogen. Ich habe schon immer eine starke Verbundenheit mit der Stadt empfunden.
Jasmin Wagners Lieblingsort in Hamburg
„Es ist ein Nachhause kommen“ singst du auch in deinem Lied „Hamburg im Sinn“.
In der Tat. Es war früher mein Irrglaube, dass ich ziemlich fest davon ausgegangen bin, später auf jeden Fall nicht in Hamburg zu leben. Doch egal, wo ich dann gelebt habe oder wie lange ich verreist bin, hat es mich nach Hamburg zurückgezogen. Mein Herz hat immer hier geankert. Für das Album „Von Herzen“ war es mir deshalb ganz wichtig, auch ein Hamburg-Lied zu schreiben. Denn alle musikalisch wirkenden Hamburger haben ein Hamburg-Lied gemacht, da wollte ich nicht fehlen.
Worauf freust du dich besonders, wenn du nach längerer Zeit zurück in deine Heimatstadt kommst?
Für mich ist die Alster ein ganz wunderbarer Ort. Ich weiß nicht, wie oft ich sie schon umrundet habe. Joggend. Mit Herzschmerz. Mit Freunden am Sonntag in großer Runde mit vielen Stopps und Prosecco-Picknick. Oder jetzt mit Kindern an Spielplätzen oder um Enten zu beobachten. Auf Reisen oder bei Konzerttourneen kommen so viele einzelne Einflüsse und neue Erfahrungen auf mich zu. Wenn ich um die Alster jogge oder spaziere, fügen sich all diese Einzelteile zusammen und ich komme wieder ganz in meiner Mitte an und bin verwurzelt. Das ist fast schon etwas Spirituelles.
Mein Herz hat immer hier geankert
Jasmin Wagner
Der letzte Rave: Überraschungsgäste beim Blümchen-Konzert?
Dein Abschiedskonzert „Der letzte Rave“ soll ebenfalls in Hamburg stattfinden. Hat das einen besonderen Grund?
In Hamburg hat alles begonnen: Eine 15-Jährige wird zum größten Popstar der Neunziger, meine Produzenten haben hier gelebt und gewirkt. Für mich schließt sich der Kreis mit diesem Abschiedskonzert, bei dem ich meine musikalischen Freunde und Partner zusammenbringen und einen Abend erleben möchte, der ein Geschenk für mich ist und einfach alles noch mal zeigt und erklingen lässt, was mir in diesen 30 Jahren wichtig war. Natürlich soll die Gästeliste riesengroß sein: Alle meine Freunde und meine Familie sollen kommen können.
Auf wen auf der Gästeliste dürfen sich die Fans an diesem Abend freuen? Werden Finch, Domiziana oder David Hasselhoff, mit denen du unter anderen Songs aufgenommen hast, auf der Bühne stehen?
Grundsätzlich haben alle Bock. Finch und Domiziana sind mit meiner Musik aufgewachsen. Sie verbinden ihre Jugend damit, deswegen ist es für sie sicherlich eine Herzensangelegenheit. Sie nennen mich Wegbereiterin und Pionierin. Das ist total schön und insofern auch eine große Belohnung dafür, dass ich 2019 wieder als Blümchen auf die Bühne gegangen bin, weil es ein großer Schritt war, sich das zu trauen. Aber erst dadurch konnten diese neuen, tollen Kollaborationen und Kooperationen entstehen.

Jasmin Wagner: „Wie eine liebevolle Umarmung“
Glaubst du, dass deine frühen Blümchen-Songs heute anders rezipiert werden und vielleicht auch mehr Wertschätzung erfahren als in den Neunzigern?
Definitiv. In den Neunzigern hat Blümchen sehr polarisiert. Elektronische Musik war noch relativ neu und dann noch von so einer jungen Künstlerin, die plötzlich die Charts anführte. Damit konnten sich viele, die aus klassischeren musikalischen Feldern kommen, nicht identifizieren. Für mich als Teenager hat sich das manchmal sehr einsam angefühlt. Diese Gefühle hat die Gen Z und die Künstler, die wir gerade genannt haben, nicht. Das war der Zeitgeist, mit dem sie aufgewachsen sind. Die sind ganz überrascht, wenn ich erzähle, dass sich das gar nicht so gut angefühlt hat, damals so neu zu sein. Aber um eine neue musikalische Bewegung zu schaffen, gehört es eben dazu, dass es nicht viele gibt, die dasselbe vorher schon gemacht haben. Das hatte seinen Sinn, das verstehe ich heute.
Blümchen wird heute bei Rockfestivals aber auch auf Elektropartys gespielt – warum feiern ganz unterschiedliche Zielgruppen deine Songs?
Ich liebe es, wie unterschiedlich Blümchen wahrgenommen wird. Wenn ein DJ auf einem coolen Elektrofestival eins meiner Lieder ins Set einbaut und Freunde von mir vor Ort sind, filmen sie das heimlich und schicken es mir. Das ist wie eine liebevolle Umarmung. Blümchen geht aber auch in die Rockwelt rein: Vor zwei Jahren stand ich in Wacken mit Lord of the Lost auf der Main Stage, letztes Jahr beim Deichbrand haben 60.000 Leute mit mir gesungen. Und egal, was die Menschen mit Blümchen verbinden, sie sind da. Vollends erklären kann ich es nicht, aber es muss auch sein Geheimnis haben, das man nicht ganz enträtseln kann.
Deine neueren Songs als Jasmin Wagner dagegen gehen eher in Richtung Elektroschlager. Wie kommt das bei den Fans an?
Auf Konzerten hat sich gezeigt, dass mein altes Werk noch sehr gefragt ist und ich hab gemerkt, wie ich das genossen habe. Es hat sich gut verbunden mit neueren Songs wie „Gold“ und es ist doch auch schade, das Momentum nicht zu nutzen. Ich fand dann die Idee der zwei musikalischen Marken richtig toll. Blümchen ist wild, macht andere Sachen und trägt andere Klamotten als Jasmin Wagner. Mit dem Album „Von Herzen“ habe ich sehr viele meiner persönlichen Themen zeigen können. Das ist vielleicht nicht so der Fall, wenn ich ein klassisches Blümchen-Lied mache. Ich nehme mir da einfach die musikalischen Freiheiten, so wie ich sie in dem Moment brauche.

Blümchen verabschiedet sich
Du bist vor ein paar Jahren Mutter geworden – ist die Zeit für dich als „Ravergirl“ vorbei?
Ich glaube, ich habe immer ein Ravergirl in mir. Wenn es zu gemütlich wird, suche ich nach etwas, das die Gemütlichkeit durchbricht. Aber ich bin auch mit meiner großen Liebe und meiner kleinen Familie an einem Herzensort angekommen, an dem ich wahnsinnig gerne bin. Zum Muttersein gehört auch eine Phase der Veränderung. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich das Unterwegssein mal kritisch hinterfragen würde, aber der schönste Ort ist natürlich da, wo meine Familie ist. Und die wollen nicht immer auf Tour sein.
Als du in die Rolle von Blümchen geschlüpft bist, warst du 15. Wie kannst du dich auch 30 Jahre später noch in die Figur einfinden?
Ich hab die Mittel benutzt, die ich in zehn Jahren Theater gelernt habe. Es ist gar nicht wichtig, dass ich privat genauso empfinde oder mich genauso kleide. Ich habe einen Charakter entwickelt: Blümchen ist eine Superheldin, die aus den Neunzigern ins Jetzt reist, um Spaß und Euphorie unter die Menschen zu bringen. Unter diesem Leitbild haben wir eine Show kreiert, in der es nicht wichtig ist, dass ich eine 15-Jährige war, als ich die Lieder veröffentlicht habe. Mein Publikum ist ja auch älter geworden. Obwohl ich dann gesehen habe, dass auch viele junge Menschen bei den Konzerten sind und zum Teil noch härter raven (lacht). Es ist möglich, weil mir die Musik so viel Freude macht. Ich stehe nicht auf der Bühne, weil ich Geld verdienen will, sondern weil die Leute meine Songs singen und wir diesen Moment zusammen genießen. Das macht die Magie aus – und das werde ich natürlich vermissen. Aber ich glaube, es ist wichtig, selbstbestimmt und in einem starken Moment zu gehen. Und der ist jetzt.
Ich glaube, es ist wichtig, selbstbestimmt und in einem starken Moment zu gehen
Jasmin Wagner
Warum genau jetzt?
Es sind diese großen Nummern: 30-jähriges Bühnenjubiläum, ich werde 45. Es haben sich so viele Träume erfüllt, seit ich 2019 wieder als Blümchen gestartet bin. Es ist wie ein Märchen, das sich auserzählt hat. Insofern muss die Geschichte aufhören: They lived happily ever after. Man fühlt manchmal einfach, wenn es Zeit für einen Wechsel ist.
Und was macht Jasmin Wagner, nachdem Blümchen den Boomerang ein letztes Mal hat fliegen lassen?
Der perfekte Plan ist noch nicht da. Ich bin im Hier und Jetzt verankert. Nach der Tour werde ich mir Zeit nehmen und mit ein bisschen Distanz gucken, wo es mich hinzieht. Ich will den Rhythmus, wie ich mit meiner Zeit umgehe, ändern, aber nichts tun werde ich auch nicht.
Die Blümchen-Abschiedstour „30 Jahre Love & Rave“ startet am 9. Mai 2025, Datum und Ort für „Der letzte Rave“ in Hamburg werden noch bekannt gegeben; instagram.com/jasminwagnerofficial
