SZENE HAMBURG: Jonas Jonasson, Sie waren Ende 40, als Sie 2009 mit „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ Schwedens meistverkauftes Buch veröffentlicht haben, das inzwischen in 45 Sprachen erschienen ist. Hätten Sie damals erwartet, dass sich Ihr Leben noch einmal so grundlegend ändern würde? Oder hat es das gar nicht?
Jonas Jonasson: Ich habe mein ganzes Leben lang geschrieben. Für mich selbst, Briefe, als Journalist, als Medienberater. Irgendwie wusste ich schon immer, dass ich ein Autor bin. Mir hat bloß die Zeit gefehlt, meinen ersten Roman zu schreiben – bis ich sie mir genommen habe! Aber wirklich verändert hat sich mein Leben dadurch nicht. Wie gesagt: Geschrieben habe ich ja immer. Ich hatte nie einen Nine-to-Five-Job von Montag bis Freitag, sondern war immer All in – und das ist bis heute so geblieben, ich schreibe von Montag bis Sonntag, Tag und Nacht. Der Unterschied ist vielleicht, dass ich heute auch mal eine Pause machen kann, wann immer es mir passt. Und – ob Sie es glauben oder nicht – manchmal tue ich das sogar!
Hat sich denn Ihre Art zu schreiben verändert, nachdem Sie Bestsellerautor geworden sind?
Knifflige Frage. Es ist wichtig, andere Bücher zu lesen, um sich als Schriftsteller weiterzuentwickeln. Aber davon abgesehen: Ich glaube, meine Art zu schreiben ist heute noch die gleiche wie vor fünfzehn Jahren und davor. Vielleicht mit einem Unterschied: Ich kann es heute ein bisschen besser. Dafür habe ich ein wenig von meiner Bescheidenheit eingebüßt.
Wie gehen Sie mit dem Druck und den Erwartungen um, die automatisch mit dem Erfolg einhergehen?
Gar nicht, weil ich überhaupt keinen Druck empfinde. Das Einzige, was zählt, ist, ob ich mit dem, was ich gerade geschrieben habe, zufrieden bin. Wenn nicht, schreibe ich neu. Und wenn ich zufrieden bin – nun, dann kann ich nur hoffen, dass Sie es auch sind.
Ein zweiter Welterfolg durch Mundpropaganda? Nicht möglich.
Sie haben als Journalist gearbeitet, dann Ihr eigenes Unternehmen als Medienberater gegründet, es irgendwann verkauft, weil Sie zu viel gearbeitet haben, und schreiben nun offenbar Tag und Nacht an Ihren Büchern. Was tun Sie, um den dadurch entstehenden Stress zu bewältigen und mal runterzufahren?
Seit ich älter geworden bin, ist es schwieriger geworden, mit dem Stress umzugehen. Dank des Erfolges müsste ich mich eigentlich nicht mehr in Situationen mit engen Fristen begeben, aber ich tue es trotzdem! Manchmal verspreche ich auch zu früh zu viel. Ob ich das irgendwann noch mal lerne? Ich arbeite jedenfalls daran. Ansonsten versuche ich aber, mit einer Stunde auf dem Laufband in den Tag zu starten. Und in stressigen Zeiten laufe ich schneller – als ob die Stunde dann früher enden würde.
Man kann nur ein einziges Mal ein unbekannter Debütant sein
Jonas Jonasson
Wir leben in einer Welt des Höher, Schneller, Weiter. In Anbetracht der Tatsache, dass Sie mit Ihrem Debütroman so erfolgreich waren, dass sich dieser Erfolg kaum wiederholen lässt: Ärgert es Sie, dass Sie mit Ihrem Debüt dermaßen vorgelegt haben, dass sich dieser Erfolg kaum noch übertreffen lässt?
Nein, ganz und gar nicht! Man kann nur ein einziges Mal ein unbekannter Debütant sein. Nur, weil ich aus dem Nichts kam, wurde mein Hundertjähriger Mann durch Mundpropaganda in der ganzen Welt bekannt. Dieser Trick lässt sich nicht wiederholen. Im Gegenteil: Ich bin stolz darauf, auch nach meinem Debüt noch Millionen von Leser:innen zu haben.
Haben die Schweden das Träumen erfunden?
Ihr neues Buch trägt den Titel „Det rådiga kommunalrådet“, was übersetzt „Das findige Ratsmitglied“ heißt. Der deutsche Titel ist aber „Wie die Schweden das Träumen erfanden“. Wie gefällt Ihnen der deutsche Titel? Und warum, glauben Sie, wurde der Titel für den deutschen Markt geändert?
Verschiedene Länder – oder vielmehr verschiedene Sprachen – legen von Zeit zu Zeit eine Änderung des Titels nahe. Mein zweiter Roman namens „Die Analphabetin, die rechnen konnte“, ist im Deutschen eine exakte Übersetzung des schwedischen Titels, aber im Englischen wurde daraus „The Girl who Saved the King of Sweden“. „Analphabetin“ (Analfabeten, auf Schwedisch) wäre auf Englisch „Illiterate“, was nicht so gut klingt. Ich sage immer „Okay“ zu Vorschlägen für eine Titeländerung, da ich den Verlagsmitarbeiter:innen in den jeweiligen Ländern mehr Expertise zuspreche und die sicherlich besser wissen, was im entsprechenden Markt gut funktioniert. „Det rådiga kommunalrådet“ funktioniert im Schwedischen teilweise gut, weil sich der schwedische Buchstabe å wiederholt, was bei einer direkten Übersetzung nicht der Fall gewesen wäre. „Wie die Schweden das Träumen erfanden“ klingt für mich zudem ziemlich genial!
„Vertrauenswürdig sein“ ist für mich typisch deutsch
Jonas Jonasson
Und wenn wir schon dabei sind: Wie haben die Schweden denn nun das Träumen erfunden?
Ha – gut gespielt! Jetzt haben Sie mich da, wo Sie mich haben wollten, oder? (lacht) Ich fürchte, die Schweden haben eher die Selbstgerechtigkeit erfunden. Aber die Hauptfigur meines Romans ist sicherlich ein Träumer, und die Verbindung zu einer deutschen Bettenfabrik ist dadurch offensichtlich.
Hamburg: modern und fortschrittlich
Die Stadt Hamburg spielt in Ihrem neuen Buch eine zentrale Rolle. Warum Hamburg und nicht Köln, München oder Berlin?
Um ehrlich zu sein: Anfangs sollte die Geschichte in Düsseldorf oder Frankfurt spielen, aber dann wurde es für eine der Hauptfiguren zu weit, um mit dem Auto nach Stockholm und zurück zu fahren. Manchmal ist es so einfach. Als ich darüber nachdachte, fiel die Wahl dann auf Hamburg: Doppelt so groß wie Stockholm, modern, fortschrittlich und in einem schwarzen Audi A8 sitzend nur zwölf Stunden von Stockholm entfernt.
Welche Verbindung haben Sie zu Hamburg?
Ich war ein- oder zweimal für Lesungen dort. Beim ersten Mal habe ich gedacht: „Hey, was für eine schöne Stadt! Ich muss wiederkommen, wenn ich die Zeit habe, um sie wirklich zu genießen!“ Mein Flug am nächsten Tag ging leider schon um 7.30 Uhr. Ich sehe wirklich immer zu wenig von den verschiedenen Städten, wenn ich auf Lesereise bin. War ich schon mal in Seoul? Ja – aber irgendwie auch nicht. Tokio? Dasselbe. Hamburg? Genauso.
Humor und Selbstdistanz sind unerlässlich, um die Welt zu retten!
Jonas Jonasson
Für dieses Buch haben Sie sich intensiv mit Deutschland, mit deutschen Klischees und unseren kulturell geprägten Eigenheiten beschäftigt. Ist Ihnen dabei etwas Besonders im Gedächtnis geblieben?
Ich erinnere mich, dass „pünktlich sein“ in dem Roman als typisch deutsch gilt. Aber man könnte auch sagen, das ist typisch Jonas Jonasson. Ich finde es immer sehr schwer zu verallgemeinern, aber wenn Sie mir das erlauben, würde ich sagen, dass „vertrauenswürdig sein“ für mich typisch deutsch ist. Nachdem ich das gesagt habe: Ich bin mir fast sicher, dass es auch in Hamburg ein oder zwei Arschlöcher gibt (entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise) – genauso wie in Stockholm und überall sonst.
Trump, Putin, Erdoğan, Allan Karlsson und Winnie Puuh
Sie haben mal gesagt, dass Sie die Deutschen sehr lieben würden. Warum denn eigentlich?
Kurz gesagt: Wie könnte man das Land, das den Underberg erfunden hat, NICHT lieben? (grinst) Es gibt selbstverständlich noch viel mehr Gründe, aber ich fürchte, es würde zu lange dauern, um das auszuführen – das reicht bis hin zur Politik. In der heutigen Zeit ist Deutschland für mich ein Fels in der Brandung in einem wackeligen politischen Umfeld. Vielleicht ist so etwas von außen leichter zu erkennen. Zusammen mit Schweden haben Sie während der großen Flüchtlingskrise in Syrien Verantwortung übernommen. Da niemand sonst das Gleiche getan hat, wurden beide Länder am Ende allerdings hart abgestraft.
In Ihren Büchern geht es oft um Humor – verständlicherweise. Von dem deutschen Schriftsteller Peter Hille stammt das Zitat: „Der Humor ist der Baumeister der Welt.“ Sehen Sie das auch so?
Gut gesagt, Peter! Und gut gesagt auch Amos Oz, der vor einigen Jahren verstorbene israelische Dichter und Autor, von dem der Satz stammt: „Ich habe noch nie einen Fanatiker mit Humor getroffen!“ Stellen Sie sich einen Raum mit, sagen wir mal, Herrn Putin, Herrn Netanjahu, Herrn Erdoğan und Herrn Trump vor. Jetzt fügen Sie meinen hundertjährigen Mann, Allan Karlsson, zu dem Treffen hinzu. Und Winnie Puuh. Wenn jeder auf jeden wütend ist, schlägt Allan ein Glas Wodka vor, um die Gemüter zu beruhigen. Daraufhin legt Winnie Puuh seine Pfote auf Mr. Trumps Schulter und sagt: „Ich habe gerade ein Gedicht erfunden, möchtest du es hören?“ Das wäre ein ganz anderes Treffen! Kurzum, Peter Hille hatte Recht: Humor und Selbstdistanz sind unerlässlich, um die Welt zu retten!
Jonas Jonasson: Wie die Schweden das Träumen erfanden, C. Bertelsmann, 160 Seiten, 22 Euro
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 01/2024 erschienen.