Mit Schimmel kennt Hamburg sich aus. Schließlich hat Dieter Roth (1930–1998) im feinen Harvestehude einst sein Schimmelmuseum gehegt und gepflegt und dort Leinwände mit Joghurt bestrichen und Käse, Salami, Kopfsalat und vieles mehr in lebende Kunst verwandelt.
Sein Moder hat ihn bekannt gemacht – ganz so wie die amerikanische Künstlerin Kathleen Ryan (*1984). Nur das ihr Schimmel nahezu verführerisch glitzert. Auf Zitronen und Kirschen, Pfirsichen, Trauben oder Erdbeeren, Kürbissen oder auf Wassermelonen-Stücken. Mit zehntausenden Steinen wie Achat oder Lapislazuli, Rhodonit und Aventurin, mit Kirsch- und Rauchquarz, Perlen, schwarzem Onyx und manchmal auch mit kleinen Muscheln, lässt sie den Verfall aufs Schönste schimmern. Für die noch frischen Teile der Früchte hingegen verwendet sie billigere Materialien, oft reichen da auch Plastikperlen. Denn auf den Schimmel kommt es ihr an. Auf den Verfall, das Verrotten und Vergehen, an das in den puritanischen Niederlanden des 17. Jahrhunderts auch so leidenschaftlich erinnert wurde. An die Vergänglichkeit alles Schönen und das mit gammeligen Speisen und mit verwelkten Blumen in Öl.
Überlebensgroße Früchte
Doch Kathleen Ryan belässt es nicht bei dem Motiv. Sie lädt den Verfall nicht nur mit Glitzer auf, mit Juwelen, die auch von Familienbesitz erzählen, die Privilegierte über Generationen hinweg vererben. Sie spielt nicht nur mit Wertigkeiten, sondern auch mit Dimensionen. Überlebensgroß sind viele ihrer Früchte, die sie über die Böden von Galerien und Museen verteilt oder, wie ihre „Bad Melon“ quasi aufprallen und auseinanderbersten lässt. Dabei räumt sie gleich mit der Kunstgeschichte auf, verzichtet immer wieder auf Sockel, legt sie statt dessen in Körbe oder lässt sie auch mal an dicken Eisenketten von den Decke baumeln.
Industriematerialien treffen dabei auf Natur. Geometrische Metallblöcke umwickelt sie mit bronzenem Draht an dem Efeublätter baumeln, die aus hochwertigem Stein bestehen. Sie flicht wandhohe Gänseblümchenketten aus Kunststoff, die wie eine Mutation wirken, formt Weintrauben aus Beton und formt kleine grüne Papageien, wie sie in Scharen durch Los Angeles fliegen, wo Kathleen Ryan geboren ist und auch Kunst und Archäologie studiert hat. Doch statt auf Palmen landen sie bei ihr auf einem überdimensionalen, ausrangiertem Kronleuchter. So wie das ist im Zeitalter des Anthropozäns, in dem heute alle Kunststoffe auf dieser Erde zusammen mehr wiegen als alle lebenden Tiere, an Land wie im Wasser und die Masse der Gebäude und Straßen mittlerweile größer ist als die aller Bäume und Büsche.
Kathleen Ryan vereint den Clash aus Natur und Industrie
Diesen Clash nimmt sie auch in schwarzen und weißen Bowlingkugeln auf, die sie seit vielen Jahren sammelt und in eine Perlenkette verwandelt, die sich elegant, schwer, aber aus Kunststoff, über den Boden schlängelt. Sie kleidet Eisenöfen mit schimmerndem Perlmutt aus und verbindet Motorhauben so, dass sie sich wie Muscheln öffnen. Doch statt Kostbarkeiten finden sich in ihrem Inneren nur noch Spinnweben aus Plastikperlen. Auch in den Bauteilen eines Airstream-Campers, Sinnbild der Freiheit in den Weiten der amerikanischen Landschaft, spannen sie sich.
Immer wieder stimmt sie so den Abgesang auf eine Gesellschaft im Überfluss an, in der sich der so viel beschworene Aufbruch längst in einen Verfall verwandelt hat. Materiell und auch gesellschaftlich. Bereits 2020 wurde Kathleen Ryan mit dem Rosa-Schapire-Kunstpreis der Freunde der Kunsthalle ausgezeichnet, jetzt sind 30 ihrer Arbeiten dort zu sehen. Sie ziehen sich von 2014 an durch ihr gesamtes Werk und zeigen, wie Kunsthistorie auf Found Objects trifft, auf Kunsthandwerk und Kupferrohre – und dass sie so viel mehr als faule Früchtchen sind.
Kathleen Ryan, Hamburger Kunsthalle, bis zum 11. August 2024
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 06/2024 erschienen.