Unser Musik-Redakteur Erik Brandt-Höge hat seinen zweiten Roman veröffentlicht. „Flamingostar“ ist ein amüsanter Road-Trip durch die Schattenseiten der deutschen Musikindustrie und zugleich eine emotionale Familiengeschichte. Ein Gespräch
SZENE HAMBURG: Erinnerst du dich an die erste Zeile, die du für den Roman geschrieben hast?
Erik Brandt-Höge: Ja. Der erste Satz hieß „Schwarz.“ Ich habe versucht, die Leser relativ schnell reinzuziehen. Oder in dem Fall runterzuziehen, weil der Romanheld auf einer Brücke steht und überlegt, sich umzubringen.
Wie geht es weiter?
Der Roman hat zwei Ebenen: die spannende und absurde Showgeschäftswelt mit den größenwahnsinnigen Managern und den durchgeknallten Moderatoren, die man gar nicht ernst nehmen kann, und die Familientragödie. Der Vater lebt ein bisschen gegen den Sohn und beide haben die Trauer um die verstorbene Mutter gemeinsam.
Wie kamst du auf die Geschichte?
Das war relativ fix klar, dass ich über Musik schreiben würde. Ich bin der Meinung, man kann nur gut über das schreiben, was man selbst erlebt hat. In diesem Fall wollte ich die guten, schlechten und völlig lächerlichen Seiten der Musikwelt aufzeigen, die ich seit 10 Jahren erlebe. Den Familienkonflikt habe ich mir hingegen ausgedacht.
Hast du die Musikindustrie tatsächlich so erlebt, wie du sie beschreibst?
Ich habe jetzt nicht die größten Schlagerwelt-Erfahrungen. Aber ja, diese ganzen Label-Leute in den Hochhäusern, die Manager, die Agenten, aber auch die Journalisten wie mich selbst, die nicht alle Tassen im Schrank haben – habe ich alles erlebt.
Du hast nicht alle Tassen im Schrank?
Ein paar habe ich noch. Aber ich habe auch meine Fehler und bin bestimmt auch hier und da belächelbar.
Wofür denn so?
(Überlegt lange) Es gibt zwei Typen von Musikjournalisten. Es gibt Fachmagazin-Nerds, die unbedingt wissen wollen, wo, wann und warum irgendein Song entstanden ist. Und es gibt Leute, die versuchen, die Person zu charakterisieren, die dahinter steckt. Ich bin auf jeden Fall der zweite Typ. Mich interessiert, warum die Menschen so sind, wie sie sind, ihre Lebensgeschichten, warum sie solche Lieder schreiben. Jemand anderes würde sagen: „Bleib doch mal sachlich, du bist doch Musikjournalist und nicht Psychologe.“
Wie kamst du zum Musikjournalismus?
Ich habe 2005 ein Praktikum beim „Rolling Stone“ gemacht. In der Zeit waren die ganzen England-Bands riesig: Libertines, Franz Ferdinand, Arctic Monkeys, Maximo Park, Kaiser Chiefs. Diese Welle hat mich damals voll interessiert. Ich war mitten im Studium und wollte ganz viele Stars treffen, durfte aber nur kleine Plattenkritiken schreiben. Nach dem Praktikum hat mich ein Redakteur angerufen und gefragt, ob ich nicht frei für sie schreiben will. Dann habe ich gemerkt, dass es gar nicht so geil ist, Stars zu treffen. Mittlerweile will ich meine Lieblingsbands oft gar nicht kennenlernen.
Warum nicht?
Weil ich Angst habe, dass die total doof sind und mir mein Fan-Dasein verbauen.
Ist dir das häufig passiert?
Ich habe das oft erlebt, ja. Ich bin da sehr penibel, Arroganz kann für mich vieles zerstören. Ich habe aber auch oft das genaue Gegenteil erlebt.
Was meinst du?
Ich habe viele Leute getroffen, die Scheißmusik machen, aber wahnsinnig nett sind. Und dann denkst du: Ach du Scheiße, jetzt ist der auch noch so nett! Dann traut man sich fast gar nicht, über diese Scheißmusik so zu urteilen, wie sie es verdient. Das muss man natürlich trotzdem machen. Das passiert leider sehr, sehr häufig. (lacht)
Disclaimer: Hier hat der Interviewte das Aufnahmegerät pausiert und einige Namen genannt, die wir leider Gottes nicht veröffentlichen dürfen.
Zurück zu deinem Protagonisten, Justus von Schweben. Warum hat er denn so einen beschissenen Namen?
Der hat einen sehr schönen Namen. Er musste natürlich ein von und zu sein, weil er ein Reichenbubi ist, der in Berlin-Charlottenburg aufwächst, einen Anwaltsvater hat und ein wenig unter seiner Herkunft leidet. Schweben finde ich ein sehr angenehmes Wort. Und den Namen Justus mag ich gerne. Auch Jussi, die Abkürzung. Ich wollte eine gute Abkürzung haben.
Justus veröffentlicht ein Album. Die Songs sind alle im Buch enthalten…
…sie fallen einem richtigen Songwriter wahrscheinlich als sehr mies auf. 90 Prozent der Songs sind bewusst mega-kitschig, weil sie zum Schnulzenjungen Jussi passen sollten.
Gibt es zu den Songs auch Musik?
Ich habe tatsächlich oft am Klavier gesessen, als ich diese Songs geschrieben habe, aber von mir aus wird es da keine Musik geben. Wenn einer so irre ist und sie vertonen möchte, hat er hiermit mein „Go“. Aber ich selbst werde das nicht tun.
Warum nicht?
Weil ich das schlichtweg nicht kann. Ich kann null singen. Das hört sich echt scheiße an.
Ein Vorschlag von der SZENE HAMBURG: Lieber Bosse, wir würden dich wahnsinnig gerne „Mitte-Liebe“ singen hören.
Was ist für dich die spannendste Stelle im Roman?
Es gibt eine Stelle, in der es um den Unfalltod der Mutter von Justus geht. Es schien die ganze Zeit klar: sie hatte einen Unfall und ist dabei umgekommen, aber so einfach ist es nicht. An einer Stelle klärt sich das auf.
Was läuft eigentlich zwischen Justus und Hella?
Hella ist die Barfrau im „Flamingo“, wo Justus seinen ersten Auftritt hat. Eine sehr durchgreifende Frau, auf den ersten Blick extrem selbstbewusst und stark. Sie ist stückweise dafür verantwortlich, dass er sich überhaupt auf die Bühne traut. Sie imponiert ihm, diese schöne Frau mit der Afro-Frisur. Ich fand die selber ganz cool, mir hätte sie auch imponiert (grinst). Sie geht mit ihm auf Tour und irgendwann verliebt er sich in sie.
Justus nimmt irgendwann an einer Casting-Show teil, obwohl er sich erst dagegen gewehrt hat. Hat er seine Seele verkauft?
Er hat im Verlauf der ersten Karriere-Monate gelernt, mit dem Geschäft umzugehen und sich selbst nicht mehr ganz wichtig zu nehmen. Er hat so eine „Was soll’s“-Attitüde angenommen und macht weiterhin sein Ding.
Stehst du selbst auf Schnulzen?
Ich bin kein Kuschelrock-Käufer, aber ich stehe schon auf gute Balladen, zum Beispiel von Thees Uhlmann, Herrenmagazin oder Schrottgrenze. Das sind alles eher schroffe Balladen, nicht so glatt poliert.
Was geht musikalisch gar nicht?
(lange Pause) Nee, das kannst du auf keinen Fall schreiben. Damit mache ich mir Feinde. Das lassen wir komplett raus.
Langweilig.
(lacht) Okay, es gibt Schlager, die sind einfach scheiße, von vorne bis hinten. Eine reine Leute-Verarsche. Geldmacher-Schlager finde ich scheiße.
Interview: Natalia Sadovnik
Die Rezension über „Flamingostar“ ist in der aktuellen August-Ausgabe von SZENE HAMBURG zu lesen.
Erik Brandt-Höge: „Flamingostar“
Droemer Knaur Verlag, 252 Seiten, 12,99 Euro