„Kein Stil, keine Schublade“

Interview mit Caroline Monnet, Kurzfilmmacherin aus Kanada. Beim Internationalen Kurzfilmfestival Hamburg sind ihre Werke „Gephyrophobia“, „The Black Case“ und „Roberta“ zu sehen

SZENE HAMBURG: Es gibt in Kanada eine sehr lebendige Kurzfilm-Szene. Wie ist es zu ihr gekommen?

Caroline Monnet: Ich glaube, es gibt eine lange Tradition des Kurzfilmmachens in Kanada, weil es ein unabdingbares Durchgangsstadium für viele Filmemacher ist. Kanada verfügt über eine einzigartige Filmkultur trotz vieler unwirtlicher Voraussetzungen – zum Beispiel eine geringe finanzielle Rentabilität und das kalte Wetter. Dem zum Trotz hat sich eine stark ausgeprägte Identität entwickelt, die auf den persönlichen Querverbindungen beruht, die unter den Filmemachern bestehen.

Gibt es Filmemacher, die Sie ganz besonders beeindruckt haben?

Man kann durchaus sagen, dass die kanadische Kurzfilm-Tradition mit der Entstehung des National Film Board 1939 begann. Wie in vielen anderen Ländern wurde es zum Teil gegründet, um Propaganda im Zweiten Weltkrieg zu betreiben. Aber schon kurze Zeit später tauchen Filmemacher auf, die daran mitwirken, durch Dokumentar-, Experimental- und Animationsfilme eine kanadische Identität auszubilden. Von diesen Filmemachern ist Norman McLaren wahrscheinlich der berühmteste, weil er Konventionen überwunden und Grenzlinien verschoben hat. Auch für mich als Künstlerin ist McLaren eine fortdauernde Inspiration, weil er keine Angst hatte, alle Aspekte des Bildes, des Schnitts und Tons zu erforschen und mit ihnen zu experimentieren.

Der Kurzfilm ist darüber hinaus zu einer echten Kunstform gelangt, in deren Rahmen viele Filmemacher dieses besondere Format wählen, um sich auszudrücken und Erfahrungen zu sammeln. Dank Initiativen wie „Prend Ça Court“ und des kanadischen Kurzfilm-Promotors Danny Lennon können die Arbeiten kanadischer Filmemacher ein internationales Publikum erreichen und dessen Aufmerksamkeit erlangen. Das ist wahnsinnig wichtig, um zur Vielseitigkeit, zur Lebendigkeit und zu den Erfolgen des Kurzfilmmachens in Kanada beizutragen.

Gephyrophobia

Was hat Sie dazu bewogen, Filmemacherin zu werden?

Ich wurde Filmemacherin, ohne es wirklich darauf angelegt zu haben. Ich hatte Soziologie und Kommunikationswissenschaften studiert und arbeitete kurzzeitig für die National Broadcasting Corporation und eine TV-Dokumentarfilmserie. Ich habe meinen ersten Film „Ikwé“ 2009 gedreht. Ich lebte damals in Winnipeg und erhielt zufällig durch eine kleine Fördersumme die Möglichkeit, meinen ersten Film zu inszenieren und zu produzieren. Da hat mein Leben komplett verändert, weil ich hier letztendlich etwas gefunden hatte, was ich leidenschaftlich gern tat. Das Filmemachen ist für mich ein Weg, alle Formen von Kunst zu umgreifen. Es geht dabei um Schauspiel, Musik, Malerei, Fotografie und Klänge. Es ist gemeinschaftlich und schöpferisch und schwierig.

Stehen Ihre Filme in einer bestimmten Tradition? Folgen Sie einem besonderen Stil? Oder haben Sie immer Ihr „eigenes Ding“ durchgezogen?

Als autodidaktische Filmemacherin glaube ich schon, „mein eigenes Ding“ zu machen. Ich passe mich keinem Stil und keiner Schublade an. Weil ich keine formale Ausbildung hinter mir habe, probiere ich viele Dinge einfach aus. Jeder Film ist für mich eine neue Herausforderung und eine neue Möglichkeit, mich zu verbessern und meinen eigenen Stil zu verfeinern. Konzepte und Geschichte legen oft den Stil eines Films fest, aber ich beharre darauf, dass jeder Film über den gleichen Grad an Sensibilität, Verletzlichkeit und Ästhetik verfügt. Indem ich mich als Filmemacherin weiterentwickle, tun dies auch meine Filme. Ich bin heute anspruchsvoller als vor fünf Jahren. Aber das liegt daran, dass ich mich dauernd neuen Herausforderungen stelle, um Erzählungen zu erschaffen. Ich glaube auch, dass meine vielfältigen Erfahrungen in den visuellen Künsten einen großen Einfluss darauf haben, wie ich mir meine Filme ausmale.

Roberta

Wie würden Sie Ihre Filme beschreiben, die jetzt in Hamburg laufen? Welche Unterschiede bestehen zwischen ihnen? Gibt es auch Gemeinsamkeiten zwischen „Gephyrophobia“, „The Black Case“ und „Roberta“?

Alle drei Filme sind total unterschiedlich. „Gephyrophobia“ ist ein Experimentalfilm, er wurde auf 16mm gedreht und vom „WNDX Festival of Moving Image“ unterstützt. Beabsichtigt war, den Pulsschlag einer Stadt festzuhalten und dabei Ottawa zu porträtieren, genauer gesagt die Grenze zwischen Québec und Ontario, zwischen Frankophonen und Anglophonen. „Gephyrophobia“ bezeichnet die Angst, Brücken zu überqueren. Mich interessierte diese Metapher, um über Identitäten zu sprechen, die aufeinanderprallen, ohne sich zu vermischen.

„The Black Case“, in Zusammenarbeit mit Daniel Watchorn gedreht, ist etwas völlig anderes. Der Film war mein erster Versuch, einen fiktionalen Film zu entwerfen und zu inszenieren. Er steht in einer mehr expressionistischen Tradition und beruht auf wahren Geschehnissen. Die beiden Filme haben unbestreitbare Ähnlichkeiten, weil ich bei beiden mit dem gleichen Team zusammengearbeitet habe. Beide Filme sind im hohen Grade unabhängig und ohne große finanzielle Ressourcen entstanden. Die Kamera führte bei beiden Filmen Eric Cinq-Mars und die Musik stammt von den „Frères Lumières“, was natürlich dafür sorgt, dass in ihnen eine ähnliche Atmosphäre herrscht. Sie wurden auch beide von DESC Images produziert, einer kleinen Produktionsfirma, deren Teilhaberin ich bin, und daher sind diese beiden Filme das Ergebnis gemeinschaftlicher Anstrengung.

The Black Case

„Roberta“ ist ganz anders als „The Black Case“. Der Film ist in Farbe, er hat Humor, Dialoge und ein höheres Budget. „Roberta“ ist für mich ein Sprungbrett, um die Möglichkeiten fiktiver narrativer Filme besser zu verstehen. Er basiert auf Kindheitserinnerungen meiner Großmutter, und das Genre erlaubte mir, mit Stil, Improvisation, Ton, Emotion und Spannung zu spielen. Ich denke immer noch, dass „Roberta“ kein konventioneller Spielfilm ist, sondern von meiner Ästhetik und Art, eine Geschichte zu erzählen, einiges bewahrt. Ich habe Filme geschaffen, die nicht so ganz in die konventionelle Tradition des Filmemachens passen, zwischen Kunst und Kino, zwischen Erzählung und Experiment.

Interview: Jörg Schöning

Caroline Monnets Filme im Kanada-Programm
„Familiar Strangers“ – Do, 11.6., 20 Uhr, Zeise 2 | Sa, 13.6., 17.30 Uhr, B-Movie
„(Northwest) Passages“ – Fr, 12.6., 18 Uhr, B-Movie | So, 14.6., 17.15 Uhr, Zeise 1

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