„Kunst in der Klinik“: Die Lichter von Haus 23

„Kunst in der Klinik“: So nennt sich eine Gruppe von Künstlern mit psychischer Erkrankung, die auf dem Gelände der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll Woche für Woche produktiv werden und visuelle Statements gegen die Stigmatisierung von psychisch erkrankten Menschen setzen
„Über das Malen eine Gemeinschaft erzeugen“: Sabine Schönleiter, Organisatorische Leiterin von KiK (©Philipp Müller)

Der dichte Regen weicht die Wege auf, der kalte Wind fegt Wellen über die Pfützen. Auch das Sonnenlicht wird das Grau der Wolkendecke wohl nicht mehr zerschneiden können – heute, an diesem Dezemberdienstag auf dem Gelände der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll. An solchen Wintertagen, an denen die Menschen in die Innenräume gedrängt werden, scheint auch hier, in einem der deutschlandweit größten Fachzentren für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik mit seinen 29 Gebäuden samt Parkanlage, die Welt stillzustehen. Doch in Haus 23 schimmert Leben auf. Die Kellerfenster sind hell erleuchtet, aus dem Souterrain steigen Lichter auf. Das Geländer zum Treppenabgang auf der Rückseite des Gebäudes ist bunt besprüht, über der Klingel an der Tür hängt ein kleines handgemaltes Schild mit drei schwarz-roten Buchstaben: KiK. Doch so unscheinbar hier alles wirken mag – diese drei Buchstaben markieren den Eingang in eine ungeahnte Welt voller Fantasie und kreativer Energie.

Ausdruckswillen und Schöpfungskraft

„KiK steht für Kunst in der Klinik: eine Gruppe von ungefähr 20 Menschen mit psychischen Erkrankungen und künstlerischen Ambitionen“, erzählt die Sozialpädagogin Sabine Schönleiter, die sich seit 2010 überwiegend ehrenamtlich um die organisatorische Leitung von Kunst in der Klinik kümmert. „Unsere Künstler kommen aus unterschiedlichen Lebenssituationen und auch die Gründe, die sie zur Gruppe geführt haben, sind verschieden. Doch sie alle verbindet die Leidenschaft, sich kreativ mit den Themen und Dingen auseinanderzusetzen, die sie beschäftigen.“ So individuell und vielseitig wie die Künstler selbst sind auch ihre Arbeiten.

Viele davon schmücken den schmalen Korridor im Untergeschoss von Haus 23, von dem mehrere Ateliers und Lagerräume seitlich abgehen. Saftig grüne Landschaftsgemälde oder farbenprächtig marmorierte Formenspiele hängen dort neben feinsinnigen Collagen in Schwarz-Weiß oder detailrealistischen Bleistiftzeichnungen. Die Räume sind angefüllt mit Ausdruckswillen und Schöpfungskraft, Konkurrenzkampf und Missgunst haben hier keinen Platz. Im Nebeneinander der ausgestellten Werke wird die Harmonie innerhalb der Gruppe und der respektvolle Umgang miteinander förmlich greifbar.

Kunst in der Klinik seit 1998

Kunst in der Klinik
Künstlerin Irmi Vagts vor einigen ihrer Werke (©Philipp Müller)

Seinen Ursprung nahm KiK 1998, als mehrere Künstler während des Weltpsychiatriekongresses in den Räumen des damaligen Allgemeinen Krankenhauses Ochsenzoll gemeinsam ausstellten. Unter der Leitung von Horst Thalmeier und Manfred Voepel gründete sich daraufhin Kunst in der Klinik mit der Idee, nicht nur zu Ausstellungen zusammenzukommen, sondern auch miteinander zu malen und sich darüber auszutauschen. 2010 erkrankte der Gründer Manfred Voepel schwer – woraufhin Sabine Schönleiter das Projekt gemeinsam mit der Kunsttherapeutin und Werbegrafikerin Sabine Dähnhardt übernahm. „Noch immer ist es unser größtes Anliegen, über das Malen eine Gemeinschaft zu erzeugen, in der sich unsere Mitglieder willkommen, zugehörig und frei fühlen, in der sie sich kreativ ausleben können und mit anderen in den Austausch kommen, die ihre Interessen teilen.“ Um den Kontakt untereinander zu pflegen oder am Arbeitsplatz produktiv zu werden, trifft sich die Künstlergruppe jede Woche für zwei Stunden an einem fixen Termin.

Nicht selten wird dann aber auch erst mal geplaudert und Tee getrunken anstatt still und konzentriert gearbeitet. Denn Kreativität kennt keine festen Termine. Umso wichtiger ist es, dass die Künstler auch außerhalb der Treffen jederzeit die Räumlichkeiten nutzen können, die die Asklepios Klinik ihnen kostenlos zu Verfügung stellt. So konnten in den letzten Jahren unglaublich viele Werke entstehen. Einige davon lagern vor Ort. Einige verlassen das Lager auch, wenn sie verkauft werden. Der Erlös kommt dabei zu 80 Prozent den Urhebern selbst zugute, mit den restlichen 20 werden Materialien beschafft. Diverse Bilder hängen auch als Dauerleihgaben in verschiedenen Einrichtungen der umliegenden Gegend, wie der Tagesklinik Steilshoop oder der Tagesklinik Langenhorn. Immer wieder finden die Werke der Künstler aber auch den Weg in andere Ausstellungsräume.

Gegen Stigmatisierung

Kunst in der Klinik
Allerhand Werke zieren den Eingangsflur in Haus 23 auf dem Gelände der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll (©Philipp Müller)

In der Vergangenheit stellte KiK etwa bei Fördern & Wohnen in Farmsen oder im Kulturschloss Wandsbek aus. Regelmäßig präsentiert die Gruppe ihre Arbeiten auch in der Sparkasse Ochsenzoll. „Die emotionalste Schau aber“, erinnert sich Sabine Schönleiter, „war sicherlich in der Markuskirche in Hoheluft. Alle Beteiligten hatten sich so viel Mühe gegeben, die Werke sahen großartig aus im Kirchenraum und die Menschen kamen miteinander ins Gespräch.“ Das bisher größte Event fand vor einigen Jahren statt – in der Finanzbehörde Hamburg mit über 100 Bildern. Dafür waren auch Mitarbeit und Eigenverantwortung der KiK-Künstler ganz besonders notwendig – Dinge, die Sabine Schönleiter in Zukunft weiter stärken möchte. „Dafür ist die Atmosphäre bei uns ganz entscheidend. Gerade in Bezug auf die psychische Verfassung der Künstler braucht es eine gesunde und angenehme Gruppendynamik. Es ist immer wieder schön zu beobachten, wie mit der Stärkung des Selbstbewusstseins auch mehr Eigeninitiative einhergeht.“

Doch ist Kunst in der Klinik als soziale und künstlerische Gemeinschaft nicht nur für seine Mitglieder wichtig. Alles, was die Gruppe produziert und ausstellt, ist ein offener Ausspruch gegen die Stigmatisierung von psychisch erkrankten Menschen und wirbt für mehr Toleranz in der Gesellschaft. In diesem Sinn kann man kann sich nur noch mehr Ausstellungen wünschen – um noch mehr Möglichkeiten zu kreieren, in den Dialog zu treten: Denn jede bemalte Leinwand ist ein Gesprächsangebot und jedes gestaltete Blatt öffnet die Tür zu den faszinierenden Welten, die unter den Händen der Künstler von KiK entstehen – hier, im hell erleuchteten Keller von Haus 23.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2024 erschienen.

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