Kunsthaus: Gegen Mief und Kommerz

Wie Künstler:innen wie Tabea Blumenschein, Rabe perplexum und Hilka Nordhausen gegen das Kunst-Establishment aufbegehrten, zeigt die Ausstellung „Exzentrische 80er“ im Kunsthaus Hamburg
Buch Handlung Welt (1976–1983), Marktstraße 12, n.d. (© Michael Kellner)
Buch Handlung Welt (1976–1983), Marktstraße 12, n.d. (© Michael Kellner)

In den 80er-Jahren traf die Hamburger Avantgarde sich in der Markstraße 12. Hinter dem großen Schaufenster der „Buch Handlung Welt“, die von der Künstlerin Hilka Nordhausen (1949–1993) betrieben wurde, brodelte die Subkultur. Lesungen, Filmscreenings, Performances, Pop, Punk und jede Menge Kunst fanden statt. Monatlich wurden die Wände übermalt und dabei machten Albert Oehlen, Werner Büttner oder Martin Kippenberger mit. Allen Ginsberg las gleich zweimal dort. Jan Kerouac, die Tochter von Jack Kerouac, schaute vorbei.

„Buch Handlung Welt war mein Anschlag auf die Wirklichkeit“, sagte Nordhausen über ihren Laden, der „Action in den Kunstmief bringen wollte“ und „die Macht der Galerien brechen“. Ganz so wie sich Tabea Blumenschein in Berlin und Rabe perplexum in München für eine unabhängige Kunst stark machten. Ihr Werk haben die Künstler:innen Ergül Cengiz, Angela Stiegler und Philipp Gufler erforscht und mit eigenen Arbeiten erweitert und das alles ist jetzt im Kunsthaus zu sehen. Wir sprachen mit Ergül Cengiz von dem Künstlerinnen-Kollektiv „3 Hamburger Frauen“ über die Reise zurück in die 80er, den Wunsch nach Veränderung und den Parallelen zu heute.

Arbeiten auf eine neue Weise präsentiert

Hilka Nordhausen, in der Buch Handlung Welt neben dem Wandbild von Peter Dietrich Schöne Straße, Juli 1978 (© Michael Kellner)
Hilka Nordhausen, in der Buch Handlung Welt neben dem Wandbild von Peter Dietrich Schöne Straße, Juli 1978 (© Michael Kellner)

SZENE HAMBURG: Ergül Cengiz, was hat euch zurück in die 80er-Jahre gebracht?

Ergül Cengiz: Schon bevor es überhaupt zu der Ausstellung kam, haben wir uns ganz unabhängig voneinander mit Hilka Nordhausen, Tabea Blumenschein und Rabe perplexum beschäftigt. Die drei sind vor allem lokal bekannt, aber sehr interessant. Auch für unsere eigene künstlerische Praxis. Obwohl ihre Arbeiten schon 40 Jahre zurückliegen, gibt es große Parallelen. Sie arbeiteten gerne kollektiv, ihre Kunst ist ephemer und kommerziell schwer zu nutzen. Irgendwann hatte die Kunsthistorikerin Burcu Dogramaci deshalb die Idee, die drei Künstlerinnen aus Hamburg, Berlin und München zusammenzubringen.

Ich glaube, das Bedürfnis, etwas zu verändern hatte eine ganz andere Kraft damals.

Ergül Cengiz

Ihr habt ihre Werke „befragt und aktiviert“. Was bedeutet das? 

Die drei haben gemalt, geschrieben, performt oder arbeiteten an und in Filmen. Wir haben versucht, das wieder sichtbar und erlebbar zu machen. Auch deshalb ist die Ausstellung so wichtig. Denn sie präsentiert ihre Arbeiten auf neue Weise und macht sie ganz frisch erlebbar. Aus Nordhausens Übermalungen zum Beispiel entstand eine Diashow. 

Was ist sonst in der Ausstellung zu sehen? 

Originale und Archivmaterialien, Filme, Publikationen und anderes, das um ihre Arbeiten herum entstanden ist. Das Besondere ist, dass wir die Werke von den dreien unter den Oberthemen Widerspenstig, Verwandlung und Bandenbildung miteinander vermischen. Denn es geht darum, ein Phänomen sichtbar zu machen, das unabhängig voneinander in Berlin, Hamburg und München entstand. Alle drei haben im Kollektiv und in den verschiedensten Konstellationen gearbeitet. Und auch wenn sie sich nicht wirklich kannten, waren ihre Wege sehr ähnlich. Wir schaffen ihnen verschiedene Bühnen auf denen sie präsentiert werden. Dabei arbeiten wir mit vielen Reproduktionen, damit wir mehr Freiheiten im Umgang mit dem Material haben. Manches präsentieren wir unter Plexiglasplatten und man kann überall herumlaufen.

Das ist „auch eine extreme Selbstausbeutung“

Ausschnitt Old Fashioned 3 HHFrauen Wandarbeit im Kunstverein Hamburg 2017, (©Ergül Cengiz/3 Hamburger Frauen)
Ausschnitt Old Fashioned 3 HHFrauen Wandarbeit im Kunstverein Hamburg 2017, (©Ergül Cengiz/3 Hamburger Frauen)

Welches sind die wichtigsten Parallelen zu heute?

Zu unseren eigenen Arbeiten das Ephemere und Unkommerzielle, Flüchtige. Ansonsten, dass es noch immer sehr schwierig ist, als Künstler:in über die Runden zu kommen. Und dass man in der Gruppe einfach viel mehr auf die Beine stellen kann. Aber natürlich gibt es auch Unterschiede. Als Nachkriegsgeneration mussten sie sich mit der Geschichte und mit ihren Familien auseinandersetzen. Ich glaube, das Bedürfnis, etwas zu verändern hatte eine ganz andere Kraft damals. Wie die drei gelebt und gearbeitet haben, war schon eine krasse Abgrenzung von dem gesellschaftlichen Leben der Zeit.

Von der „Es geht voran“-Mentalität der Zeit?

Ja, alle priesen, dass das Land jetzt wieder aufblüht. Dagegen stemmten sie sich alle drei. Sich wie Hilka Nordhausen jeden Tag in einen Laden wie die Buch Handlung Welt zu setzen und seine Kraft in nicht-kommerzielle und verschwindende Aktionen zu stecken, ist super, aber auch eine extreme Selbstausbeutung. Es muss schwer gewesen sein das durchzuhalten. 

Ein Rahmenprogramm im Karoviertel

Wie war das Karoviertel in der Vorbereitung als Ort für dich?

Ich bin schon ein paar Mal hingegangen. Aber natürlich hat sich seit den 80ern viel dort verändert. Wo die Buch Handlung Welt war, ist jetzt eine Boutique. Viel wichtiger für mich waren die Begegnungen mit den Zeitzeug:innen. Durch die Gespräche mit ihnen ist die einstige Zeit für mich sichtbar geworden. Und das Schöne ist, dass sie im Karoviertel ein Rahmenprogramm zu unserer Ausstellung machen. Auch zwei Rundgänge gehören dazu. 

Du selbst bist Teil des Künstlerinnen-Kollektivs 3 Hamburger Frauen. Was zeigt ihr in der Schau?

In der Auseinandersetzung mit den drei Künstlerinnen wurde das Schichten als Motiv für uns immer wichtiger. Gerade bei Hilka Nordhausen. Sie hat nicht nur selbst die Übermalungen gemacht, sondern in der Buch Handlung Welt gab es ja auch die Schichten von übermalten Bildern an der Wand. Im Kunsthaus zeigen wir ganz dünne Stoffe, die bemalt und beschrieben übereinander hängen. Ihr Format entspricht genau der Wand mit den Übermalungen in der Buch Handlung Welt. Auch 200 Namen der Beteiligten von damals sind darauf festgehalten. Dass sie nicht verschwinden, finde ich sehr wichtig.

Noch bis Ende Mai 2023 im Kunsthuas Hamburg

Die Ausstellung „Exzentrische 80er“ mit Werken von Tabea Blumenschein, Hilka Nordhausen, Rabe perplexum und Kompliz*innen aus dem Jetzt, ein Ausstellungsprojekt von Burcu Dogramaci, Ergül Cengiz, Philipp Gufler, Mareike Schwarz und Angela Stiegler, ist noch bis zum 21. Mai 2023 im Kunsthaus Hamburg zu sehen.

Das Rahmenprogramm

Vom 28. April bis 5. Mai läuft „Nukleus-Karoviertel & die 70er/80er-Jahre“ als Rahmenprogramm zur Ausstellung im Karoviertel mit Zeitzeug:innen um Hilka Nordhausen.
 am 29. April um 15 Uhr sowie am 4. Mai um 17 Uhr werden Quartiers-Rundgänge angeboten. Dazu kommen im Lesungen und Live-Events Farbwerk M6.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 04/2023 erschienen.

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