Was steht eigentlich im rot-grünen Koalitionsvertrag? Für SZENE HAMBURG schauen freie Künstler, Umweltexperten und Netzaktivisten genau hin
Die Umwelt
Umweltjournalistin Katja Morgenthaler über Fahrradstadt, dicke Luft und Uran im Hafen. Ein Kommentar zum Koalitionsvertrag
Wir haben Probleme mit dem CO2-Ausstoß? Lasst uns ein Kohlekraftwerk nach Moorburg bauen! Autos parken die kümmerlichen Radwege zu? Dürfen sie, sind ja so viele!
Es scheint Hamburger zu geben, die nicht alles so lassen wollen, wie es ist in Europas „Umwelthauptstadt“ 2011. Mehr als zwölf Prozent von ihnen haben am 15. Februar Bündnis 90/Die Grünen gewählt. Kein schlechtes Ergebnis für den Umweltschutz. Es spiegelt sich nur leider kaum im Koalitionsvertrag wider.
„In Hamburg ist der Trend zum Radfahren ungebrochen“, müssen wir schon auf Seite 36, nach der Auflistung aller sechs- bis achtspurigen Ausbauvorhaben für Autobahnen und Bundesstraßen lesen: „Immer mehr Radfahrerinnen und Radfahrer“ formulierten „ihren Wunsch nach guten Radfahrmöglichkeiten“. Nee, echt jetzt? Hamburg zur „Fahrradstadt“ zu machen, ist das wohl grünste Projekt des Papiers. Im Laufe der 2020er Jahre – also irgendwann nach dem jetzigen Senat – soll sich der Anteil des Radverkehrs auf 25 Prozent verdoppeln. Eine Marke, die Bremen schon 2013 knackte – um von echten Vorbildern wie Kopenhagen mal ganz zu schweigen.
Wer dem Fahrrad Platz einräumen möchte, muss ihn dem Auto wegnehmen: müsste. Irgendein Wille in diese Richtung ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil. Wenn kein Wunder geschieht, bleibt Hamburg auch in dieser Legislaturperiode Deutschlands größte Stadt ohne Umweltzone. Eine Stadtmaut für den individuellen Motorverkehr ist ebenso wenig in Sicht. Dabei werden die verbindlichen EU-Grenzwerte für schädliche Stickoxide ständig überschritten. Im November hat ein Gericht die Stadt dazu verdonnert, das zu ändern. Wie das gehen soll, ohne Autofahrern wehzutun, will sich der Senat in den nächsten zwei Jahren ganz in Ruhe überlegen.
Beerdigt ist erneut eine Stadtbahn, die schneller vorangekommen wäre und mehr Fahrgäste gefasst hätte als Busse. Nichts für ungut, aber ein großer Wurf in dieser Hinsicht ist das Busbeschleunigungsprogramm nicht. Immerhin soll die U5 zügig weiter geplant werden. Ob für die Schienenanbindung solch attraktiver Wohnlagen wie Steilshoop und Osdorfer Born angesichts einer möglichen Olympiabewerbung auf den letzten Metern dann wirklich Geld da ist, bleibt abzuwarten.
Und sonst? Wenn der Scholzomat 2050 fast das heutige Alter von Helmut Schmidt erreicht haben wird, will die Stadt 80 Prozent weniger CO2 ausstoßen als 1990. Bis 2020 begnügt sie sich damit, „Anstrengungen“ zu „verstärken“ und zum nationalen Klimaziel beizutragen. Vorreiter sehen anders aus.
Eine Elbvertiefung wird kommen, falls die Gerichte es nicht noch verhindern. Dafür sollen mehr Schiffe mit Strom von Land versorgt werden. Strahlenfracht darf aber weiter festmachen … Umweltbewusste Wähler überkommt da wenig Lust, ihr Kreuz nächstes Mal wieder bei den Grünen zu machen. Die Frage ist nur: Wo sonst?
Die Kunst
Georg Kühn, freier Künstler aus Hamburg, hat sich das Kunst-Kapitel im Rot-Grün-Papierwerk angeschaut. Ein Kommentar
Hamburg braucht Platz für menschliche Begegnung, für Kultur, freies Durchatmen und stadtverträgliche Mobilität.“ Wer wollte da widersprechen? Und wie sollte man das irgendwann einklagen? Südlich der Elbe wird die Verheißung schon etwas konkreter, der Veringkanal soll „KulturKanal“ werden – und Kunst als Entwicklungspionier dienen. Oft sind solche Verzierungen obsolet, wenn das Kapital nachzieht. Noch aber wird hier Leerstand verwaltet. Diese Initiative wird vor allem von den Grünen gefördert, deren Basis den Koalitionsvertrag insgesamt skeptisch und unter Schmerzen durchgewunken hat.
Auf Seite 94 (von 115) des Koalitionsvertrags findet sich schließlich das Thema Kultur: „Die Vielfalt der Kultur in Hamburg macht ihren Reichtum aus“ – genannt werden Kunsthalle, Reeperbahn Festival, Staatsoper und Kinderbuchhaus. Allesamt etablierte Institute, die, so heißt es weiter „Millionen von Touristinnen und Touristen“ anlocken, sodass man „die Finanzierung der kulturellen Institutionen auch in Zukunft angemessen ausstatten“ wird. Aus allen diesen Sätzen spricht laut die merkantile Sicht auf urbane Kultur, wie sie die SPD bereits seit Langem einnimmt. Sinnfreier Selbstzweck, subversive Gegenentwürfe oder gesellschaftliche Utopien als kulturelles Motiv kann der Politik offensichtlich nicht dienen.
So erfährt man später auch, dass „mit öffentlichen wie privaten Investitionen in die Kunstmeile mehr international bedeutende Ausstellungen nach Hamburg geholt werden“ sollen. Für immer Erste Liga (aber an der Nachwuchsförderung hapert’s, wenn das nicht auf Dauer zum Abstieg führt)! Allerdings auch bedacht werden soll die Provenienzforschung, sicherlich nicht ganz ohne internationalen Druck und im Sinne des Washingtoner Abkommens von bereits 1998!
Immerhin steht die Entwicklung von neuen Atelierflächen unter anderem in der Stockmeyerstraße explizit im Vertrag, wenn auch begleitet von weichen Formulierungen wie „Kulturelle Impulse für die Quartierentwicklung sollen auch die Möglichkeit erhalten, Förderung aus der Kulturtaxe zu erlangen“ (die bisher vor allem Großevents zugutekam) oder „mit einer proaktiveren Liegenschaftspolitik mehr günstige temporäre Flächen für Kreative einerseits und weniger Leerstand andererseits erreichen“. Eine geschmeidigere Sprinkenhof AG könnte tatsächlich viele interessante Kunsträume bieten, ob das allerdings je Realität wird, muss bezweifelt werden, hier regiert die Finanzbehörde. Um mal ungefähre Zahlen zu nennen: Der Haushalt beträgt etwa 11 Milliarden, die Kulturtaxe 11 Millionen, die freie Szene erhält etwa 110.000 Euro.
Ein Koalitionsvertrag dient wohl der allgemeinen Ausrichtung, wer konkrete Zahlen und Zusagen erhofft, wird hier leider enttäuscht. Die Zukunft wird zeigen, ob diese schwammig formulierten Ziele weiter verfolgt wurden oder ob sie nur als Beruhigungspillen zum wirtschaftsgläubigen Kurs der SPD gereicht wurden.