SZENE HAMBURG: Frau Hoffmeister, Herr Moritz, falls es tatsächlich noch Hamburger geben sollte, die noch nie etwas von der Langen Nacht der Literatur in Hamburg gehört haben: Wie muss man sich das Ganze konkret vorstellen?
Christiane Hoffmeister: Unvorstellbar, dass es Menschen gibt, die die Lange Nacht der Literatur nicht kennen. Aber für die seltenen Fälle: Wir hätten es lieber Langen Tag nennen sollen, da wir mit unserer ersten Veranstaltung in diesem Jahr tatsächlich bereits um 12.00 Uhr beginnen. Dann geht es Schlag auf Schlag, ganz Hamburg wird zur literarischen Bühne. Überall finden Lesungen, Gespräche, Poetry-Slams rund um die Literatur statt.
Sie haben das Event vor zehn Jahren ins Leben gerufen. Was war der Grund dafür? Welche Intention hatten Sie dabei?
Hoffmeister: Der Grund war die Lücke. Es gab die Lange Nacht für das Theater und die Museen, aber nicht für die Literatur. Wichtig war auch zu zeigen, wie vielfältig und groß wir aufgestellt sind. Jede Buchhandlung für sich leistet tolle Arbeit, aber gemeinsam sind wir besser und sichtbarer.
Zehn Jahre Lange Nacht der Literatur
Hatten Sie anfangs Schwierigkeiten, die Leute von Ihrer Idee zu überzeugen und zum Mitmachen zu überreden oder sind Sie damit direkt auf offene Ohren gestoßen?
Rainer Moritz: Das erste Jahr war noch etwas holperig. Unsere Begeisterung war so total, da konnten wir gar nicht verstehen, warum nicht alle in Jubel ausbrechen. Aber manchmal hilft etwas Geduld und nun sind wir mehr als zufrieden.
Dieses Jahr feiern Sie zehnjähriges Jubiläum mit der Langen Nacht der Literatur. Wie hat sich das Event über die Jahre verändert?
Moritz: In den ersten Jahren waren es hauptsächlich Buchhandlungen, die teilgenommen haben. Jetzt sieht es ganz anders aus: Es gibt viele weitere kreative Köpfe und Orte, die für gute Literatur sorgen. Die Hamburger Bücherbusse und das Sisters Network sind zum Beispiel in diesem Jahr dabei.
Wie viele teilnehmende Buchhandlungen gibt es dieses Jahr?
Moritz: 25 Buchhandlungen sind dabei.
Sind anlässlich des Jubiläums besondere Feierlichkeiten geplant? Was sind die diesjährigen Highlights?
Hoffmeister: Es wird, wie immer, eine große Abschlussparty geben. Die besonderen Extras werden aber noch nicht verraten.
Die literarische Bandbreite der Hansestadt
Haben Sie das Gefühl, mit Ihrem Event dazu beigetragen zu haben, dass die Menschen sich wieder mehr für Literatur interessieren und mehr lesen?
Moritz: Nein, das glauben wir nicht. Aber unser Wunsch wäre, dass die Leute die große Bandbreite wahrnehmen und sehen, was die verschiedenen Stadtteile alles möglich machen. Duvenstedt, Wilhemsburg, Klein Borstel, Niendorf – die haben alle etwas zu bieten.
Frau Hoffmeister, Sie betreiben seit mehr als drei Dekaden das Büchereck Niendorf Nord und haben daher über die Jahre viel mitbekommen, was den Literaturbetrieb angeht. Was macht Ihnen in Bezug auf Bücher gerade Sorgen, was macht Ihnen Hoffnung?
Hoffmeister: Sorgen machen mir die hohen Kosten überall, die manche kleine Verlage und möglicherweise auch Buchhandlungen in die Knie zwingen könnten. Vielfalt finde ich toll und die könnte bei einer weiteren Konzentration auf der Strecke bleiben. Hoffnung habe ich aber, wenn ich sehe, wie viele junge Menschen gerade in die Buchhandlungen kommen oder auch online bei uns einkaufen. Was haben wir gejammert, dass uns das junge Publikum fehlt. Jetzt ist es da und das stimmt mich hoffnungsvoll.
Gibt es gerade spannende Trends auf dem Buchmarkt, Frau Hoffmeister?
Hoffmeister: Einen sehe ich gerade ganz deutlich und das ist das Phänomen TikTok beziehungsweise BookTok. Wie großartig zu sehen, was dort gerade an Austausch stattfindet. Mich begeistert das. Nun können alle meckern und über die vielen bunten Bücher klagen. Ich bin mit „Hanni und Nanni“, „Dolly“ und „Fünf Freunde“ groß geworden. Hat mir nicht geschadet, hat einfach Spaß gemacht. Und wenn Literatur das kann, dann bin ich glücklich.
Das Buch steht nicht so schlecht da, wie viele vielleicht denken
Rainer Moritz
Der Buchhandel meistert Krisen
Als seinerzeit Online-Buchhändler wie Amazon und Co. auftauchten, hat das viele Buchläden in Bedrängnis gebracht und es wurde der Tod aller Buchhändler*innen vorhergesehen? Nun, im Jahr 2023, wirkt es nach außen zumindest so, als wären die Buchläden nach wie vor vorhanden. Wie geht es dem online-unabhängigen Buchmarkt in Deutschland gerade wirtschaftlich?
Hoffmeister: Das kann man sicherlich nicht so pauschal sagen. Das hängt auch immer von den lokalen Gegebenheiten ab. Wir glauben aber, dass wir gezeigt haben, dass wir Krisen meistern können. Wir mussten schon sehr früh auf Amazon reagieren und das haben wir gut hinbekommen. Der Großteil der Buchhandlungen ist mit eigenen Onlineshops ausgestattet und das läuft bestens. Corona war auch nicht ohne, haben wir geschafft. Krieg und Inflation ist für alle ein Thema. Auch wir merken den steigenden Kostendruck. Wir wissen es daher nicht so genau, es könnte für einige von uns schwierig werden. Aber: Wir sind schon so häufig für tot erklärt worden und immer noch da.
Über die letzten Jahre hat das Medium Buch als Möglichkeit der Unterhaltung starke Konkurrenz bekommen: Videospiele, soziale Medien, Streamingdienste et cetera. Wie schätzen Sie beide den Stellenwert des Mediums Buch insbesondere für junge Leute derzeit ein? Haben Bücher bei der jungen Zielgruppe an Anziehungskraft verloren?
Moritz: Sicherlich sind viele andere Medien für junge Leute interessanter, aber das Buch steht nicht so schlecht da wie viele vielleicht denken. Man braucht nur die richtigen Themen und den richtigen Ort, an dem wir die Jugendlichen abholen können – dann geht das auch. Hoffmeister: Und ganz ehrlich: Es gab immer Gruppen von Menschen, die nicht gelesen haben. „Die Jugend von heute liest nicht mehr“, das stimmt so einfach nicht.
2.9., 10. Lange Nacht der Literatur mit Veranstaltungen in der ganzen Stadt, gemeinsamer Abschluss im Literaturhaus
Dieser Artikel ist in einer ersten Version in der SZENE HAMBURG 09/2023 erschienen.