Laura Tonke: „Ich habe blind auf ein Ziel hingearbeitet“

Lange war sie nur in Autorenfilmen zu sehen, nun ist sie im Mainstream angekommen: Laura Tonke. Im Interview anlässlich ihres neuen Films „Alles Fifty Fifty“ erzählt sie unter anderem von der schwierigen Zeit nach dem Gewinn des deutschen Filmpreises
Mittlerweile im Mainstream-Kino: Laura Tonke (©Hella Wittenberg)

SZENE HAMBURG: Laura, wer „Alles Fifty Fifty“ sieht, dem fällt sofort auf, wie gut du mit Moritz Bleibtreu auf der Leinwand als Paar funktionierst. Ihr habt ja bereits in „Caveman“ ein Ehepaar gespielt. Kommt daher diese Chemie zwischen euch?

Laura Tonke: Ja. Wenn man ein Paar spielt, und sich bereits kennt, ist das immer ein Riesenvorteil. Wobei man sagen muss, dass Moritz und ich bereits bei unserem ersten Casting für „Caveman“ supergut funktioniert haben. Und das, obwohl wir sehr unterschiedliche Spielweisen haben.

Nämlich?

Ich spiele von innen nach außen, denke nicht darüber nach, sondern lasse mich selbst überraschen, was dabei herauskommt. Moritz hingegen weiß sein Gesicht komplett zu kontrollieren, da sitzt jeder Blick perfekt. Man merkt ihm an, dass er früher wahrscheinlich viel vor dem Spiegel gestanden und das trainiert hat. Ich finde das total interessant, wie er das macht. Und er findet es interessant, wie ich das mache – obwohl bei mir manchmal total bescheuerte Gesichter entstehen. Aber da darf man nicht eitel sein.

Könntest du dir vorstellen, noch mal mit Moritz zu drehen?

Ja, das ist sogar mein geheimer Plan: eine Trilogie. Am liebsten so was wie „Mr. and Mrs. Smith“ oder „Der Rosenkrieg“ – also noch mal ein Pärchen, aber mit tödlichem Ende.

Weiß Moritz davon?

Ja, hat ihn aber nicht weiter interessiert. (lacht)

Leinwandpaar: Laura Tonke und Moritz Bleibtreu in „Alles Fifty Fifty“ (©Leonine)

Warum Laura Tonke jetzt auch Mainstream-Filme macht

Was war für dich der ausschlaggebende Punkt, die Rolle in „Alles Fifty Fifty“ anzunehmen?

Ich wollte auf jeden Fall noch mal mit Moritz spielen, aber auch mal mit Alireza Golafshan arbeiten und nach „Caveman“ noch einen weiteren kommerziellen Film machen. Meine Rolle der Marion mochte ich anfangs allerdings überhaupt nicht.

Nein? Wieso nicht?

Andi, die Figur von Moritz, hatte den Witz, die Entspanntheit – das gefiel mir. Marion fand ich schrecklich in ihrer ganzen Art. Die größte Arbeit bestand für mich daher darin, mir den Schuh von dieser Person anzuziehen, der mir überhaupt nicht gepasst und mich total genervt hat. Ich hatte da permanent so ein Unbehagen, als wenn man als Teenager gesagt bekommt, dass man abspülen soll: „Och, nö – ich will nicht!“ Aber als ich die Figur dann für mich gefunden und mich durch dieses Elend durchgejammert hatte, wollte ich sie gar nicht mehr loslassen. Da hat es richtig Spaß gemacht.

Wenn du in einer bestimmten Schublade steckst, kommst du da nur sehr schwer wieder heraus

Laura Tonke

Weil du gerade selbst die Kommerzialität angesprochen hast: Du stehst ja bereits seit über dreißig Jahren vor der Kamera, hast dich lange aber vor allem als Schauspielerin für Autorenfilme gesehen. Warum nun die Öffnung zum Mainstream?

Weil ich es einfach leid war, das ich drehe und drehe und drehe, aber niemand die Filme sieht. Und als meine Freundin Laura Lackman mir von „Caveman“ erzählt hat, habe ich eine reelle Chance gesehen, von ihr zum Casting eingeladen zu werden und besetzt zu werden. Denn das Problem ist: Wenn du in einer bestimmten Schublade steckst, kommst du da nur sehr schwer wieder heraus, sprich: Wenn man Arthouse macht, wird man für Mainstream-Filme überhaupt nicht in Betracht gezogen. Ich habe immer wieder Sätze gehört wie: „Du warst ganz toll, wir hätten dich gerne besetzt, aber wir mussten leider einen Namen nehmen.“

Es geht also nicht um die schauspielerische Qualität, sondern darum, ob man eine bekannte Marke ist?

Ganz genau. Es gibt da scheinbar eine unsichtbare Grenze, die ich durchbrechen wollte. Und das ist mir durch „Caveman“ hoffentlich gelungen.

Laura Tonke im Rampenlicht

Man hätte vermutet, dass du diese Grenze spätestens 2016 durchbrochen hast, als du zwei deutsche Filmpreise gewonnen hast – den für die beste Hauptrolle in „Hedi Schneider steckt fest“ und den für die beste Nebenrolle in „Mängelexemplar“.

Hätte ich auch gedacht. War aber nicht so. Als ich diese Filmpreise gewonnen habe, habe ich anderthalb Jahre Pause gemacht.

Warum?

Weil ich nicht darauf vorbereitet war, was da auf mich eingebrochen ist. Das hat mich vollkommen aus der Bahn geworfen. Ich wusste gar nicht mehr so recht, wer ich eigentlich bin, wo ich stehe, was ich will. Deshalb die Pause. Obwohl ich mir die gar nicht leisten konnte – weder finanziell, noch karrieretechnisch. Es gibt aber allgemein so ein Phänomen, dass viele Schauspieler:innen nach dem Gewinn großer Preise erst einmal eine Flaute haben.

Dieses Stehen im Rampenlicht habe ich aber total unterschätzt

Laura Tonke

Ach ja? Wieso?

Weil plötzlich alle denken, dass man nicht mehr an sie rankommt, weil sie nun total gefragt sind – dadurch setzt dann das Gegenteil ein. Total verrückt eigentlich.

Was genau ist denn damals auf dich eingebrochen?

Als ich plötzlich im Fokus stand, ist mir erst bewusst geworden, dass ich all die Jahre zuvor nur im Schatten mitgelaufen bin. Dieses Stehen im Rampenlicht habe ich aber total unterschätzt. Mir fällt dazu der Satz ein: „Be careful what you wish for.“ Oder auch: „Du musst immer einen Schritt nach deinem Ziel weiterdenken.“ Das habe ich aber nicht getan. Ich habe blind auf ein Ziel hingearbeitet, und als ich das erreicht hab, stand ich an einem Abgrund.

Wie bist du damit umgegangen?

Das war keine sehr schöne Zeit. Aber ich habe das als Chance begriffen, mich wieder neu zusammengesetzt und bin dadurch gestärkt daraus hervorgegangen.

In der Rolle bleiben

Magst du es lieber, Figuren zu spielen, die möglichst weit von dir weg sind oder lieber solche, denen du in bestimmten Facetten ähnlich bist?

In letzter Zeit habe ich lieber Figuren gespielt, die etwas weiter weg von mir sind. Aber ich ziehe die Figuren eh immer an mich ran, um sie zu greifen und verinnerlichen zu können. Das führt aber auch dazu, dass es viele emotionale Ausschläge gibt – nach oben und nach unten. Das bekommt auch meine Familie ab.

Inwiefern?

Bei mir ist es so, dass ich während eines Drehs gerne in meiner Rolle bleibe. Aber das ist für meine Familie natürlich oft schwierig – gerade bei sehr fordernden Rollen. Auf Insta hat ein US-amerikanischer Schauspieler letztens gesagt, dass man eigentlich einen Zuschlag für emotional schwierige Szenen bekommen müsste – weil die eben in den Körper reingehen, etwas mit einem machen und nicht einfach abzustellen sind. Wenn du drei Wochen lang spielst, dass dein Kind gestorben ist, dann macht das etwas mit dir. Und wenn du sechs Wochen spielst, dass du ständig Panikattacken hast, wie es bei mir für „Hedi Schneider steckt fest“ der Fall war, dann macht das was mit einem. Ich hatte danach wirklich eine Panikattacke. Ich habe mir daher mittlerweile angewöhnt, nach einem Dreh ein paar Tage alleine wegzufahren und meine Rolle abzulegen. Das hilft mir. Und meiner Familie auch.

Ich spiele von innen nach außen, denke nicht darüber nach

Laura Tonke

Wie muss man sich das denn vorstellen, wenn du eine Figur mit nach Hause bringst?

Ich bringe natürlich nicht die Figur selbst mit nach Hause, aber meine Angespanntheit. Als ich letztes Jahr zum Beispiel „Sexuell verfügbar“ gedreht habe, wo es um eine Frau geht, die über Grenzen geht und die auch mal laut und pöbelig ist, da hat sich in mir so viel Wut aufgestaut, die auch meine Familie abbekommen hat. Da musste ich wirklich irgendwann sagen: „Es tut mir leid, Leute, aber es platzt einfach aus mir heraus. Sorry.“ Mein Mann und mein Sohn müssen da schon manchmal ganz schön was aushalten. Aber die sind zum Glück ganz stabil. (grinst)

Alles Fifty Fifty“, Regie: Alireza Golafshan. Mit Laura Tonke, Moritz Bleibtreu, Axel Stein. 113 Minuten. Seit dem 29. August 2024 im Kino. 

Hier gibt’s den Trailer zum Film: 

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Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 09/24 erschienen. 

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