Sage und schreibe acht Jahre hat es Stefan Beuse gekostet, seinen Roman mit dem größenwahnsinnig anmutenden Titel „Das Buch der Wunder“ fertigzustellen. Acht Jahre für gerade mal 220 Seiten
Angesichts der gewagten Absicht des Autors ist der lange Entstehungsprozess allerdings der am wenigsten verwunderliche Aspekt seines Wunder-Buchs: Beuse verbindet Wissenschaft und Mystik miteinander, ohne dabei in Plattitüden abzurutschen.
Im Roman geht es um die Wahrnehmung anderer Welten und um das Überwinden der eigenen Ängste, die von der Suche nach sich selbst abhalten. Das mag für manch einen nach kitschigen Kalendersprüchen und Paulo-Coelho-Esoterik klingen. Allerdings sind in „Das Buch der Wunder“ Realismus und Phantastik, Wissenschaft und Unerklärliches so klug miteinander verwoben, dass der Plot auf dem schmalen Grat der Kitschvermeidung an keiner Stelle ins Taumeln gerät.
Den Leser erwartet die Geschichte von dem ungleichen Geschwisterpaar Penny und Tom. Penny steht auf der Seite der Phantastik. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes ver-rückt, überdurchschnittlich empfänglich für Wunder und des Staunens fähig. Tom steht auf der Seite der Wissenschaft, er ist ein strikter Rationalist und will die Welt nur mit den Mitteln der Wissenschaft erfassen. Alles, was die sichtbare Welt übersteigt, irritiert ihn.
Irgendwann folgt man Beuse als Leser in fremde Sphären, ohne dass es einem absurd erscheint
Nach dem Tod des Vaters und einem tragischen Unfall springt der Roman zwölf Jahre in die Zukunft. Tom ist inzwischen erwachsen und erfolgreich in der Werbebranche tätig, er hat sich „ein unauffälliges Leben über die Ohren (gezogen) wie ein ängstliches Kind seine Decke.“ Bis ihn eines Tages mysteriöse Begebenheiten nach und nach mit seiner Selbstentfremdung konfrontieren…
Beuses Roman ist eine poetische Wucht. Die Erzählung besticht wieder und wieder mit scharfen Formulierungen, die es schaffen, Toms Prozess des Erwachsenwerdens oder die „Immer mehr“-Ideologie der Werbewelt prägnant auf den Punkt zu bringen. Die faszinierend unaufgeregte, fast dröge Sprache lässt dabei viel Raum für Unausgesprochenes, Unerklärliches, Geheimnisvolles, die den Reiz seiner Dialektik von Wissenschaft von Mystik ausmachen – und irgendwann folgt man Beuse als Leser in fremde Sphären, ohne dass es einem absurd erscheint.
„Das Buch der Wunder“ ist ein ungewöhnlicher Roman, der anfangs irritiert, weil er mit gängigen Lesegewohnheiten bricht. Hat einen jedoch Beuses Sog erstmal erfasst, wundert man sich eigentlich nur noch, warum man so oft in starren Denkmustern verharrt. / Text: Ulrich Thiele / Foto: Simone Scardovelli
Stefan Beuse: „Das Buch der Wunder“
mairisch Verlag, 224 Seiten
18 Euro